Gelsenkirchen. Die Weltgesundheitsorganisation hat neue Leitlinien für Luftschadstoffe gesetzt. Wie Gelsenkirchen bei dem neuen Maßstab abschneiden würde.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat neue Leitlinien zur Luftqualität veröffentlicht. Vor allem die Schadstoff-Belastungen mit Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2), durch die laut EU-Umweltagentur EEA 2020 fast eine Viertelmillion Menschen vorzeitig durch Herzkrankheiten, Schlaganfälle aber auch Lungenkrebs starben, müssten demnach deutlich gesenkt werden. Alarmierend: Wären die Empfehlungen verpflichtend, so hätte Gelsenkirchen in den vergangenen drei Jahren die Grenzwerte größtenteils schon überschritten.
Vergleich mit neuen WHO-Leitlinien: Gelsenkirchen läge über den Grenzwerten
Der von der WHO empfohlene Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid liegt bei zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, zuvor lag die Grenze bei 40 Mikrogramm. So hoch ist bislang auch der rechtlich bindende Grenzwert, den die Europäische Union (EU) vorschreibt.
Beim Feinstaub sollte der WHO zufolge die Langzeitbelastung mit kleinen Partikeln (PM2,5) bei höchstens fünf statt bisher zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen. Bei den etwas größeren Partikeln (PM10) empfiehlt sie nun 15 statt bisher 20 Mikrogramm. Auch hier liegen die aktuellen EU-Grenzwerte deutlich darüber: nämlich bei 25 Mikrogramm für PM2,5 und 40 Mikrogramm für PM10.
In Gelsenkirchen werden Feinstaub und Stickstoffdioxid an drei zentralen Messstellen erfasst: an der Kurt-Schumacher-Straße, mit etwa 30.000 Fahrzeugen täglich eine der verkehrsträchtigsten Achsen der Stadt, an der Grothusstraße und am Trinenkamp (siebe Tabelle).
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Legte man die Vorgabe der WHO-Experten zugrunde, so hätte Gelsenkirchen bis auf zwei Ausnahmen alle Grenzen in den vergangenen drei Jahren durchbrochen (und davor), teilweise sogar überdeutlich. Das gilt allerdings für viele andere Städte hier und anderswo in der EU und der Welt.
Dass andere rechtlich bindende Grenzwerte (und vielfach nicht eingehaltene) gelten, hat einen politischen Hintergrund und ist ein Kompromiss. Insbesondere Mitgliedsstaaten, die auf Kohle als Energielieferant setzen, hätten kaum Chancen, die Ziele halbwegs zu erreichen. Hierzulande sind beispielsweise 35 Überschreitungstage erlaubt, bei denen die Konzentration von PM10-Partikeln über 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft betragen darf.
Neben den rund 240.000 vorzeitigen Todesfällen infolge der Feinstaubbelastung waren nach Angaben der EEA 49.000 Todesfälle auf chronische Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) sowie 24.000 auf die Belastung mit bodennahem Ozon (O3) zurückzuführen.
Vorzeitige Todesfälle durch Luftschadstoffe: Herz- und Lungenkrankheiten, Krebs
Schadstoffe in der Luft seien trotz zuletzt verbesserter Luftqualität in den EU-Staaten nach wie vor die größte von der Umwelt ausgehende Gesundheitsgefahr, hatte die Umweltagentur mitgeteilt. Sie seien einer der Hauptgründe für frühzeitige Todesfälle und Erkrankungen. Herzkrankheiten und Schlaganfälle seien die am häufigsten darauf zurückgehenden Todesursachen, gefolgt von Lungenkrebs und anderen Lungenkrankheiten.
Bei der Festlegung der neuen Leitlinien, 15 Jahre nach der letzten Anpassung, hatte die WHO die PM2,5-Partikel im Blick. Sie sind besonders gefährlich. Diese winzigen Teilchen können unter anderem bis in die Lungenbläschen gelangen und das Organ nachhaltig schädigen.
Forscher: Feinstaub ist „größte Gesundheitsgefahr“
Kanadische Forscher hatten jüngst in einer Studie festgestellt, dass selbst bei der relativ sauberen Luft dieses Landes in einem Zehn-Jahres-Zeitraum 710 Menschen pro eine Million Einwohner weniger sterben würden, wenn die fünf größten Luftverschmutzer Kanadas (Verkehr, Industrie, Energiegewinnung etc.) ihren Feinstaubausstoß um jährlich zehn Prozent reduzieren würden.
„Feinstaub in der Umgebungsluft ist die weltweit größte umweltbedingte Gesundheitsgefahr und weltweit für schätzungsweise 4,1 Millionen vorzeitige Todesfälle im Jahr 2019 verantwortlich“, schreiben die Forscher.
Nach den Plänen der EU soll Belastung durch Feinstaub mit einer Partikelgröße von bis zu 2,5 Mikrometer erst im Jahr 2030 um mehr als die Hälfte reduziert werden, und zwar von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel auf zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel. Das ist immer noch doppelt so hoch, wie die WHO empfohlen hat.