Bukarest. Geboren auf der Flucht, im fremden Land das Lachen neu gelernt: Geschichten von ukrainischen Kindern und ihren Müttern, die viel Hilfe erfahren.

Larissa und Daniil, Yulia, Xenia, Aleks, Lilya oder Kira, alle diese Kinder. Zuhause in Odessa, Cherson, Charkiw, Mikolajiw, in all’ diesen Städten in der Ukraine, die der Westen oft erst durch den Krieg kennengelernt hat. Von dort sind sie geflohen, viele haben mit ihren Müttern Zuflucht gefunden gleich jenseits der rettenden Grenze: in den Nachbarländern Rumänien und Moldau. Für die Weihnachtsspenden-Aktion von WAZ und Kindernothilfe erzählen wir ihre Geschichten.

Swetlana bekam auf der Flucht Zwillinge

Die Polizei eskortierte sie ins Krankenhaus: Swetlana bekam ihre Zwillinge auf der Flucht.
Die Polizei eskortierte sie ins Krankenhaus: Swetlana bekam ihre Zwillinge auf der Flucht. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Swetlana aus Charkiw war schwanger, als die Russen kamen. Sie wartete noch ein paar Tage, hörte die Bomben einschlagen in ihrer Straße – bis der Frauenarzt ihr sagte, sie würde ihre Kinder im Bunker bekommen müssen. Sie flohen in ihrem alten Dacia, Swetlana, ihre beiden Großen, zehn und zwölf Jahre alt, die Dreijährige und auch Andrej, ihr Mann: Der durfte mit, weil Väter von mindestens drei Kindern die Ukraine verlassen dürfen. Sie waren noch nie verreist und schon gar nicht ins Ausland.

Sie hatten gerade die rumänische Grenze überquert, da setzten die Wehen ein. Vier Wochen zu früh, Swetlana sagt: durch den Stress. Andrej hielt an, fragte einen Polizisten: Wo man denn hier Kinder bekommen könne? Man brachte Swetlana mit Martinshorn ins Krankenhaus und ihre Familie ins Krankenzimmer nebenan, es wurden Georgi geboren und Leonid. Die Zwillinge sind jetzt acht Monate alt. Die Bürger der Grenzstadt brachten Geschenke, und Swetlana ist unendlich dankbar.

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Weil sie selbst so viel Hilfe bekam, auch jetzt in Bukarest, haben sie und ihr Mann ihr Haus in Charkiw einer anderen Familie überlassen, die ausgebombt ist. Mitgenommen hat sie nur eine Dokumentenmappe und die Pässe. „Die Russen zerstören alles“, sagt die 35-Jährige traurig, das Hospital, das sie ausgewählt hatte für die Geburt, gibt es nicht mehr. Aber alles wird gut enden, da ist sie sicher. Vorerst hat Andrej einen Job als Autolackierer gefunden, die älteren Kinder gehen in die Schule. Und Yuri, der Zehnjährige, spielt Fußball, er ist in der rumänischen Mannschaft der Stürmer. Die Menschen in Bukarest, sagt Swetlana, „haben ein großes Herz“. Nur wenn sie mit daheim telefoniert, tut es immer wieder weh. „Die Kinder wollen nach Hause.“

Nika will nicht mehr nach Hause zurück

Nika wollte nicht weg aus Odessa, sie war sicher, „es würde alles gut mit uns“. Acht Monate harrte sie aus, aber die Bomben, sagt die 33-Jährige, wurden immer lauter, die wirtschaftliche Situation immer schlechter, die Zukunft für ihre Kinder immer schwieriger. Ihre Kinder: Sascha, der Zehnjährige, der nicht mehr auf den Spielplatz mochte, weil seine Freunde alle fort waren. Yulia und Xenia, die Zweijährigen, die lange nicht gesprochen haben, kein Wort. Die Spannung, der Krach, die Sirenen, vermutet Nika, dabei hat sie versucht, die Kinder ihre Sorgen nicht spüren zu lassen.

DIe Zwillinge wollten nicht sprechen, nun spielen sie wieder: Nika aus Odessa mit Ehemann Ivan und den Kindern.
DIe Zwillinge wollten nicht sprechen, nun spielen sie wieder: Nika aus Odessa mit Ehemann Ivan und den Kindern. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Sie wollten ihr Haus nicht verlassen, nicht die Eltern, aber nun, da sie doch weg sind aus der Ukraine, kann ihnen kein Ort der Welt weit genug weg sein. Nika und ihr Mann Ivan, 35, glauben nicht, dass sie jemals zurückkehren werden nach Hause. „Wir starten bei Null“, sagt Nika, und sie werden zurechtkommen. Nika kann gut backen, Ivan „kann alles“. Vorerst strandeten die Fünf in Bukarest, Rumänien. Im Schutzhaus des Kindernothilfe-Partners Concordia haben sie zum Schlafen zwei Matratzen zusammengelegt. Die Kinder spielen mit Handpuppen, und selbst dem schweigsamen Sascha geht es gut, nach einem Schuljahr mit Corona, einem halben mit Krieg und nun gar keiner Schule mehr: „So lange nur die Familie um ihn herum ist.“

Es ist immer Trubel im Haus, aber Nika findet diese zweite Zwischenstation nach dem Flüchtlingslager „relaxing“. In Bukarest, sagt sie, sind Flugzeuge am Himmel normal. In Odessa brachten sie den Krieg.

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Natalias Auto mit den Töchtern darin wurde auf der Flucht beschossen

Natalia hatte nicht gerechnet mit dem Krieg, und als er kam, blieb sie trotzdem noch zwei Monate, in einem Keller. Sie sagt, sie habe gar nicht groß nachgedacht: Ihre Eltern sind auch in Cherson, ihr Mann kämpft an der Front, da geht man doch nicht weg? Es gab keine Lebensmittel, keine Medikamente mehr zu kaufen und erst nach Wochen wieder Brot, aber dann kam dieser Bombenangriff, ganz nah. „Es musste etwas passieren.“ Natalia, 35, geriet in Panik und nutzte „unsere letzte Chance“: einen Korridor nach draußen, sie hatten eine Viertelstunde. Socken, Wäsche, Sportklamotten warf sie in eine Tasche und ein paar Butterbrote für die beiden Töchter – die nahmen die Russen ihr an der ersten Kontrolle weg.

Sie denken lieber nicht an die Eltern, an den Mann und Vater und auch nicht an die Katze in Cherson: Natalia mit ihren Töchtern.
Sie denken lieber nicht an die Eltern, an den Mann und Vater und auch nicht an die Katze in Cherson: Natalia mit ihren Töchtern. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Es war kalt noch im April, der Fluchtweg war nicht sicher, das wusste Natalia. Aber kam noch schlimmer: Bei Mikolajiw wurde ihr Auto beschossen, mit Sofia, 6, und Aleksandra, 10, darin. Sie schoben es zu einer Werkstatt, die wechselte die Reifen. Erst in Odessa gab es auch neue Scheiben. Eine Woche dauerte es, bis die Drei die rumänische Grenze erreichten. „Was hast du gegen die Russen?“, wurde Natalia gefragt, sie weiß nicht mehr, was sie geantwortet hat.

Natalia, die Bäckerin, Sofia und Aleksandra sind jetzt in Bukarest, sie haben eine winzige Wohnung gefunden: mit Bett, Tisch, Kühlschrank und Bügeleisen. Heute bringen die Helfer des Kindernothilfe-Partners Concordia einen Gutschein, den sie eintauschen können gegen etwas zu essen. Und zwei Rucksäcke für die Mädchen: mit Heften, Stiften, Malbüchern, Tintenpatronen. Die kleine Sofia breitet alles auf dem Bett aus und sitzt mitten darin, „wie viel ist das, Milliarden“?

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Natalia freut sich mit ihr, aber sie denkt viel an ihre Eltern. Manchmal hat sie tagelang keinen Kontakt, „es ist niemand mehr dort, der ihnen hilft“. Sie selbst kann es auch nicht, von Rumänien aus. „Wenn du sie jeden Tag siehst, schätzt du sie zu wenig. Jetzt verstehen wir, was wertvoll ist im Leben.“ Auch die Kinder vermissen Oma und Opa. Und den Papa. Und die Katze: Sie heißt Tannenbaum.

>>SO KÖNNEN SIE HELFEN

Bis Weihnachten haben die Leserinnen und Leser der WAZ bereits unglaubliche 450.000 Euro für die diesjährige Spendenaktion ihrer Zeitung und der Kindernothilfe gegeben. Wir danken sehr herzlich dafür!

Viele Flüchtlinge aus der Ukraine sind in den vergangenen Monaten nach Deutschland gekommen, noch viel mehr aber erreichten die Republik Moldau und Rumänien: über die nächste rettende Grenze. Dort packten Hilfsorganisationen, die sich sonst um Jugendliche am Rande der Gesellschaft kümmern, sofort mit an: Sie sorgen für Unterkünfte, Lebensmittel, Kleidung, inzwischen aber auch für Betreuung und Unterricht für die Kinder. Wenige Tage nach Kriegsbeginn knüpfte die Kindernothilfe auch nach Charkiw in der Ukraine selbst Kontakte. Über ihre Partner hat sie seither 20.000 Kinder erreicht.

Hier können Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch weiterhin mithelfen, den kleinen Familien fehlt es oft am Nötigsten, nur von Heimweh und Kummer haben sie viel. Die Bankverbindung der WAZ-Weihnachtsspendenaktion 2022 ist dieselbe wie in vergangenen Jahren:

Kindernothilfe e.V.

Stichwort: Ukrainehilfe

IBAN: DE4335 0601 9000 0031 0310

BIC: GENODED1DKD (Bank für Kirche und Diakonie)