Dortmund. Messerattacken und Schüsse: In der Dortmunder Nordstadt steigt die Zahl der schweren Gewalttaten. Die Polizei hat ein Milieu in Verdacht.

Die Zahl der Gewalttaten in der Dortmunder Nordstadt ist in den letzten Monaten gestiegen. Schwerverletzte durch Messerstiche und Schüsse – fast wöchentlich meldet die Polizei solche Vorfälle in Dortmunds dichtbesiedeltstem Gebiet. (Liste ausgewählter Fälle s.u.)

Die Dortmunder Polizei hat die Nordstadt schon seit Jahren besonders im Blick. Es kam mehr Personal in die Wache Nord, eine Ermittlungskomission Nordstadt wurde eingerichtet, und die Polizei (oft gemeinsam mit Ordnungsamt und Zoll) schlägt immer wieder mit Razzien und Kontrollen zu. Dazu nennt die Behörde jetzt einige Zahlen:

  • 2021 wurden 1428 Verfahren eingeleitet.
  • Die Aufklärungsquote liegt bei 61 Prozent.
  • 2014 bis 2019: Rückgang aller Delikte von 40 Prozent (allerdings inklusive Pandemie-Effekten)
  • In diesem Zeitraum: 45 Prozent weniger Raub-Straftaten, 50 Prozent weniger Straßenkriminalität, 20 Prozent weniger Gewaltkriminalität

Kontrolldruck und Polizeipräsenz sind im Problemviertel also hoch. Aber wieso kommt es seit Frühjahr gehäuft zu schweren Gewalttaten in der nördlichen Innenstadt, vor allem rund um den Nordmarkt? Da prallen mehrere Ursachen aufeinander, vermutet die Polizei:

  • Die Corona-Maßnahmen fallen weg – und mehr soziale Kontakte bedeuten auch mehr Konfliktpotential.
  • Der Alkohol- und Drogenkonsum steigt. Damit sinkt laut Polizei auch die Hemmschwelle, ein Messer zu zücken.
  • Zudem beobachte die Polizei, dass es vermehrt zu Auseinandersetzungen im Drogenhandel kommt.

Sind also Drogen ursächlich für die gestiegene Zahl der Gewalttaten in der Nordstadt? Klar sei das noch nicht, erklärt die Polizei. Aber es seien "mehrere Taten der Beschaffungskriminalität zur Finanzierung der Drogensucht zuzurechnen". Näher eingrenzen könne man das Milieu (noch) nicht, heißt es.

Dortmunder Nordstadt: Weniger Straftaten, mehr schwere Gewalt

Ein Vergleich mit den vergangenen Jahren zeigt: Zwar ist die Zahl der Straftaten in der Nordstadt gesunken – aber die Zahl der Taten "gegen das Leben" liegt schon jetzt deutlich höher als sonst. Damit meint das Strafgesetzbuch besonders schwere Taten wie (versuchten) Totschlag oder Mord.

So gab es von Januar bis September diesen Jahres 41 Straftaten mit Messer oder Ähnlichem. In fünf Fällen ging die Schwere der Tat deutlich über bloße Körperverletzung hinaus, bilanziert die Polizei. In den restlichen 36 Fällen wurde mit einem Messer gedroht. Dazu kommen einige Vorfälle mit Schusswaffen, die die Polizei hier aber nicht mit aufführt. Ein Vergleich mit den Vorjahren:

  • 2019: 56 Straftaten mit Messer – 1 gegen das Leben
  • 2020: 78 Straftaten mit Messer – 0 gegen das Leben
  • 2021: 61 Straftaten mit Messer – 2 gegen das Leben
  • bis 9/2022: 41 Straftaten mit Messer – 5 gegen das Leben

Nordmarkt: Gute Verkehrsanbindung zieht Drogendelikte an

Viele dieser Taten passierten rund um den Nordmarkt. Im östlichen Borsigplatz-Viertel und im westlichen Hafenviertel passierte weniger. Warum? Dazu schreibt die Polizei: "Die örtlichen Strukturen bieten einen Rückzugsort für gesellschaftliche Randgruppen wie Alkoholkranke und Drogen konsumierende Personen." Der starke Zuzug aus Osteuropa (die Polizei nennt Rumänien und Bulgarien) führe zu weiteren Konflikten in "neu gebildeten Milieus oder clanähnlichen Strukturen".

Zudem, so die Polizei, biete die nördliche Innenstadt rund um den Nordmarkt die perfekte Anbindung für Dealer, Drogenabhängige, Straftäterinnen und Straftäter: Das Viertel sei über den Hauptbahnhof und Schnellstraßen in beide Richtungen gut erreichbar – und man ist schnell wieder weg. Die Zahl der Straftaten unmittelbar am Nordmarkt:

  • 2019: 7 – davon 2 Raube, 1 Körperverletzung
  • 2020: 7 – davon 5 Körperverletzungen
  • 2021: 11 – davon 5 Raube, 6 Körperverletzungen
  • bis 10/2022: 7 – davon 2 Kapitaldelikte, 5 Körperverletzungen

Wie die Polizei auf die Kriminalität in der Nordstadt reagiert

Seit einigen Wochen fährt die Dortmunder Polizei vermehrt Schwerpunkteinsätze – in der Innenstadt wie auch in der Nordstadt. Ein Beispiel vom 27. Oktober: Bei einer Kontrolle wurden in der Nordstadt drei per Haftbefehl gesuchte Personen geschnappt. Zudem gab es neun Anzeigen unter anderem wegen Drogen und Waffen.

Zusätzlich zu ihren verstärkten Kontrollen und dem Instrument der "strategischen Fahndung" (dabei sind flächendendeckende Kontrollen auch ohne Anlass möglich) prüfe die Dortmunder Polizei jetzt auch andere Maßnahmen – wie mehr Video-Überwachung oder eine Waffenverbotszone in besonders kritischen Bereichen. Hier habe aber das Innenministerium das letzte Wort. Momentan wird nur ein Teil der Münsterstraße mit Kameras überwacht.

Hier die schwersten Gewaltdelikte in der Dortmunder Nordstadt seit Juni: