Essen. Stundenlang hat die Polizei eine Dortmunder Hauptstraße gesperrt. Sie will klären, warum ihre Kollegen auf zwei junge Essener schossen.

Auf der Suche nach der Wahrheit hat die Polizei am Freitag stundenlang eine vierspurige Hauptstraße in der Dortmunder Nordstadt gesperrt. Autofahrer kämpften sich ab acht Uhr morgens durch zähfließenden Verkehr, auch Fußgänger und Radfahrer mussten Umwege in Kauf nehmen. Die Polizei erhofft sich dadurch Antworten auf die Frage, warum Polizisten dort am ersten Weihnachtstag auf ein Auto mit zwei jungen Essenern geschossen haben sollen.

Laut der ersten Pressemitteilung der Polizei vom 25. Dezember um 15.11 Uhr ist der Sachverhalt ganz einfach. In der Nacht um 2.30 Uhr hätten Polizisten ein Auto an der Leopoldstraße in Dortmund gestoppt, um die Insassen zu kontrollieren. Als die Beamten ausgestiegen seien, "wurden die Anhaltezeichen missachtet. Es kam zu einer Schussabgabe durch die Polizeibeamten. Alle Beteiligten blieben unverletzt". Kurz darauf seien ein 17- und ein 18-Jähriger, beide aus Essen, wenige Straßen entfernt vom Tatort festgenommen worden.

Polizei Recklinghausen ermittelt

So berichteten Staatsanwaltschaft Dortmund und die Polizei Recklinghausen. Sie hatte das Verfahren aus Neutralitätsgründen von ihren Dortmunder Kollegen übernommen. Die etwas vage formuliereten Sätze, die offenbar auf dem Bericht der Polizisten beruhen, suggerieren, dass der Wagen auf sie zugefahren sei und sie ihn nur so meinten stoppen zu können.

Die jungen Essener berichten in Vernehmungen einen ganz anderen Sachverhalt und erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizisten. Noch am Abend des ersten Weinachtstages stellte der Essener Rechtsanwalt Volker Schröder, der den 18-Jährigen vertritt, Strafanzeige wegen versuchten Totschlags gegen die Beamten.

Anzeige wegen versuchten Totschlags gegen Polizisten

Sie hätten zweimal von vorne und zweimal von hinten auf das Auto geschossen. Dabei hätten sie den Tod seines Mandanten billigend in Kauf genommen. Man lerne schon auf der Polizeischule, dass ein fahrendes Auto nicht durch Kugeln gestoppt werden könne, hatte er hinzugefügt.

Der Marler Rechtsanwalt Burkhard Benecken, er vertritt den 17-Jährigen, berichtet sogar von einem "Hinrichtungscharakter". Daran erinnere die Schilderung seines Mandanten. Dieser sei gefahren, aus Altersgründen natürlich ohne Führerschein. Deshalb habe er die Polizeisignale zunächst ignoriert.

17-Jähriger: Polizisten schossen ohne Vorwarnung

Dann sei er von den Beamten aber ausgebremst worden und habe aufgegeben. Die Polizisten seien auf seinen Wagen zugekommen und hätten ohne Vorwarnung geschossen. In Todesangst sei er nach links ausgeschert und davongefahren. Auf der Flucht hätten sie einen Fahrerwechsel vorgenommen und sich zur Aufgabe entschieden.

Was zwei junge Essener in der Nacht in der Dortmunder Nordstadt zu suchen hatten? Nichts Kriminelles, sagen ihre Anwälte. Es soll um ein im Internet ausgemachtes Treffen mit einer jungen Dame gegangen sein. Deshalb habe der 17-Jährige dort das Steuer übernommen, um der Frau ein wenig zu imponieren.

AMG-Mercedes gehört dem Vater

Und warum fahren sie einen recht ordentlich motorisierten AMG-Mercedes der C-Klasse? Er gehört dem Vater des Jüngeren. Beide sind nach Auskünften ihrer Anwälte nicht vorbestraft und arbeiten in Betrieben ihrer Familien. Beide haben einen Migrationshintergrund.

Von den Polizisten gibt es bisher außer dem Bericht aus der Nacht keine weiteren Angaben zu den Schüssen. Es heißt, sie ließen sich anwaltlich vertreten und hätten sich noch nicht vernehmen lassen.

Aussage steht gegen Aussage

Bei der Rekonstruktion am Freitag waren sie offenbar nicht anwesend. Die beiden jungen Männer wirkten mit. Sie setzten sich ins Auto und schilderten in ihren Worten der ermittelnden Dortmunder Staatsanwältin Gülkiz Yasir den Ablauf der Nacht. Aussage wird gegen Aussage stehen, wenn die Polizisten bei ihrer Darstellung aus der Nacht bleiben.

Die Sperrung der Leopoldstraße soll den Ermittlern zu objektiven Erkenntnissen verhelfen. Anwesend waren deshalb Mitarbeiter des Landeskriminalamtes, die mit moderner Laserscan-Technik den Weg der Kugeln nachvollziehen wollen.

Kugel durchschlug die Frontscheibe

Am AMG-Mercedes zeigen Beschädigungen, wo sie eingetroffen sind. Eine am Reifen hinten links, eine durchschlug das Panoramaglasdach. Eine weitere durchdrang die Frontscheibe unten an der Fahrerseite, wo der 17-Jährige gesessen haben soll. Verteidiger Benecken: "Sie muss Millimeter an meinem Mandanten vorbeigegangen sein. Er hat großes Glück gehabt."

Der 18-Jährige hat sich sogar in psychiatrische Behandlung begeben, weil er den Schock noch nicht überwunden habe. Verteidiger Schröder: "Deshalb kam er heute zu spät zur Rekonstruktion. Er hat am ganzen Körper gezittert."