Bochum. Neuartige Antibiotika suchen Forscher der Uni Bochum. Mit dem neuen „Cesar“-Center verfolgen sie einen ungewöhnlichen Ansatz:
Gesucht wird DAS neue Antibiotikum. Eines, das gegen diese fiesen resistenten Keime wirkt. Eines, das Sepsis-Patienten wieder gesund macht, die sonst keine Chance mehr hätten. An der Bochumer Uni eröffnet am Mittwoch das „Center für systembasierte Antibiotikaforschung“, kurz Cesar, und die Forscher hier haben es sich sogar zum Ziel gesetzt, ganz neue Klassen von Antibiotika zu entdecken, solche mit bislang unbekannten Wirkmechanismen gegen Bakterien. Das ist in den vergangenen 70 Jahren nur zweimal gelungen. Seit zwei Jahrzehnten stagniert dieser Forschungszweig. Wo also beginnt man eine solch anspruchsvolle Suche?
Zwischen dem Weißen Konfettibusch und dem Scharlachroten Zylinderputzer! Beide Gehölze, das eine aus Südafrika, das andere aus Australien, wachsen im Savannenhaus des Botanischen Gartens zu Bochum. Und hier hat Prof. Julia Bandow ihre Erdproben stibitzt. Das ist allerdings eher ein kurioser Zufall. Bandow war zwar tatsächlich daran interessiert, ob sich an unterschiedlichen Pflanzen unterschiedliche Bakterien ansiedeln. Aber bislang unbeschriebene Stämme entdecken auch ihre Studenten regelmäßig in den Proben vom Kompost ihrer Eltern. Bandow hätte also genauso gut entlang der A40 nach unbekannten Bakterien suchen können wie zwischen exotischen Pflanzen. Entscheidend ist nur, wie man sucht.
Mit modernsten Mitteln
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In einem der unübersichtlichen Uniklötze, immerhin mit Blick auf den Botanischen Garten, ist ein hochmodernes Labor entstanden in den drei Jahren, in denen Bandow das „Cesar“ aufgebaut hat. Zwölf Forschende, sechs Studierende plus Gastwissenschaftler nutzen die neuen Möglichkeiten derzeit. „Investition in unsere Zukunft“ steht auf den Stickern des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, die auf Massenspektrometern und Brutschränken kleben. Mit den Fördergeldern – vier Millionen von EU und Land, und weiteren 400.000 Euro von der Uni – hat Bandow Geräte, Umbauten, Stellen finanziert und eine Forschungsinfrastruktur geschaffen, um ihren ungewöhnlichen Ansatz verfolgen zu können. Salopp formuliert: Medikamente aus Gartenerde.
Wobei es natürlich um die Mikroben in jener Erde geht. Denn die Bakterie ist der Bakterie größter Feind. Und der Feind unseres Feindes ist unser Freund. Wissenschaftler versuchen also, davon zu lernen, wie die kleinen Biester sich gegenseitig beharken. In Tübingen zum Beispiel haben Wissenschaftler 2016 in der Nase von Patienten Mikroben gefunden, die den berüchtigten MRSA-Keimen ähneln, die aber einen Stoff produzieren, mit dem sie sich diese Verwandten vom Hals halten. Das „Lugdunin“ gilt als seltener Kandidat für eine neue Klasse von Antibiotika, doch noch läuft die Grundlagenforschung. Nach solchen Mustern sucht auch Julia Bandow – und nun kann sie es am Fließband machen.
225 unbekannte Bakterienstämme hat das Cesar-Team identifiziert in den Proben aus dem Botanischen Garten. Alle haben die Wissenschaftler untersucht, und „bei sieben haben wir Hinweise gefunden, dass sie tatsächlich gegen schwer therapierbare Keime helfen könnten“, sagt Julia Bandow. Zwei haben sie sich bereits intensiv angeschaut: Ihr Aufbau wurde schon einmal beschrieben in den 50er- und 70er-Jahren, allerdings waren damals Problemkeime noch kein großes Thema und wie genau diese Bakterien vorgehen, hat man gar nicht erst untersucht. Bandow sieht hier und bei den anderen fünf Stämmen „noch eine Menge Potenzial“.
Der Blick auf die ganze Mikrobe
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Eine Bakterie kann locker tausend Substanzen produzieren, viele davon miteinander verwandt – so dass es viel zu analysieren gibt, bis man Wirkstoffe isoliert hat. Aber genau das macht den systembasierten Ansatz von Cesar aus: Der Blick auf die ganze Mikrobe, auf ihren Stoffwechsel. In Erlenmeyerkolben werden sie gezüchtet, in Brutschränken geschüttelt, in Zentrifugen geerntet, gegen Keime getestet (und manchmal auch gegen Krebszellen). Die interessanten Kulturen werden aufbereitet und durch die Massenspektrometer geschickt – das Herzstück des Centers –, um ihre Zusammensetzung und Struktur zu bestimmen. Jede halbe Stunde Betrieb produziert ein gutes Gigabyte Daten – die gegen viele andere Gigabyte abgeglichen werden müssen, was ungeheuer rechenintensiv ist.
Das ist natürlich Grundlagenforschung. Aber Julia Bandow hat lange bei Pfizer in der Forschung gearbeitet, darum, sagt sie, habe sie auch einen besonderen Blick auf die spätere Anwendung. Mit etwa 30 Firmen und akademischen Partnern kooperiert Cesar bereits. Vor allem ist das Lead Discovery Center aus Dortmund an Bord, welches aus der Max-Planck-Gesellschaft hervorgegangen ist – es überführt Forschungsergebnisse an die Industrie, damit daraus Arzneimittelkandidaten werden.
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Nun muss man natürlich fragen, warum nicht die Konzerne solche Anstrengungen selbst unternehmen? „Die großen Firmen weltweit haben ihre Forschung nach neuen Substanzklassen eingestellt“, sagt Bandow. „In den USA verfolgen nur etwa 200 Forschungsgruppen und Start-ups entsprechende Ansätze, in Europa nur ein Bruchteil. Es hat keinen Markt. Denn wenn ein neues Antibiotikum entdeckt würde, wäre der Druck groß, es nur selten einzusetzen, damit es nicht ebenfalls bald seine Wirkung verliert. Es werden also trotz der Resistenzproblematik lieber bekannte Stoffe weiterentwickelt