Essen/Ruhrgebiet. Mit viel Aufwand halten die Städte die EU-Vorgaben ein. Kommt nun die Verschärfung der Grenzwerte, könnte dies erneute Klagen bedeuten.
Die EU-Kommission will die Grenzwerte für Luftschadstoffe mindestens halbieren bis 2030. Dieses Vorhaben stellt das Ruhrgebiet vor große Herausforderungen. Stand jetzt übertrifft die flächendeckende Belastung mit Stickstoffdioxid in der Region fast überall die geplanten Vorgaben. An vielbefahrenen Straßen liegt die Last fast doppelt so hoch. Die bereits beschlossenen Maßnahmen dürften nicht ausreichen, um die neuen Grenzen einzuhalten, warnen Experten. Es drohen neue Klagen seitens der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die in Fahrverboten münden könnten – womöglich in deutlich mehr Städten als bislang.
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Seit Jahren drängt die DUH auch mit Prozessen auf Einhaltung der EU-Grenzwerte. Die Gerichte sahen zuletzt die Umweltschützer im Recht, als schnellstmögliche Maßnahme drohten Fahrverbote für Dieselfahrzeuge. Bis 2021 schlossen darum alle 14 beklagten Städte in NRW sowie das Land Vergleiche mit der DUH. Gelsenkirchen etwa sperrte die Kurt-Schumacher-Straße an der Arena für Lkws, will mehr Fahrradstraßen schaffen, zudem sollen die städtischen Fahrzeuge und die Bogestra-Busse sauberer werden.
„Lokale Maßnahmen und Tempo-Limits werden nicht ausreichen“, warnt nun DUH-Verkehrsexperte Robin Kulpa. „Man wird sich darüber nicht erst 2030 Gedanken machen müssen, sondern schon jetzt. Wir brauchen viel weniger motorisierten Straßenverkehr. Und der verbleibende muss sauber werden. Es sind große Investitionen in Bus und Bahn notwendig, auch zwischen den Städten. Die Fahrradfahrer und die Fußgänger müssen gestärkt werden. Aufgabe des Bundes ist es, die Erneuerung und Nachrüstung der Fahrzeugflotte voranzutreiben.“
Das sagt der ADAC
Hier gibt es Schnittmengen mit dem Automobil-Club ADAC. „Die Gesundheit der Menschen steht an erster Stelle, deswegen müssen die Städte ihre Hausaufgaben machen“, erklärt NRW-Sprecher Johannes Giewald. Auch er nennt die Verbesserung des ÖPNV und die Stärkung des Radverkehrs. Der ADAC sieht aber Software-Updates und Hardware-Nachrüstungen bei der Abgasreinigung als Schlüssel. Allein die verpflichtenden Updates würden den Stickoxid-Ausstoß von Diesel-Fahrzeugen nach Untersuchungen des Kraftfahrt-Bundesamtes um 40 Prozent senken, die freiwilligen um 60 Prozent. Es sei nötig, dass nach den Nachrüstsystemen für Euro-5-Diesel „zügig Lösungen für weitere Modelle folgen, vor allem für Importmarken“.
Zudem setzt der ADAC auf die generelle Flottenerneuerung, auf intelligente Ampelsysteme und den Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos. Doch klar ist auch: „Der Druck würde steigen, wenn die EU-Pläne verwirklicht werden“, sagt Giewald. „Je früher man aktiv wird, desto besser – auch um lokale Fahrverbote zu verhindern. Die Einschränkung von Mobilität sollte immer das allerletzte Mittel sein.“
Ob die Vorschläge der EU-Kommission akzeptiert oder im Gesetzgebungsverfahren verändert werden, ist offen – eine Bewertung sei darum noch nicht möglich, erklärt das NRW-Umweltministerium. Es werde aber diskutiert, „ob absehbar ausreichend wirksame Maßnahmen zur Verfügung stehen werden, um die vorgeschlagenen Werte bis zum Jahr 2030 zu erreichen.“
Nur noch zwei Stellen bundesweit reißen die Messlatte
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Die Luftbelastung ist in den letzten Jahren stetig gesunken, vor allem weil alte Autos aus der „Flotte“ ausscheiden und die neuen viel sauberer sind. Das ist der Hauptgrund, warum es nur noch zwei Orte in Deutschland gibt, an denen die Jahresmittel für Stickstoffdioxid überschritten werden: in München und in Essen, nahe der A 40. Aber Hagen, Dortmund und Düsseldorf könnten sich dazugesellen. Denn erfahrungsgemäß steigen im letzten Quartal die Emissionen. „Auch weil die illegalen Abschaltvorrichtungen in Dieselfahrzeugen bei Kälte aktiv werden“, erklärt Robin Kulpa von der DUH. Gelsenkirchen liegt mit 31 Mikrogramm bereits komfortabel unter der Schwelle.
Auch die Stadt Essen verweist auf diesen Trend. Doch den Planern ist ebenfalls klar, dass dies nicht ausreichen würde, wenn die EU tatsächlich die neuen Grenzwerte beschließt. Beim Stickstoffdioxid wäre im Jahresmittel nur noch die Hälfte der heutigen Belastung erlaubt (20 statt 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft) und beim Feinstaub noch weniger (zehn statt 25 Mikrogramm).
Allerdings liegt in dicht besiedelten Räumen wie dem Ruhrgebiet allein schon „die Hintergrundbelastung mit Stickstoffdioxid fast überall über dem künftigen Grenzwert von 20 Mikrogramm und ist nachweislich gesundheitsschädlich“, erklärt Robin Kulpa von der DUH. Damit ist die flächendeckende Verschmutzung gemeint, zu der die lokalen Abgase etwa an vielbefahrenen Straßen hinzukommen. Sie wird an eher abgelegenen Stationen gemessen. Selbst im ländlich geprägten Essener Süden, in Schuir, werden noch 25 Mikrogramm erreicht, im nördlichen Vogelheim 23 Mikrogramm. In Gelsenkirchen-Bismarck sind es 20 Mikrogramm.
Auch Holzöfen und Oldtimer im Visier
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Natürlich trägt dazu nicht nur der Verkehr bei. Die DUH fordert darum zum Beispiel, dass Holzöfen mit Partikelabscheidern ausgerüstet oder abgeschaltet werden müssen. Die Landwirtschaft trägt über ihren Ammoniakausstoß ebenfalls beträchtlich bei zur Feinstaubbelastung. Auch hier seien strengere Vorgaben notwendig, erklärt Kulpa.
Die Abgasreinigung sollte bei älteren Fahrzeugen nachgerüstet werden müssen, sagt Kulpa, insbesondere bei den vom Dieselskandal betroffenen. Die DUH klagt derzeit gegen das Kraftfahrt-Bundesamt, weil dieses den Weiterbetrieb der illegalen Abschalteinrichtungen genehmigt hatte. Auch die zweijährliche Abgasuntersuchung sieht die DUH als Ansatzpunkt: „Es sollte nicht nur der Bordcomputer ausgelesen werden, es müssen die tatsächlichen Abgase gemessen werden“, sagt Kulpa.
Auch Oldtimer stehen auf dem Prüfstand. „Es werden nun Fahrzeuge zu Oldtimern, die vor 30 Jahren millionenfach gebaut wurden und natürlich mehr Schadstoffe ausstoßen. Die Oldtimer-Regelung sollte man dringend überdenken“, erklärte Kulpa, räumt aber auch ein, dass Oldtimer in der Regel seltener gefahren werden.
Allerdings machen auch E-Autos nicht alles besser. Sie produzieren ebenfalls Feinstaub. „Der Abrieb an Reifen ist eher schlechter, weil E-Autos schwerer sind“, erklärt Kulpa. „Dafür ist der Bremsabrieb besser, weil der Motor viel bremst und die Energie zurückgewinnt. Was genau mehr E-Autos für die Feinstaubbelastung bedeuten, ist aber schwer vorherzusagen. Sie stoßen allerdings kein Stickoxid aus, in dieser Hinsicht sind sie natürlich gut.“
Klagen der Deutschen Umwelthilfe schon 2026 möglich
Spätestens 2026 müssten die Bundesländer nach den EU-Plänen Luftreinhaltepläne veröffentlichen, wie sie die neuen Werte ab 2030 einhalten wollen. Sollte ein Land dies versäumen oder sollte der Plan das Erreichen des Ziels erst viel später vorsehen, könnte die Deutsche Umwelthilfe schon zu diesem Zeitpunkt klagen, erklärt Kulpa. Wir hoffen natürlich, dass wir nicht klagen müssen. Klagen sind immer die letzte Wahl.“
Sein aktuelles Problem will München etwa mit einen Stufenplan lösen. Zuerst werden im Februar die Euro-4-Diesel verbannt (die in der Umweltzone Ruhrgebiet noch fahren dürfen). Wenn das nicht genügt, folgt im Herbst das Fahrverbot für Euro 5. Und so wird Ende nächsten Jahres wohl nur Essen als einzige Problemzone der Republik übrigbleiben. Wobei selbst die Deutsche Umwelthilfe zugesteht, dass „Essen eine der herausforderndsten Rahmenbedingungen hat mit einer so viel befahrenen innerstädtischen Autobahn“.
Deckel über A40 ist vom Tisch
Über einen Deckel für die A40 wurde lange diskutiert. Diese Lösung scheint jedoch vom Tisch. Dort, wo derzeit die höchsten Werte gemessen werden, verläuft die Autobahn nicht mehr in Troglage. Und laut Stadt Essen wird eine kurzfristige Lösung gesucht. „Tempo 60 ist eine Option, die seitens der Stadt, des Umweltministeriums und der Bezirksregierung verfolgt wird“, erklärt ein Stadtsprecher. Die Autobahn GmbH lehnt dies aber ab.
Weiterhin schlägt die DUH vor, die Taktung der Bahnen zu erhöhen, die parallel zur A40 fahren. Tatsächlich beschäftigt sich der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) in seinem Strategiekonzept „Verkehr und Mobilität 2030 / 2045“ mit den bisherigen Klimazielen. Eine Umsetzung, erklärt die Stadt Essen, würde einen „großen Beitrag zur Problemlösung“ leisten. In jedem Fall sieht auch die Stadt die Einhaltung der künftigen Grenzwerte als „neue Herausforderung“ und beobachtet die Entwicklung genau.