Ruhrgebiet. Seit knapp drei Wochen müssen Gastronomien mit Außer-Haus-Geschäft dafür Mehrwegbehälter anbieten. Der Start ist aber schleppend. Woran es liegt.

Die „Grillhütte 2“ liegt ein bisschen versteckt in Marl, aber jeder kennt sie, was Wunder! Gerd Bleistein brät und frittiert hier entschlossen und seit 42 Jahren, sechs Damen vom Grill tun in Teilzeit mit; und auf der Karte stehen die deutschen Klassiker der schnellen Stärkung: Pommes und Currywurst, Schaschlik und Zwiebelschnitzel, Capri-Sonne, Warsteiner, solche Sachen. Man kommt nicht sofort darauf, dass die „Grillhütte 2“ nicht nur für Gurkensalat mit Sahne steht, sondern auch für Klimaschutz. Ha!

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Denn schon 2019 hat Bleistein Plastikverpackungen verbannt, packt seine Gerichte in Schälchen aus nachwachsenden Rohstoffen und bietet Stammkunden für 3,90 Euro Mehrwegbehälter an. Wiedersehen macht Freude. Der 64-Jährige sagt: „Ich habe eine Tochter, ich wünsche mir ein Enkelkind, ich sehe die Klimakatastrophe.“ So einfach ist das. „Wichtig ist, dass jeder vor seiner Haustür was macht.“

Zu viele Anbieter bedeutet: Jeweils nur wenige Rückgabestellen

Mehrweggeschirr aus Kunststoff steht im Cafe Schwarte in Gladbeck für den Außer-Haus-Verkauf bereit. Der Anblick ist noch nicht überall selbstverständlich.
Mehrweggeschirr aus Kunststoff steht im Cafe Schwarte in Gladbeck für den Außer-Haus-Verkauf bereit. Der Anblick ist noch nicht überall selbstverständlich. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Bleistein müsste das nicht. Imbissbuden sind noch nicht verpflichtet, für Außer-Haus-Gerichte auch ein Mehrwegsystem anzubieten. Aber Restaurants und Ketten, Bäckereien und Heiße Theken müssen, seit dem 1. Januar. Sie müssen auch, wie es im Verpackungsgesetz steht, durch Aushänge oder Aufsteller deutlich auf die Mehrweg-Möglichkeit hinweisen. Und, haben Sie etwas Derartiges gesehen? Kaum. Der Start ist missglückt.

Ein wichtiger Grund: Es gibt plötzlich viele Anbieter von Mehrweg-Gefäßen, und jeder nimmt nur die seinen zurück - das macht es kompliziert für die Kunden. Mehr Weg statt Mehrweg. Sie heißen Recup oder Vytal, heißen Fair Cup, Recircle, Relevo, Pap-Star - und zudem haben Ketten wie Edeka, McDonald’s oder Pottsalat auch noch eigene Gefäße am Start. Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Dann trennt mal schön.

„Wir gehen allen Hinweisen nach, bisher gibt es aber noch keine“

Kollegen und Kolleginnen der Lokalredaktionen haben sich in den letzten Tagen umgehört. Der Tenor ist überall ähnlich: Es gibt natürlich Vorreiter in der Gastronomie. Es gibt die „Davon höre ich zum ersten Mal“-Fraktion. Und es gibt eine Mehrheit, die auf Anfrage sagt, sich gerade mit dem Thema zu beschäftigen und demnächst ein System einzuführen. Schließlich noch die ganz kleine Gruppe derer, die ihr Außer-Haus-Geschäft beenden - es ist ja auch nach Corona nicht mehr existenziell.

Das Gesetz ist seit dem 1. Januar in Kraft, aber de facto gibt es so etwas wie eine inoffizielle Übergangsfrist. „Wir gehen allen Hinweisen nach, bisher gibt es aber noch keine“, sagt Lena Heimers, Sprecherin der Kreisverwaltung Recklinghausen. Aus Bochum heißt es: „Wir klären momentan, wie wir die Betriebe informieren wollen und andererseits ordnungsbehördlich tätig werden.“ Dasselbe aus Duisburg: „Wir stellen uns momentan auf, um künftig Gastronomen auf die Verpflichtung hinzuweisen und Verstöße zu ahnden.“ Auch Gelsenkirchen klingt ähnlich.

Leverkusen zahlt eine Prämie, Bad Nauheim stellt die Teilnehmer ins Netz

Manch andere Stadt, muss man sagen, hat sich da mehr engagiert. Leverkusen zahlt Gastronomen 250 Euro, wenn sie Mehrweg ins Programm nehmen - und ihren Betrieb in Leverkusen haben, natürlich. Neuss hat versucht, alle Gastronomen der Stadt auf ein einheitliches System einzuschwören: Der Auftrag sei ausgeschrieben, der Zuschlag erfolge „in Kürze“, heißt es.

Frankfurt hat die Teilnehmer und Teilnehmerinnen am schon etwas älteren „Mainbecher“ komplett zu einem der neuen Anbieter überführt. Bad Nauheim nebenan stellt alle Teilnehmer prominent ins Internet, tickert fortlaufend („Bad Nauheim hat 06860 Einwegverpackungen gespart“) und schreibt als Motivation dazu: „Wir freuen uns auf weitere Mehrwegheld:innen ganz bald.“

Tübingen hat schon 2022 eine Einweg-Verpackungssteuer eingeführt

Sandra Braun und Oliver Janiszewski aus „Ollis Restaurant“ in Herne gehörten schon im Sommer 2021 zu den Vorreitern.
Sandra Braun und Oliver Janiszewski aus „Ollis Restaurant“ in Herne gehörten schon im Sommer 2021 zu den Vorreitern. © FUNKE Foto Services | Klaus Pollkläsener

Und Tübingen, wie immer. Die Universitäts- und Umweltstadt hat als einzige in Deutschland Anfang 2022 eine Verpackungssteuer eingeführt. 50 Cent auf Einwegbecher und Pommesschalen zum Beispiel, 20 Cent auf Kunststoff-Gäbelchen oder -Eislöffel.

Ob das rechtens ist, entscheidet eines Tages das Bundesverwaltungsgerichts. So wird die Steuer auch noch nicht eingezogen. Aber immerhin ist ein gutes Drittel der betroffenen Betriebe in Tübingen schon im Lauf des letzten Jahres dazu übergegangen, auch Mehrweg anzubieten. Das sind viele. Sprecherin Anja Degner-Baxmann verschickt dann auch den dazugehörigen Slogan Tübingens: „Es gibt kein Copyright - Nachmachen ausdrücklich erlaubt.“

Dehoga: „Einem Pizzabetrieb nützt die schönste Schüssel nichts“

Im Ruhrgebiet ist das kein Thema. Immerhin will der Gaststättenverband Dehoga seine Mitglieder nochmals verschärft auf das Mehrwegangebot hinweisen. Es müsse aber auch zum jeweiligen Betrieb passen: „Einem Pizzabetrieb nützt die schönste Schüssel nichts“, sagt sein Sprecher Thorsten Hellwig. Gastronomen müssen sich auch darauf einrichten, dass Gäste, die nicht aufgegessen haben, jetzt nach einem Mehrwegbehälter für die Reste fragen können, die sie mitnehmen wollen.

Gerd Bleistein in seiner „Grillhütte 2“ in Marl ist zuversichtlich, dass Mehrweg sich durchsetzt. Auf die Dauer. Zehn Prozent seiner Kunden nutzen es bisher, meint er, „und es werden immer mehr“. Der Verpackungsmüll aus seiner Bude habe sich seit der Umstellung „mehr als halbiert“. Mehrweg statt mehr weg.