Essen. Krankenhäuser sind klimaschädliche Ressourcen-Großverbraucher. Doch Häuser wie Essens Uniklinikum steuern bereits mit vielen Ideen um.
Sie haben auf Ökostrom und LED-Beleuchtung umgerüstet, elektrisch angetriebene Autos in den Fuhrpark gestellt und Wildblumen auf dem Dach des Protonentherapiezentrums gepflanzt; für ihr Narkosegas testen sie ein mögliches Recycling, die Kantine kocht öfter vegan oder vegetarisch und im Sommer wird ein großer Mitarbeiter-Fahrrad-Parkplatz fertiggestellt sein: Aus dem Essener Universitätsklinikum soll ein zertifiziertes klimaneutrales Krankenhaus werden, aus dem Smart- nun auch ein Green-Hospital. Bis wann? „Möglichst bald“, sagt Tobias Emler, seit September 2019 offizieller „Klimamanager“ der Essener Universitätsmedizin.
Zwei Gigatonnen CO2-Ausstoß gehen weltweit Jahr für Jahr auf das Gesundheitswesen zurück, das entspricht den Emissionen von 514 Kohlekraftwerken. In Deutschland ist der Gesundheitssektor mit 5,2 Prozent Anteil am Treibgas-Ausstoß kaum weniger klimaschädlich als die Stahlindustrie (knapp sechs Prozent). Hauptverursacher der Emissionen sind die Kliniken. Dass rund um die Uhr, an 365 Tagen im Jahr Patienten zu versorgen sind, frisst allein an der Uniklinik Essen jährlich 50.000 Megawattstunden Strom – „soviel wie 12.500 Einfamilienhäusern zusammen verbrauchen“, erklärt Emler, gelernter Betriebswirt. Und Berge von Abfall fallen in Krankenhäusern ja auch nicht erst seit Corona an: fast neun Tonnen Restmüll täglich sind es in Essen.
Die Chefs in den Kliniken dachten lange, es geht gar nicht anders. Zudem: Es ist legitim, „unsere Aufgabe ist es ja seit Jahrhunderten mit allem, was wir haben und können, Erkrankten zu helfen“, erläutert Prof. Jochen Werner, ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen (UME). „Doch wir stehen als ressourcenintensiver Großverbraucher in der Verantwortung beim Thema Nachhaltigkeit, genau wie die Industrie. Krankenhäuser müssen sicherstellen, dass die Menschen, die dort behandelt werden, nicht durch das Krankenhaus selbst kränker werden.“
Nach der Digitalisierung folgt die Dekarbonisierung
Nach der Digitalisierung des Krankenhauses, die die Essener Universitätsmedizin 2015 als eine der ersten begann, nahm man die „Dekarbonisierung“ in Angriff – in Kooperation mit verschiedenen Partnern, unter anderem dem Bundesumweltamt und dessen Klimaschutzinitiative „Klik Green“ („Klimaschutz trifft Krankenhaus“). Ehrgeiziges Ziel des dreijährigen Projekts, das am 30. April ausläuft: 100.000 Tonnen CO2-Äquivalente an den 250 beteiligten Kliniken einzusparen. Tatsächlich wird wohl das Doppelte erreicht werden, 200.000 Tonnen, hieß es bei der Abschluss-Veranstaltung.
„Man kann extrem viel tun, es gibt sehr, sehr viele Ansatzpunkte“, sagt Tobias Emler. Zudem sei das Thema Klimaschutz „super positiv“ besetzt. 130 Interessierte etwa meldeten sich spontan, als er die ersten „Nachhaltigkeitsbeauftragten“ vor Ort suchte – innerhalb einer Woche. Eine „überwältigende Resonanz“, über die er sich sehr freute. Da Nachhaltigkeit nicht von oben nach unten „verordnet“ werden könne, dafür ein „Wandel in der Unternehmenskultur notwendig“ sei. „Wie ein Arbeitgeber zum Thema Klimaschutz steht, wird auch für die Mitarbeiter immer wichtiger“, glaubt Jochen Werner. „Eine Klinik, die das nicht interessiert, interessiert vielleicht auch manche Ärztin, manchen Pfleger bald nicht mehr.“
Fuhrpark umgerüstet – spart 50 Tonnen CO2
Emler und sein „Team Green“, zu dem 15 Führungskräfte aus den verschiedensten Bereichen vom Einkauf über Pflege, Bauwesen und Marketing bis hin zur „Chief Transmission Officerin“ gehören, sammelten zunächst Ideen und Daten, nahmen 1000 Kleinigkeiten in Angriff, und manch Großartiges. Dass, wer sich in den Feierabend verabschiedet, seinen Monitor ausschaltet, gehörte dazu. Aber eben auch die Umrüstung des Fuhrparks auf Hybrid- und E-Mobilität, die 50 Tonnen CO2 einspart. Diese Zahl haben sie mithilfe von Klik Green berechnet, denn eine „Ist-Analyse“, eine exakte Treibhaus-Bilanz des Hauses lag bisher gar nicht vor. Nun ist auch sie in Arbeit.
Die Anästhesie wagte Verwegenes, sie startete ein Pilotprojekt zum Narkose-Gas-Recyling. Sechs der 80 Narkosegeräte des Hauses durchlaufen gerade einen Wiederverwertungs-Test. „Wenn’s funktioniert“, sagt Emler, „ist das ein Riesen-Benefit“. Dass man „Desfluran“ gegen eine umweltschonendere Alternative austauscht, wo und wann immer das möglich ist: eine weitere Maßnahme, die hilft. Das gern verwendete Inhalationsanästhetikum ist 2540-mal so klimaschädlich wie CO2. „Es bleibt“, sagt Emler, „14 Jahre lang in der Atmosphäre.“
Weniger Patientenessen wegwerfen und Photovoltaik oder Grün auf die Dächer
„Luft nach oben“ gibt es aber auch beim Krankenhaus-Essen. Das weiß jeder Patient, Tobias Emler setzte das neugründete Zentrum für Naturheilkunde der UME mit Blick auf den Klimaschutz darauf an. Eine bessere Logistik soll künftig zudem dafür sorgen, dass weniger Mahlzeiten weggeworfen werden. Denn war ein Tablett mit Patientenessen erst einmal in einem Krankenzimmer, muss es das.
Einige Dächer sind begrünt, auf anderen will das Klinikum Photovoltaik-Anlagen installieren. „Im Sommer bauen wir eine erste, eine die früher schon mal berechnet und für nicht rentierlich befunden wurde...“, erklärt Emler. Er kämpfte erfolgreich für die Neuberechnung.
Viele Klimaschutzmaßnahmen sind für wenig Geld zu haben, hieß es im Abschluss-Statement von „Klik Green“. Zugleich aber auch: Die, die am meisten bringen, energetische Gebäudesanierungen etwa, sind die teuersten. Am Essener Klinikum schlägt allein die Umstellung auf Ökostrom „sechsstellig“ zu Buche.
Experten berechnen für NRW-Kliniken Klimaschutz-Kosten von über 7 Millarden Euro
Über 7 Milliarden Euro, verteilt auf sieben Jahre, müssten die Kliniken in NRW investieren, wenn sie das vom Klimaschutzgesetz gesteckte Ziel (minus 65 Prozent Treibgas-Ausstoß bis 2030 gegenüber 1990) erreichen wollen, errechnete das Health Care Institute (hcb) für die Krankenhausgesellschaft NRW, einem der Kooperationspartner von Klik Green. Nicht zu stemmen für die chronisch finanzschwachen Kliniken, die hcb-Fachleute fordern darum einen „Climate Boost“, einen Krankenhaus-Klimaschutzfonds der neuen Landesregierung. „Wäre schön“, stimmt Werner zu. Aber darauf zu warten, bis die Politik ihn beschlossen hat, hält er für falsch. „Als wir mit der Digitalisierung anfingen, sagten auch viele Kollegen: Nett, aber nicht finanzierbar. Doch man muss zuerst die Köpfe überzeugen, das ist das Entscheidende, der Rest findet sich, und das gilt auch fürs Green Hospital.“ Am Ende, da ist Werner sicher, werden Klimaschutzmaßnahmen auch zur „Steuerung unserer Kosten“ beitragen.
Emlers aktuelles Lieblings-Projekt übrigens ist die 900 Quadratmeter große Wildblumenwiese. Er war gerade erst schauen, ob es wohl schon bunt blüht auf dem Dach des Protonentherapiezentrums, in dem krebskranke Kinder bestrahlt werden. „Zu früh, leider“, stellte er fest. Ein paar Bienenvölker werden sich im Laufe des Jahres dennoch einfinden. „Einige unserer Mitarbeiter, Hobbyimker, hatten sie Idee, taten sich zusammen, planen begeistert die Ansiedlung.“ Den Honig wollen sie später in der Kantine verschenken oder verkaufen. Es ist dieses Engagement, diese Kreativität, die den Klimamanager hoffen lässt, dass das Projekt „Klimaschutz“ gelingt. Möglichst bald.
>>> INFO Klik Green
200 Krankenhäuser und 50 Reha-Kliniken beteiligen sich an Klik Green, darunter 64 Kliniken in NRW, jede fünfte im Land. Einrichtungen im ganzen Ruhrgebiet sind dabei, nicht nur in Essen, sondern auch in Bochum, Mülheim, Bottrop, Hattingen oder Marl. Das Projekt wurde mit Mitteln der Nationalen Klimaschutzinitiative gefördert, auch nach Ende der Laufzeit bleiben die beteiligten Kliniken im Austausch.
Die Krankenhausgesellschaft NRW als Projektpartner des Bundesumweltministeriums hat inzwischen 1640 verschiedene Klimaschutzmaßnahmen aus dem Projekt aufgelistet – erfolgreiche, umsetzbare Praxisbeispiele für effiziente Klimaschutzmaßnahmen in Kliniken, auf die alle Klimamanager weiterhin zugreifen können.
80.000 Tonnen CO2-Äquivalente wurden demnach allein dadurch eingespart, dass Beleuchtung und Belüftung in Krankenhäusern dem tatsächlichen Bedarf angepasst wurden. 68.000 Tonnen brachte die Umstellung auf erneuerbare Energien und 8.500 Tonnen kluge Ideen für die „Speisenversorgung“.