Essen/Düsseldorf. Russen und Ukrainer feiern um dieses Wochenende Ostern. Doch kann man einen Gottesdienst noch gemeinsam feiern – auch wenn man eingeladen ist?

Frohe Ostern! Die orthodoxen Christen aus der Ukraine und Russland feiern ihr höchstes Fest mit Zeitversatz, da ihre Kirchen noch dem alten julianischen Kalender folgen. Der Ostersonntag steht also erst bevor, und so viele Geflüchtete werden wohl zur Mitternachtsmesse die Kirchen aufsuchen, dass der Platz kaum ausreichen wird, erwarten die Priester. Darum hat die russisch-orthodoxe Gemeinde von Essen sich vom katholischen Bistum die Kirche St. Elisabeth in Frohnhausen ausgeliehen und explizit ukrainische Geflüchtete eingeladen. Doch das Angebot steht in der Kritik, natürlich.

Denn Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, hat den Krieg Putins gegen die Ukraine gerechtfertigt als „metaphysischen Kampf“ des Guten gegen das Böse, gegen den Westen, gegen die Nato, gegen „Schwulenparaden“. Kyrill hat russische Soldaten aufgefordert, „auf der Seite Gottes“ notfalls ihr Leben zu geben. Der ukrainische Zweig seiner Kirche, dem rund 13 Prozent der Ukrainer angehören, rebelliert allerdings, spricht sich seit dem ersten Kriegstag gegen Putin aus, es droht eine Abspaltung. Die weitaus größere „Orthodoxe Kirche der Ukraine“, die etwa 47 Prozent der Staatsbürger repräsentiert, ist ohnehin von Moskau unabhängig, hochrangige Vertreter machen Kyrill „mitverantwortlich“ für den Überfall.

Das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten!

Orthodoxer Gottesdienst in Essen. Ukrainer und Russen feiern gemeinsam am Gründonnerstag. Foto: Fabian Strauch / FUNKE Foto Services GmbH
Orthodoxer Gottesdienst in Essen. Ukrainer und Russen feiern gemeinsam am Gründonnerstag. Foto: Fabian Strauch / FUNKE Foto Services GmbH © FFS | Fabian Strauch

„In diesem Krieg kämpfen also zwei christliche Gemeinden, und eine hat die andere überfallen“, erklärt Mykola Pawlyk, Priester der ukrainischen Gemeinde in Düsseldorf, und zuständig von Aachen bis Essen. „Es gibt immer noch das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten! Bis jetzt habe ich nichts Gegenteiliges gehört. Es gab keinen anderen Messias, der das fünfte Gebot aufgehoben hätte für eine bestimmte Zeit. Kirche kann also generell keinen Krieg rechtfertigen. Aber anscheinend haben wir doch eine Kirche, die sich als Ausnahme sieht.“ Pawlyk hat darum kein Verständnis für Geflüchtete, die das russische Angebot der gemeinsamen Ostermesse annehmen.

Die „Russisch-Orthodoxe Gemeinde zu den Heiligen Uneigennützigen Kosmas und Damian“ zu Essen ist natürlich in der Zwickmühle. „Politik klammern wir aus“, sagt Erzpriester Viktor Alekseev, den wir vor dem Gottesdienst am Gründonnerstag treffen. In einer katholischen Pfarrei nahe dem Welterbe Zollverein hat die Gemeinde sich eingerichtet, etwa zwanzig Mitglieder betreten nacheinander den Raum, der aus Ikonen gebaut scheint, so dicht hängen sie an den Wänden. Sie küssen einige Bilder, bekreuzigen sich, küssen noch einmal den Jesusaufsteller in der Mitte. Überwiegend sind es Frauen, alle haben ihr Haar bedeckt, eine nur lose mit einem Kapuzenpulli. Sie ist die einzige, die keinen Rock trägt. Eine Bilderwand mit drei Türen verdeckt den Altar, die Priester beten und singen mal inmitten der Gläubigen, mal im Verborgenen.

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„Unsererseits gibt es natürlich keine Vorbehalte“, sagt Alekseev, eine Dame übersetzt. Sie haben ja extra Ukrainer eingeladen. Er sei selbst in einer Geflüchtetenunterkunft gewesen und habe Lebensmittel gebracht. Die Dame habe auch zwei Ukrainern geholfen. Aber natürlich untersteht die Gemeinde dem Patriarch in Moskau. Krieg und Frieden werden nicht thematisiert in der Ostermesse, oder nur in allgemeiner Form. Man hält sich an die förmliche Liturgie. Eine ukrainische Familie kommt, als die Messe schon begonnen hat. Als wir gehen, holt uns eine Dame ein, die aus Donezk stammt. Mit Händen und Füßen scheint sie sagen zu wollen, dass Kirche und Putin zwei verschiedene Dinge sind.

„Sie überfallen ein Land und klammern das im Gottesdienst aus“

Streng nach Liturgie: Eine freie Predigt ist nicht vorgesehen im russisch-orthodoxen Ostergottesdienst.
Streng nach Liturgie: Eine freie Predigt ist nicht vorgesehen im russisch-orthodoxen Ostergottesdienst. © FFS | Fabian Strauch

Mykola Pawlyk sieht das anders: „Also: Sie überfallen ein Land und klammern das im Gottesdienst aus. Sie rechtfertigen die Politik, die dazu geführt hat, dass wir hier so viele Geflüchtete haben. Und dann gehen sie in die Heime, um die Flüchtlinge zu betreuen, die bis vor kurzem in einem friedlichen Land gelebt haben – fühlen Sie da nicht einen Widerspruch? Das ist für mich an Pharisäismus nicht zu überbieten. Für mich wäre es viel ehrlicher gewesen, wenn sie gesagt hätten: Ja, wir sind schuld daran. Aber das haben sie nicht. Sie gehen eher auf Kundenfang.“ Pawlyk wird durchaus über Krieg und Frieden predigen. Seine zentrale Osterbotschaft: „Dass die Waffen in der Ukraine erst mal still stehen. Das ist das Wichtigste. Denn das, was dort passiert, ist die Hölle.“

Natürlich wird die Frage, ob man die russisch-orthodoxe Ostermesse besuchen sollte, auch unter den Geflüchteten diskutiert, weiß eine ehrenamtliche Übersetzerin, die mehrere Familien in Essen betreut. „Auch in einer der WhatsApp-Gruppen haben sich die Leute den Kopf darüber zerbrochen. Es ist zum Glück nicht eskaliert. Einige haben vorgeschlagen im Juni das Osterfest nachzuholen, aber ist das dann noch Ostern?“ Für eine Familie hat sie selbst die Patenschaft übernommen: „Ich hatte ihnen angeboten nach Düsseldorf zur ukrainischen Gemeinde zu fahren. Aber sie wollten lieber in Essen bleiben. Hauptsache orthodox, sagten sie.“

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Womöglich sind die politischen Hintergründe ihnen fern, vermutet die Übersetzerin. „Sie scheinen in ihrer Kapselwelt zu leben.“ Aber auch die Sprache und das kulturelle Zugehörigkeitsgefühl sind ein Faktor. „Die Familie kommt aus Kramatorsk im Osten der Ukraine, wo überwiegend russisch gesprochen wird. „In ihrer Unterkunft sind sie jüngst wegen ihrer Sprache angegangen und gemobbt worden von drei jungen ukrainischen Mädels.“ Die Übersetzerin hat mit der Familie schon den traditionellen Oster-Korb vorbereitet mit Brot und Eiern und anderen Lebensmitteln, die vom Priester gesegnet werden – geschmückt in ukrainischen Farben.