Umsonst und nach Corona: Bochum Total lässt die Maske fallen

Bochum. Für viele Besucher ist Bochum Total das erste große Festival ohne Coronazwänge. Es gibt Nachholbedarf. Doch ganz unbefangen feiern die wenigsten.

Da wackelt sie wieder, die Ampel am Otto-Sander-Platz, der Wind ist zu schwach, es lehnt sich nicht einmal jemand an. Es müssen die Bässe sein. Die Ampel schwingt und schunkelt und vielleicht pogt sie später noch im Takt von Bochum Total. Man sieht mehr Kinder mit Ohrenschützern als Erwachsene mit Masken. Dennoch verhält sich das Publikum vor den vier Bühnen nicht gedankenlos. Der soziale Abstand ist kein Muss mehr, aber „nice to have“, zumindest am Nachmittag. Aber je später der Abend, desto mehr drängt es von hinten. Und so kommt es doch zur Enge vergangener Jahrgänge. Nur eben nicht gedankenlos.

Wie verhält man sich eigentlich auf einem Konzert?

Auch am zweiten Tag startete das Festival friedlich und ausgelassen. © Foto Funke Services | Klaus Pollkläsener

Eindeutig gibt es Nachholbedarf. Corvin und Angelina, Anni und Joshi nicken. Als die Pandemie begann, waren die Freunde aus Essen 15 und 16 Jahre alt. „Es ging gerade los mit den Konzerten, und dann wurde man brutal rausgerissen“, sagt Joshi. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass unsere Entwicklung mit 16 stehen geblieben ist in dieser Hinsicht“, sagt Angelina. „Es fühlt sich neu und ungewohnt an, dass man wieder mit so vielen Menschen zusammenkommt.“ Wie verhält man sich auf einem Konzert? „Kann ich mit dem Kopf nicken oder ist das schon peinlich?“

Und natürlich fühlt sich auch wegen Corona „alles ein bisschen eingeklemmt an. Die einen wollen, dass man weiter vorsichtig ist, die anderen wollen feiern. Man kann es keinem recht machen“, findet Angelina. „Und man kann es nicht einmal sich selbst recht machen.“ Der gesellschaftliche Zwist spielt sich auch im Einzelnen ab, glaubt sie. „Man möchte gerne, aber man darf Corona eben nicht komplett vergessen. Ich glaube, dass sehr viele Jüngere unter Ängsten leiden. Angst vorm Bus fahren oder auch Angst vor Konzerten.“ Dass der Veranstalter sich gegen eine Maskenpflicht entschieden hat, finden die vier aber richtig. „Man hat die Möglichkeit hier endlich alles zu vergessen“, sagt Corvin. „Masken würden das wieder zerstören.“

Warnung vom Klinikum – und von Mama

Bochum Total - Tag 1

So war Bochum Total am Donnerstag. Nach zwei Jahren Pandemie-Pause ist es wieder so weit: Bochum Total startet zum 35. Mal.

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Die Stadt Bochum erwartet durch Bochum Total viele Corona-Infektionen. Das Uniklinikum Bergmannsheil hatte gar vor einem „Superspreader-Event“ gewarnt. „Das hat meine Mutter auch“, sagt ein 40-Jähriger, der „seit zehn Jahren im Bochum-Total-Gebiet wohnt“. „Ich bin am Donnerstag noch mit Maske unter die Leute gegangen. Aber spätestens, als man was getrunken hatte, musste man sie ohnehin abnehmen. Selbst die Feuerwehr und die Polizei haben ja keine Masken mehr getragen.“

Ein weiterer Unterschied: „Die Jungen kommen eigentlich nur noch zum Trinken her“, sagt Livina Hagenbaum. Seit vielen Jahren verkauft sie Ofenkartoffeln bei Bochum Total. „Die Preise sind so hochgegangen, dass sie sich kaum noch was leisten können. Auf der anderen Seite ist sehr schön wieder hier zu sein. Ich habe den Eindruck, die meisten freuen sich auch sehr.“

Das trifft auf Gerd Hornberg in jedem Fall zu. Der 87-Jährige ist vor allem wegen der Kartoffel gekommen, mit Käse, aber natürlich auch wegen des Ausnahmezustands in seiner Stadt. Beim allerersten Bochum Total 1986 war Gerd Hornberg schon dabei. Seitdem sah er das Festival und das Bermuda-Dreieck jedes Jahr wachsen. Dieses ist sein erstes mit Rollator.

Wenn kein Rummel ist, ist nix los

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Gerd Hornberg kann sich noch erinnern, wie die Rotunde gebaut wurde, als Bahnhof für den Katholikentag 1949, er hat mitbekommen, wie ein Geschäft nach dem anderen schloss. Dann hat aber auch ein Wirt nach dem anderen die Leerstände gefüllt. Er ist stolz, dass die Leute nun Bochum auch durch das Bermuda-Dreieck kennen. Aber die Konzerte wird Hornberg das erste Mal nicht mitnehmen. „Früher bin ich gerne rumgegangen. Jetzt habe ich zwar meinen Sitzplatz immer dabei, aber nachher sagt noch jemand, jetzt musst du mal Platz machen. Aber aus der ganzen Sache sauge ich Energie. Wenn kein Rummel ist, ist nix los. Gleich lege ich mich auf die Couch, gucke ein wenig Tour de France und habe meine Kartoffel gegessen.“

Für Marty ist es definitiv sein erstes Konzert, er ist ein Jahr alt. Sein fünfjähriger Bruder dagegen hat vor drei Jahren schon ein „Total“ mitgemacht im Tragerucksack, aber diesmal wippt er das erste Mal bewusst mit auf den Schultern von Sarah S. . „Wir sind extra zum Start gekommen. Länger als zehn Minuten haben sie auch nicht durchgehalten.“ Aber diese zehn Minuten begründen vielleicht eine Tradition. Für Henry und Marty fängt die Geschichte gerade erst an.

Bochum Total 2022: Die wichtigen Infos rund um das Festival

So war Bochum Total am Donnerstag: Hier geht es zur Bildergalerie vom ersten Festival-Tag – mit zahlreichen Fotos.
Das komplette Line-up für Bochum Total: Wer an den vier Festival-Tagen alles auftritt, lesen Sie hier.
Könnte Bochum Total zum Superspreader-Event werden? So äußern sich Veranstalter und Stadt zur Corona-Gefahr.
Warum es bereits vor dem Start des Festivals Ärger um einen Klo-Container gegeben hat, das lesen Sie hier.