Essen. Ein Gerichtsurteil zeigt auf, wie dem kranken Schalke-Manager die Kontrolle über sein Leben abgenommen wurde. Die Chronik einer Tragödie.
„Wenn der Schnee geschmolzen ist, siehst Du, wo die Kacke liegt.“ So hat Rudi Assauer oft die Welt erklärt. Es hätte den Architekten des modernen Schalke 04 wohl nicht überrascht, dass der Satz nun so oft zitiert wird, um das Knäuel aus Prozessen, Ermittlungen und öffentlichen Vorwürfen zu beschreiben, das sein Umfeld nach seinem Ableben entzweit. Die drehen sich um eine „Entführung“ und eine Scheidung wider Willen, um Erbschleicherei, Betreuungsmissbrauch und den Verbleib von zwei Millionen Euro. Das Amtsgericht Recklinghausen hat vorige Woche ein Urteil gefällt, welches das Potenzial hat, diesen Knoten zu zerschlagen. Es hat das Testament des Rudi Assauer für ungültig erklärt, weil er aufgrund seiner Demenz nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen sei, als er es ändern ließ. Dies berührt die zentrale Frage in der Akte Assauer, die eigentlich ein ganzer Aktenschrank ist: Wurde der kranke Mann ausgeplündert?
Die Heirat
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Für die Schalke-Fans ist es eine Überraschung, als Assauer, der Uefa-Cup-Held und Bauherr der Arena, im Mai 2006 als Manager zurücktritt. Tatsächlich beeinträchtigt die Krankheit schon länger seine Arbeit, was zu Spekulationen über Alkoholprobleme führt. Assauer lässt die Diskussion laufen, sie dürfte für ihn das kleinere Übel sein. Eine offizielle Alzheimer-Diagnose bekommt er erst 2010.
In diesem Jahr sitzt Assauer auch in der Jury einer Miss-Germany-Wahl im Europa-Park-Rust. Doch entscheidend ist diesmal neben dem Platz: Hier trifft er Britta Idrizi, die für einen Fernsehsender dort ist. Im April 2011 heiratet Idrizi den 21 Jahre älteren Mann im Gelsenkirchener Schloss Horst. Trauzeugen gibt es nicht, als Gäste fungieren ihre zwei Malteser „Connor“ und „Leon“. Rudi Assauer blickt zwar routiniert in die Kamera, doch sein Blick ist nicht mehr derselbe. Erst acht Monate später wird er seine Demenz öffentlich machen. Doch Familie und Freunde wissen darum und empfinden diese Ehe, die zunehmend öffentlich ausgestellt wird, als kurios, gelinde gesagt – und nur so ist zu erklären, was nun geschieht.
Die „Entführung“
Am 25. November 2011 kündigt Rudi Assauer seiner langjährigen Sekretärin Sabine Söldner. Doch diese erkennt die Kündigung nicht an. Sie schreibt an Britta Assauer: „Wie Sie wissen, ist ihr Ehemann nicht mehr in der Lage, für sich allein rechtsgültige Erklärungen abzugeben.“ Am 12. Dezember fährt Britta Assauer zum Anwalt ihres Mannes, im Glauben diesen Streitfall zu besprechen. Doch es erwarten sie fünf Personen, so erzählt es Britta Assauer, wollen sie dazu bringen eine Trennungsvereinbarung zu unterzeichnen, hindern sie zu telefonieren und versperren ihr den Weg nach draußen. Von anderer Seite ist zu hören, dass nur lange verhandelt wird, bis sie unterschreibt. Als sie jedenfalls nach Hause zurückkehrt, ist Rudi Assauer verschwunden.
Die Polizei findet ihn schließlich im Haus seiner ältesten Tochter Bettina Michel. Diese hat bislang keine große Rolle in Rudi Assauers Leben gespielt. Sie wuchs bei ihrer Mutter auf und lernte ihren Vater erst als Jugendliche kennen. Er soll immer Distanz gehalten haben. In den Monaten vor seinem „Umzug“ soll sie bei öffentlichen Veranstaltungen Kontakt mit dem Vater aufgenommen haben. Britta Assauer erstattet Anzeige nach Anzeige, doch es wird nicht einmal ermittelt. Es läuft darauf hinaus, dass Rudi Assauer selbst über seine Betreuung entschieden haben soll. Allerdings beschreibt selbst Bettina Michel in ihrem Buch Rudi Assauers Zustand nach dem Einzug als „ferngesteuert“. Er habe schon nicht mehr mit Messer und Gabel essen können.
Das Testament
Britta Assauer gerät in eine Prozess- und Schlammschlacht mit Bettina Michel, unter anderem um den Hausrat: sein Zigarrenbefeuchter, die Uefa-Medaille bei eBay, ein Rudi-Pappaufsteller ... Auch Katy Assauer, die jüngere Tochter, geht mehrfach juristisch gegen die Halbschwester Bettina Michel vor, die fortan den Vater pflegen wird – zusammen mit Sekretärin Sabine Söldner. Dabei geht es auch um den Zugang zum Vater, der Katy Assauer und Freunden zunehmend verwehrt werde.
Offenbar sind es Michel und Söldner, die Rudi Assauer am 16. Januar in der Psychiatrie des Krefelder Maria-Hilf-Krankenhauses „vorstellen“. Das Gutachten bescheinigt Assauer eine schwere und rasch fortschreitende Demenz. Dabei komme es „immer wieder zu schweren Verwirrtheits-, Erregungs- und Unruhezuständen“. Nur hoch dosierte Psychopharmaka machten „eine gewisse Führ- und Strukturierbarkeit von Herrn A.“ möglich. Das Gutachten wird später angeführt, damit Assauer nicht vor Gericht aussagen muss.
Im vollen Wissen um seinen Zustand also wird Assauer einen Tag nach dem Arzttermin zu einem Gelsenkirchener Notar „geführt“. Schon acht Monate zuvor hatte er Sabine Söldner und Britta Assauer als Bevollmächtigte eingesetzt. Als Ersatz hatte er Heinz Bull benannt, ein Schönheitschirurg und Fußballfreund. Nach dem Notartermin jedoch ist die Ehefrau „draußen“, Sabine Söldner und Heinz Bull haben nun als Generalbevollmächtigte alle Gewalt über Assauers Angelegenheiten. Bei der Gelegenheit wird auch das Testament geändert: Bettina Michel ist nun Alleinerbin.
Das Urteil
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Dieses zehn Jahre alte Testament hat das Amtsgericht Recklinghausen nun annulliert – ein höchst seltener Vorgang, denn Demenz ist ein juristisches Graufeld. Notare sind nicht verpflichtet, eine medizinische Meinung einzuholen, der Augenschein genügt. Die meisten Angehörigen wagen denn auch nicht einmal zu klagen, so ungewiss ist der Ausgang. Das Amtsgericht hat vier Fachärzte bemüht, darunter den Arzt, der die Krefelder Expertise verfasste. Das Gericht folgte Thomas Finkbeiner, Chefarzt der Dortmunder Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie: Assauer habe nicht mehr verstehen können, was er beim Notar unterschrieb, nicht einen Augenblick. Das lasse das Krankheitsbild nicht zu.
Bettina Michel (57) will Beschwerde gegen das Urteil einlegen, erklärt ihr Anwalt Burkhard Benecken. Beneckens Kernargument: „Einer der Notare hat als Zeuge ausgesagt, dass ihm die Demenzerkrankung bereits bekannt war und er gerade vor diesem Hintergrund besonders sorgfältig die Geschäftsfähigkeit Rudi Assauers geprüft habe. Assauer sei bei vollem Verstand gewesen und habe sogar noch Scherze während der Beurkundung gemacht.“ Die Aussagen der Notare seien nicht in das bisherige Gutachten eingeflossen, ebenso wenig wie ärztliche Stellungnahmen.
Sollte das Urteil jedoch vor dem Oberlandesgericht Hamm Bestand haben, dürften auch die Generalvollmachten anfechtbar sein. Alle Geschäfte, die Assauers Betreuer in seinem Namen unternommen haben, könnten rückabgewickelt werden. Sogar über die Scheidung von Britta Assauer könnte erneut gestritten werden, auch wenn ein Anwalt aus dem Umfeld der Familie dies für unwahrscheinlich hält. Tatsächlich haben Söldner und Bull die Scheidung mittels Vollmacht eingereicht. Der Fall liegt aber noch komplizierter, denn wenig später bestimmte das Amtsgericht Gelsenkirchen Bettina Michel als Betreuerin der Scheidungsangelegenheiten. Und die Sache wurde bereits verhandelt – zuletzt am Oberlandesgericht Hamm.
Das Geld
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Das Recklinghäuser Urteil geht auf einen Antrag von Katy Assauer (52) zurück, der zweiten Tochter, die öffentlich von „heimlichem Diebstahl“ spricht. Denn das Vermögen des Rudi Assauer ist in der Zeit seiner Betreuung wundersam geschrumpft. Lag es zum Zeitpunkt des Testaments noch bei 1,8 Millionen Euro, hauptsächlich in Immobilien, waren sieben Jahre später nur noch 15.000 Euro, ein neun Jahre alter Opel Minerva und eine angeblich wertlose Beteiligung an einem Altenheim übrig.
Immobilien wurden verkauft, doch wohin das Geld geflossen ist, ist nicht geklärt. Sabine Söldner, Bettina Michel und Heinz Bull haben sich dazu bislang nicht ausreichend erklärt, haben Zwangsgelder und Haftbefehle in Kauf genommen, bis sogar ein Nachlasspfleger eingesetzt wurde, der sie nun ebenfalls verklagt.
Stefan Willeke, Chefreporter der „Zeit“, hat zum Verbleib des Geldes recherchiert und ein „Schattenreich“ von elf Konten und zwei Schließfächern beschrieben, über das Bettina Michel verfügen soll. Ihr Anwalt sagt: „Frau Michel hatte keine elf Konten bei der Volksbank Ruhr.“ In dem einen Schließfach sei ein Koffer mit den Festplatten des Dokumentarfilms über Rudi Assauer gelagert gewesen, das zweite habe ihre Mutter genutzt. Allerdings hatte „Die Zeit“ nur geschrieben, dass Michel Zugriff gehabt habe, auch auf Konten ihrer Mutter und von Sabine Söldner sowie einer von Söldner und Bull gegründeten Mirandum GmbH. Diese soll nie Gewinn abgeworfen haben, obwohl sie den Film „Macher.Mensch.Legende“ produziert hat. Er wurde vor 20.000 zahlenden Zuschauern in der Schalke-Arena gezeigt. Auch eine Barauszahlung über 260.000 Euro aus einem Immobilienverkauf beschreibt Willeke.
Söldner, Michel und Bull haben stets bestritten Gelder veruntreut zu haben und führen an, wie kostspielig die Pflege über sieben Jahre bis zum Tode Assauers 2019 gewesen sei. Was allerdings Richter und Nachlasspfleger nicht überzeugen konnte. Nach dem Zeit-Bericht ging eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Essen ein, die nun ebenfalls hierzu ermittelt – was sie auf zahlreiche Anzeigen von Britta Assauer hin stets abgelehnt hatte. Die genauen Begründungen sind nicht mehr nachzuvollziehen. Die Staatsanwaltschaft hat die Akten vernichtet, weil älter als fünf Jahre, Britta Assauer hat sie nur noch teilweise.