Essen. Der Essener Arzt Gustav Dobos ist anerkannter Experte für Naturheilkunde. Zusammen mit Schulmedizin könne sie bei Krebs viel erreichen, sagt er.

Operation, Chemo oder Bestrahlung sind die ersten Mittel der Wahl, wenn es um Krebs geht. Patienten suchen oft nach ergänzenden Ansätzen, wollen selbst aktiv werden – werden in ihrer Verzweiflung aber auch immer wieder ausgenutzt. Tatsächlich können Schulmedizin und Betroffene gemeinsam viel erreichen, sagt Prof. Gustav Dobos. Der 67-Jährige gilt als Pionier auf dem Gebiet der evidenzbasierten (wissenschaftlich geprüften) Naturheilkunde und der Integrativen Medizin, er leitet das gleichnamige Zentrum der Universitätsmedizin Essen. Vor dem „Krebstag Ruhr“ am Westdeutschen Tumorzentrum verrät er, was wirkt und wie man bei alternativen Krebstherapien seriöse von unseriösen Anbietern unterscheidet.

Prof. Dobos, Sie sind Internist. Wie kamen Sie zum Thema, was gefällt Ihnen nicht an der Schulmedizin?

Gerade die internistische Medizin ist häufig für chronisch Kranke zuständig, und bei chronischen Krankheiten sind die Möglichkeiten der sogenannten Schulmedizin häufig begrenzt. In vielen Fällen kann sie nur die Symptome behandeln, mit Medikamenten, die im Laufe der Zeit Nebenwirkungen produzieren und ihrerseits Schäden am Organismus verursachen. Als junger Arzt auf der Rheumastation an der Uniklinik in Freiburg hatte ich ein erstes Aha-Erlebnis, als sich dort Patient:innen vorstellten, die Jahrzehnte ohne Rheuma-Medikamente ausgekommen waren. Ich war beeindruckt, wie viel man nur mit Bewegung, Ernährung, Entspannungsverfahren, Lebensstil und pflanzlichen Medikamenten erreichen konnte. Außerdem hatte ich bereits als Medizinstudent in China Akupunktur gelernt und dort gesehen: Es gibt noch mehr zwischen Himmel und Erde, als in unseren Lehrbüchern steht.

Naturheilkundliche Verfahren können Schulmedizin nicht ersetzen, aber ergänzen

Prof. Gustav Dobos, Direktor des Zentrums für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Universitätsmedizin Essen. Schon als Medizinstudent lernte er in China: „Es gibt noch mehr zwischen Himmel und Erde, als in unseren Lehrbüchern steht.“
Prof. Gustav Dobos, Direktor des Zentrums für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Universitätsmedizin Essen. Schon als Medizinstudent lernte er in China: „Es gibt noch mehr zwischen Himmel und Erde, als in unseren Lehrbüchern steht.“ © UME

Was es zu beweisen galt?

Genau, dann fing die Arbeit an. Denn wir mussten die naturheilkundlichen Verfahren wissenschaftlich erforschen und ihre Wirkung begründen – um sie integrativ in unserem Medizinsystem einsetzen zu können. Naturheilkundliche Medizin ist keine Alternative zur Schulmedizin, sondern Teil eines ganzheitlich gedachten bio-psycho-sozialen Gesundheitsmodells.

Dass naturheilkundliche Verfahren bei chronischen Beschwerden helfen können, belegen Studien. Aber auch bei Krebs?

Krebs ist eine sehr schwere Erkrankung, die von der Medizin mit massiven Mitteln bekämpft wird. Diese Vorgehensweise stellt die wissenschaftliche Naturheilkunde nicht in Frage. Gerade hier liegt aber ein Ansatzpunkt unserer Strategie: Die Naturheilkunde, vor allem die Mind-Body Medizin, kann dabei helfen, die Nebenwirkungen der onkologischen Therapie besser zu verkraften und sie so unterstützen. Indem sie den Patient:innen zeigt, wie sie mit Entspannung, Bewegung und Yoga, oder durch Wickel und Auflagen, sowie mit einer gezielten Ernährung ihre Beschwerden lindern und ihren Zustand verbessern können; indem sie sie ermächtigt, selbst etwas Sinnvolles für sich tun zu können – das ist, zeigt die Gesundheitspsychologie, ganz entscheidend für die „Selbstwirksamkeit“. Fruchtbar ist das vor allem, wenn naturheilkundliche und onkologische Ärzte Hand in Hand arbeiten. Denn man kann auch einiges falsch machen – schon ein Glas Grapefruitsaft oder ein Johanniskraut-Präparat gegen Depressionen zur falschen Zeit reichen aus, um eine Chemotherapie aus dem Gleis zu bringen.

Von Akupunktur über Kohlwickel bis zur Imagination

Was konkret können Krebs-Patienten für sich tun?

Sie können Ängste, Depressionen und Mutlosigkeit besiegen, Symptome lindern, einen gesunden Lebensstil lernen, präventives Verhalten gegenüber einer Rückkehr des Tumors aufbauen.

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Dass Sie Hauptredner des diesjährigen Krebstags sind, heißt: Ihr Ansatz ist inzwischen unumstritten?

Zweifeln tun mittlerweile nur noch Kolleginnen und Kollegen, die die aktuelle Evidenzsituation der Naturheilkunde nicht kennen – was kein Wunder ist, weil das zu selten an den Universitäten gelehrt wird.

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Nennen Sie bitte zwei, drei Beispiele für nachweislich wirksame naturheilkundliche Medikamente oder Methoden in der Onkologie.

Akupunktur lindert Schlafstörungen bei Krebspatient:innen und postoperativen Schmerz, aber wirkt auch gegen Angst, Hitzewallungen und Übelkeit. Ein Kohlwickel reduziert Gelenkschmerzen ebenso gut wie ein Medikament. Ringelblumensalbe in der richtigen Dosierung wirkt bei Bestrahlungsschäden. Mit Bewegung und Yoga lässt sich Fatigue effektiv behandeln. Salbeispülungen helfen bei Schleimhautentzündungen – die Beispiele sind endlos. Ganz viel erreichen wir auch mit Mind-Body-Medizin – Entspannung und Meditation sowie Atemübungen und Imagination.

Wahrnehmung von Schmerzen lässt sich gezielt verändern

„Mind-Body-Medizin“ und „Ordnungstherapie“ zählen zu den naturheilkundlichen Verfahren, die Sie im Besonderen erforscht haben. Was genau ist das?

Die Ordnungstherapie geht auf Sebastian Kneipp zurück, sie will „das Leben in Ordnung bringen“. Die Mind-Body-Medizin entstand in Harvard, als achtsamkeitsbasiertes Lebensstilveränderung. Wir haben sie zur modernen Ordnungstherapie weiterentwickelt.

Ein Kneippscher Knieguss wirkt nicht nur lokal, sondern kann auch positive Prozesse im Gehirn anstoßen, glauben Neurowissenschaftler. Die moderne „Ordnungstherapie“ stützt sich unter anderem auf Sebastian Kneipp (1821-1897), der der Kaltwasser-Behandlung seinen Namen gab.
Ein Kneippscher Knieguss wirkt nicht nur lokal, sondern kann auch positive Prozesse im Gehirn anstoßen, glauben Neurowissenschaftler. Die moderne „Ordnungstherapie“ stützt sich unter anderem auf Sebastian Kneipp (1821-1897), der der Kaltwasser-Behandlung seinen Namen gab. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Was kann ein Kneippscher Guss denn bewirken?

Bewiesen ist das nicht, aber es gibt einige Indizien aus den Neurowissenschaften, dass körperzentrierte Verfahren -- wie zum Beispiel ein Knieguss (bei Nervenschäden) -- nicht nur lokal wirken, sondern über die Wahrnehmung im Gehirn zu einer Art Neukalibrierung des Organismus führen. Über die Ausschüttung von Botenstoffen kommen jedes Mal Prozesse in Gang, die über das zentrale Nervensystem beruhigend oder energetisierend wirken. Achtsamkeitsübungen schärfen die Aufmerksamkeit für solche Prozesse und letztlich das Körpergefühl. Die Forschung zeigt, wie stark sich etwa die Wahrnehmung von Schmerzen dabei gezielt verändern lässt. Wir können auch Stress reduzieren und Depressionen entgegenwirken. Das stärkt das Immunsystem und die Resilienz. Riesenpotenzial hat die Ernährung im Rahmen der Mind-Body-Medizin, sie beeinflusst die Psyche sehr.

Wie sieht denn die richtige Kost für Krebskranke aus – und wie für die, die gar nicht erst erkranken wollen?

Wir arbeiten auf der Basis der „mediterranen Vollwertkost“, das ist eine weitgehend pflanzenbasierte Kost mit vielen Ballaststoffen, Vitaminen und sekundären Pflanzeninhaltsstoffen, pflanzlichen Ölen. Fleisch sollte soweit wie möglich gemieden werden, weil Fleischverzehr die Entzündungsbereitschaft des Organismus fördert. Verzichtet werden sollte auch weitgehend auf Fertignahrung mit ungesunden Transfettsäuren und Zusatzstoffen. Außerdem folgen unsere Empfehlungen der Idee der „Planetary Health“ – alles, was die Natur zerstört, macht auch den Menschen kaputt. Wir verzichten also auf Lebensmittel, die viele klimaschädliche Gase erzeugen.

Unseriöse Anbieter heilen angeblich alle Krebserkrankungen – und anderes dazu

Im Internet wimmelt es von Angeboten, die verzweifelte Kranke hoffen lassen. Immer wieder sterben aber auch Menschen, die ihr Leben selbst ernannten Heilern ohne jegliche medizinische Erfahrung anvertrauten. Wie erkennt man den Scharlatan?

Es ist nicht leicht, unseriöse Krebstherapeuten zu erkennen. Große Vorsicht ist etwa geboten, wenn der Anbieter auf einem langfristigen, privaten Behandlungsvertrag besteht und darauf, dass alle schulmedizinischen Behandlungen abgebrochen werden; wenn er die Wirksamkeit der Therapie allein mit Referenzen, Empfehlungen und Fallberichten „belegt“, ohne anerkannte wissenschaftliche Publikationen; wenn die Therapie angeblich gegen alle Krebserkrankungen in allen Stadien und sogar gegen andere schwere Erkrankungen wie Aids oder MS wirkt; wenn angeblich eine Vielzahl von Erkrankten geheilt wurde, die von Schulmedizinern bereits aufgegeben wurden. Unseriöse Anbieter verweisen zudem oft auf eine Verschwörung schulmedizinischer Ärzte und der Pharmaindustrie, die den Durchbruch einer alternativen Methode verhindern soll -- und ihre Behandlungen sind unverhältnismäßig teuer. Im Zweifel lohnt sich ein Anruf beim Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (Hotline: 0800 / 420 30 40). Was die wissenschaftliche Naturheilkunde angeht, so ist diese eher an den Universitäten zu finden, an denen sie gelehrt wird, als im Internet.

>>> INFO: Der Krebstag Ruhr 2023

Am 4. Februar ist der Weltkrebstag. Bereits am 14. Januar, 10 bis 16 Uhr, lädt das Westdeutsche Tumorzentrum (WTZ) an der Essener Uniklinik zum 5. Krebstag Ruhr ein. Auf der Patientenveranstaltung informieren u.a. Experten für Brust-, Lungen-, Nieren- Haut- und Prostatakrebs über die neuesten Möglichkeiten der Behandlung und Forschung; Selbsthilfeverbände, Beratungsstellen und der WTZ-Patientenbeirat bieten Gespräche ab; Betroffene verraten „Zehn Tipps für Neuerkrankte“ und Prof. Jens Kleesiek erklärt, wie Künstliche Intelligenz in der Onkologie helfen kann. Prof. Gustav Dobos eröffnet den Krebstag mit seinem Vortrag: „Was kann ich während meiner Krebserkrankung aktiv und selbst tun?“.

Der Krebstag Ruhr findet als hybride Veranstaltung statt: online (via Zoom) und vor Ort im Lehr- und Lernzentrum, Virchowstraße 163a. Info und Anmeldung: www.krebstag-ruhr.de