Ruhrgebiet. Bisher stürzte die Emscher aus ihrem Kanal in den Rhein. Jetzt hat sie wieder eine natürliche Mündung. Das Ende des Umbaus ist das aber nicht.
Auf der blauen Brücke drängen sich die Menschen in mehreren Reihen, Anlieger, Nachbarn, aus Voerde, aus Dinslaken, hunderte. Viele sind mit Fahrrädern, Fotohandys und ganz viel Sympathie gekommen für das, was hier gleich geschieht - eine erstaunliche Resonanz für ein rein wasserwirtschaftliches Geschehen.
Man kann es natürlich aber auch romantisch sehen. Die Emscher zieht um. „Wir kennen die Emscher, seit wir Kinder waren“, sagen Werner Emde und Dirk Lohmann oben auf der Brücke und erinnern sich an den Geruch „von Persil und Waschmitteln“, der von ihr ausging. Nun verlegt die Emschergenossenschaft zum vierten Mal in der Geschichte ihre Mündung: eine natürliche Mündung für einen wiederbelebten Fluss. Es soll die letzte sein, die endgültige. Jemand sagt: „Die Emscher küsst den Rhein.“
„Aus dem Hinterhof wird ein Vorne durch die neuen Landschaften“
11.54 Uhr ist es am Mittwochvormittag, als Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) eine Handsirene auslöst. Hundert Meter hinter ihm heben daraufhin zwei Bagger eine Klappe an: Und dann strömt die Emscher, die dahinter schon angestaut gewartet hat, endlich durch ihr neues Bett in Richtung Rhein. Die offene Kloake ist wieder Fluss und stürzt nicht mehr, wie bisher 500 Meter weiter südlich, aus dem kanalisierten Lauf sechs Meter tief in den Rhein. Was das angeht, sind die beiden nun - ebenbürtig.
„Aus dem Hinterhof wird ein Vorne durch die neuen Landschaften, die Radwege, die neue Mündung“, hat Wüst zuvor bei einem Festakt in einem großen weißen Zelt gesagt. Es gibt dort Kaffe und Kuchen, Kartoffelsuppe und freundliche Worte: „Wir werden in den nächsten Jahren miterleben, wie sich wieder ein gesunder, natürlicher Fluss entwickelt“, sagt Wüst.
In vier Revierstädten bekommt die Emscher Strände
Und nicht nur das. Die Idee vom Emscherstrand, die der Vorstandsvorsitzende der Emschergenossenschaft, Ulrich Paetzel, im WAZ-Interview entwickelt hat, die wird konkret: Es werden in den nächsten Jahren gleich vier Strände an der Emscher entstehen. In Gelsenkirchen im Nordsternpark und in Castrop-Rauxel am Wasserkreuz; in Bottrop und Oberhausen suchen sie noch passende Abschnitte. Freilich wird man dort auch mit Strand vermutlich noch Jahre nicht baden dürfen wegen der Wasserqualität. Also zurück in die Gegenwart.
Ein wasserwirtschaftliches Projekt: Denn noch sind die neue Mündung und das Delta eine Mondlandschaft. Einen von drei Flussarmen müssen sie noch ausbauen, müssen am Ufer arbeiten, den alten Emscher-Lauf zuschütten. Das ist alles eine große Baustelle. Nur die Pflanzen und Tiere kommen später ganz von selbst, und eine Art Fischtreppe wird denselben erlauben, vom Rhein in die Emscher zu wandern. Die neue Mündung, sagt Paetzel, schafft die Voraussetzung für die Ansiedlung neuen blaugrünen Lebens im zentralen Fluss des Ruhrgebiets“.
Zunächst noch Baustelle: In etwa einem Jahr wird das Delta für Besucher geöffnet
Die normalen Leute werden sich noch etwas gedulden müssen. Einweihung und Freigabe des Deltas? Vielleicht in einem Jahr. Wenn Sie sich das vorher anschauen wollen: Von der Brücke Hagelstraße hat man einen ganz guten Blick, im Hintergrund sind der Rhein und das Kraftwerk Voerde zu sehen. Das versprochene Bürgerfest? 2024. Kommt jetzt aberauch nicht mehr drauf an, der Umbau des Emscher-Systems hatte ja schon 1991 begonnen.
Zumindest der letzte. Vor 130 Jahren war sie ja umgekehrt umgebaut worden, vom Fluss zum Kanal. Ihre erste, originale Mündung lag in Duisburg; 1910 wurde sie innerhalb Duisburgs nach Norden verlegt wegen Bergsenkungen, 1949 wegen weiterer Bergsenkungen nördlich nach Dinslaken, und jetzt ist sie die Stadtgrenze zwischen Dinslaken und Voerde. Ein Fluss zieht um - wo ist die Nachricht?
Als alles gesagt ist und das Wasser fließt, verläuft sich auch die Menschenmenge von der Brücke. Drei Generationen Frauen gehen weg, sagt die Mutter zum Kinde: „Da haben wir der Oma Mia aber was gezeigt!“ Und ein älteres Paar, er zu ihr: „Aus der Köttelbecke wird ein Naherholungsgebiet. Da fahren wir mal einen Sonntag in Ruhe hin.“