Bukarest. Alle lieben Babuschka: Wie eine 75-Jährige aus der Ukraine unter lauter Kindern strandete – und Trost auch bei rumänischen Jugendlichen fand.
Alle lieben Babuschka. Die ukrainischen Kinder und die rumänischen Jugendlichen, alle, die bei der Hilfsorganisation Concordia in Bukarest ein neues Zuhause gefunden haben. „Babuschka!“, rufen sie die „Oma“, und die 75-Jährige, die eigentlich Ludmilla heißt, nimmt sie in den Arm und verdrückt eine Träne. Sie ist ja selbst allein und auf der Flucht vor dem Krieg hier gestrandet. Was soll sie machen: „Ich kümmere mich um alle Kinder, die hier wohnen.“
Ludmilla kommt aus Sumy, einem Ort in der Ukraine, noch näher an der russischen Grenze als Charkiw. Sie sagt, sie hatten keine Bunker dort, sie habe nicht gewusst, wo sie sich verstecken sollte vor den Bomben. Also packte sie eine kleine Tasche: zwei Blusen, eine Hose, Zahnbürste, Zahnpasta und ihren Hut. Ein paar Freunde aus der jüdischen Gemeinde nahmen sie mit, es war eine lange Reise, fast 1300 Kilometer mit dem Bus. Die Freunde zogen von Bukarest weiter nach Israel, Ludmilla aber bekam kein Visum: Sie selbst ist keine Jüdin, ihr jüdischer Mann vor Jahren schon verstorben.
Junge Leute hören, wenn die Oma nachts manchmal weint
So kommt es, dass die „Casa Juda“ des Kindernothilfe-Partners Concordia nun eine Babuschka hat. Sie kümmern sich hier vor allem um junge Menschen, das ist ihre Aufgabe, aber sie konnten der „Oma“ nicht sagen, dass sie gehen muss. Sie wollen sie auch nicht verlieren. „Ich mache nichts“, sagt sie selbst bescheiden, „nur putzen und die Blumen gießen.“ Bei Concordia sagen sie, die Babuschka habe einen grünen Daumen. Und eben dieses große Herz: „Die Kinder vermissen ihre Großeltern“, sagt Ludmilla, und sie vermisst ja auch ihre Enkelin. Sogar Chefin Stefania flieht manchmal in ihre Arme, wenn ihr der Schmerz der Kleinen zu viel wird. Und die jungen Leute im Zentrum passen auf die Babuschka auf: Sie hören es, wenn die Oma in der Nacht manchmal weint.
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30 Schlafplätze haben sie in diesem Haus, eigentlich für junge Leute, die sonst keine Chance hätten in Rumänien. Die Kinderarmut ist groß, fast die Hälfte der Kinder im Land leide, sagt Diana Certan von Concordia. „Wir sind zwar in der EU, aber praktisch immer noch Jahre zurück.“ Mit 18 fallen Jugendliche ohne Eltern oder solchen, die sich nicht kümmern können, aus dem ohnehin nicht sehr eng geknüpften sozialen Netz. Es gibt dann, sagen sie bei Concordia, „ein großes Risiko, auf der Straße zu landen“. Aber hier lehrt man sie das Leben. Rechte und Pflichten, morgens aufstehen, saubermachen, mit Geld umgehen, zählt Direktorin Elena Matache auf. „Dinge, die sie normalerweise von ihren Eltern lernen sollten.“ Und man vermittelt ihnen Jobs als Bäcker, Köchin, Kellner oder in der Landwirtschaft. „Eine Lebensaufgabe.“
Es gab nicht einmal einen Bus von der ukrainischen Grenze nach Bukarest
Doch dann kamen Ende Februar die Flüchtlinge aus der Ukraine, die Leute von Concordia schleppten Matratzen, räumten für Betten ihre Büros, besorgten Spiele für die Kinder, es war „ein Ameisenhaufen“ in der Casa Juda. Das Telefon von Elena Matache schellte 24 Stunden am Tag, die Anrufe kamen vom Flughafen und vom Bahnhof in Bukarest: Es gab nicht einmal eine Busverbindung von der ukrainischen Grenze, nach nirgendwo. Die Menschen, die sie aufnahmen, seien unter Schock gewesen, hätten „unablässig geweint“. Geschichten erzählten sie von Bomben, Zerstörung und vielen Toten.
Im Programm von Concordia steht „Unterbringung“, aber es ging von Beginn an um medizinische Versorgung, das Besorgen von Dokumenten, Familienzusammenführungen – und das ohne Russisch oder Ukrainisch. Stefania Diaconu sagt, sie habe den Menschen in die Augen gesehen und zugehört. „Wir verstanden nichts, aber wir teilen ihre Tränen.“ Sie haben viel Erfahrung mit menschlichen Tragödien in dieser Einrichtung, trotzdem können sie die Geschichten kaum erzählen, ohne emotional zu werden.
Mehr als 1000 Kinder und ihre Mütter haben sie seit dem Frühjahr versorgt. Aber es kommen auch viele alte Menschen aus der Ukraine: Manche sind noch nie gereist, haben nie die Heimat verlassen – und wissen also gar nicht, wie das geht. Ein Ehepaar haben sie die ganze Nacht gesucht, die beiden hatten einander verloren. „Sie waren noch nie außerhalb ihres Dorfes.“ Nach einem kranken 80-Jährigen, dessen Weiterreise nach Griechenland die Tochter organisiert hatte, fahndeten sie mit Hilfe von Taxifahrern und einem Foto: Man hatte ihn in eine andere Flüchtlingsunterkunft gebracht. Und dann kam die Babuschka.
Junge Rumänen finden neue Aufgabe
Die Casa Juda ist auch am Jahresende noch ein Ameisenhaufen, die kleinen Kinder basteln, heute ist ein Trommler da, der mit ihnen Musik macht und ordentlich Krach. In der Mitte steht Ludmilla mit der kleinen Mascha auf dem Arm. Und im einzigen Raum, den sie schon wieder freiräumen konnten, packen Anastasia, 25, Mihail und Leyla, beide 22, Rucksäcke mit Malstiften und Heften. Seit die Ukrainer da sind, sich mit ihnen die Schlafplätze teilen, haben die jungen Rumänen eine neue Aufgabe gefunden: Sie kümmern sich liebevoll um die Flüchtlingskinder. „Ich fühle mich wichtig“, sagt Anastasia. „Ich habe das Gefühl, dass ich etwas tun kann“, sagt Mihail. Und Leyla, die aus dem Waisenhaus zu Concordia zog, ist unendlich stolz: „Dass ich gefragt werde zu helfen.“
Von den Kindern und von der Babuschka haben die drei ein bisschen Russisch gelernt, zuerst das Wort, das auch die ukrainischen Flüchtlinge so oft sagen: „Spasibo“ – Danke.
>>SO KÖNNEN SIE HELFEN
Spendenaktion- Trost für die Kriegskinder aus der Ukraine
Viele Flüchtlinge aus der Ukraine sind in den vergangenen Monaten nach Deutschland gekommen, noch viel mehr aber erreichten die Republik Moldau und Rumänien: über die nächste rettende Grenze. Dort packten Hilfsorganisationen, die sich sonst um Jugendliche am Rande der Gesellschaft kümmern, sofort mit an: Sie sorgen für Unterkünfte, Lebensmittel, Kleidung, inzwischen aber auch für Betreuung und Unterricht für die Kinder. Wenige Tage nach Kriegsbeginn knüpfte auch die Kindernothilfe Kontakte, über ihre Partner hat sie seither 20.000 Kinder erreicht.
Hier können Sie, liebe Leser, mithelfen, den kleinen Familien fehlt es oft am Nötigsten, nur von Heimweh und Kummer haben sie viel. Die Bankverbindung der WAZ-Weihnachtsspendenaktion 2022 ist dieselbe wie in vergangenen Jahren:
Kindernothilfe e.V.
Stichwort: Ukrainehilfe
IBAN: DE4335 0601 9000 0031 0310
BIC: GENODED1DKD (Bank für Kirche und Diakonie)