Ruhrgebiet. Von Januar an müssen Gastronomen Außer-Haus-Verkäufe auch im Mehrweg anbieten. Viele sind skeptisch. Aber es gibt auch überzeugte Vorreiter.
Kerzen, Zweige, Lichter: Wenn eine Theke auf Weihnacht getrimmt ist, fallen zwei blasse, graue Aufsteller auf der Theke um so mehr auf. Eine Mehrwegschüssel, ein Mehrwegbecher, ein paar Erläuterungen auf Din a4-Pappe und der Aufdruck: „Rückgabe hier:“ Doch hinter dem Doppelpunkt, wo doch in der idealen Welt etliche Rückgabe-Adressen stehen würden, da ist es leer. Ganz leer. Und das ist das Problem. Eines davon.
Vom Neujahrstag an müssen viele Gastronomien, die Essen- und Trinken to go anbieten, dafür auch ein Mehrweg-System haben. Die genauen Regeln und die vielen Ausnahmen finden Sie hier: Welche Regeln bald für Essen- und Trinken to go gelten. Der Kern des Ganzen ist: Einwegverpackungen und Wegwerfbecher werden nicht verboten, aber es muss eine Alternative geben.
2,8 Milliarden Einwegbecher fallen in einem Jahr in Deutschland an
Dafür hat sich das schöne Wort „Mehrwegangebotspflicht“ eingebürg . . . also, Behörden und Verbände benutzen es entschlossen. Sie soll vor allem bewirken, dass die riesigen Halden aus gastronomischem Verpackungsmüll in Deutschland kleiner werden. Auf ihnen liegen 2,8 Milliarden Einwegbecher im Jahr. Und 770 Tonnen Verpackungsmaterial - Tag für Tag, versteht sich.
Doch während in Bäckereien, Tankstellen und vielen Cafés die Öko-Verpackung inzwischen Standard ist, wird das kommende Mehrwegsystem in der klassischen Gastronomie eher als Last empfunden, als Mehrarbeit, überhaupt als weniger wichtiges Thema. „In der Gastronomie ist nach der Krise vor der Krise“, sagt ein Wirt: „Corona, Krieg, Personalmangel - und jetzt sind erst mal alle krank.“
„Du bist ein sichtbarer Vorreiter für Nachhaltigkeit“
Die Reklame des Mehrweg-Anbieters „Recup/Rebowl“ hat offenbar noch nicht gezündet: Ab dem zwölften Getränk oder sechsten Gericht am Tag rechne es sich, behauptet der. Und trägt dann ganz dick auf: „Als Recup-Partner bist du ein sichtbarer Vorreiter für Nachhaltigkeit. Deine Gäste werden es lieben, deine Speisen und Getränke ohne schlechtes Gewissen genießen zu können.“
Auch ist der Stichtag nicht übermäßig präsent. „Es spukt herum, alle wissen, es kommt im Januar, aber viele werden dann überrascht sein, dass es soweit ist“, sagt Seran Bahtijari, Mitinhaber mehrerer guter Bochumer Restaurants wie des „Franz Ferdinand“. Dort sind sie schon länger auf Mehrweg eingerichtet, aber nur wenige Kunden nutzen überhaupt die Möglichkeit, die Mahlzeit mitzunehmen. „Die Leute lieben es, dass sie wieder im Lokal essen können“, sagt Bahtijari.
Bisher gibt es pro Mehrweg-Anbieter nur wenige Rücknahmestellen
Doch bei vielen Betrieben war Essen zum Mitnehmen mehr, war in den harten Corona-Monaten „teilweise die einzige Möglichkeit, zu überleben“, sagt Thorsten Hellwig vom Gaststättenverband „Dehoga“. Längst ist das breite Angebot wieder geschrumpft, und „wer keinen Außer-Haus-Verkauf mehr hat, ist raus aus dem Mehrweg“, sagt Hellwig.
Christian Bickelbacher kennt die praktischen Probleme genau, er ist im „Tucholsky“ der Gastwirt mit den Aufstellern auf der Theke. „Alle haben danach geschrien, aber angenommen wird es kaum. Ich bin stark enttäuscht“, sagt der Sprecher der „Interessengemeinschaft Bermuda3Eck (ISG)“: „Das ist wie mit den Hybrid-Autos: Die Leute fahren sie, aber sie laden sie nicht auf.“
Ein Problem: die Spalte „Rückgabe hier:“ ohne weitere Adressen. Zum Start sind - wie immer in der Situation - noch sehr viele verschiedene Anbieter auf dem Markt, und jeder nimmt nur seine eigenen Teller und Becher zurück. Für die Kunden bedeutet das, dass sie zunächst nur sehr wenige Lokale zur Auswahl haben, wo sie die Sachen zurückgeben können.
Manche Städte wollen, dass alle ihre Gastronomen denselben Anbieter wählen
Das erinnert stark an die Einführung des Flaschen-pfands, als man auch lange Zeit die einen Flaschen nur hier, die anderen nur da zurückgeben konnte. Heute nehmen viele Supermärkte zumindest alle gängigen - und so könnte es mit dem Mehrweggeschirr auch kommen, hoffen Optimisten. In Dortmund oder Neuss arbeiten daher auch die Stadtverwaltungen daran, dass alle Gastronomen ein- und denselben Anbieter nutzen.
Katja Vogt dagegen zählt nach den letzten Wochen eher zu den Pessimistinnen. In ihrem Café „Refugio“ in Unna arbeitet sie schon lange aus umweltschützerischer Überzeugung mit Mehrweg-Schüsseln. „Ich habe darüber auch schon Kunden gewonnen“, sagt sie. Angesichts des Zögerns in der Branche prägt sie den schönen Satz: „Ich begrüße, dass wir dazu gezwungen werden.“
„Nicht zu chic, damit sie lange bei uns bleiben“
Heute ist sie enttäuscht: „Mehrfach habe ich Kollegen angesprochen und Werbung gemacht, es ist niemand darauf angesprungen“, sagt Katja Vogt: „Ich sehe dass die Kollegen immer noch in Styropor und Alu verpacken. Langsam werde ich aggressiv.“
Außerhalb der Gastronomie sieht es freilich besser aus. So stellt Schalke 04 im Stadion nun auch auf Mehrweg um, wenngleich als letzter Bundesligist und nicht im Gäste-Bereich. Selbst Kinos mit ihren bewohnbaren Bechern für Cola und Popcorn schließen sich an, zuletzt das „Cineworld“ in Lünen: Man habe eigene Becher entworfen, aber „nicht zu chic, damit sie lange bei uns bleiben und vielfach genutzt werden“. Was soll man da sagen? Sie haben verstanden.