Köln. 21 Religionslehrer im Erzbistum Köln haben bislang ihr Amt niedergelegt. Einer erklärt, war er hinschmeißt, eine, warum sie weiter unterrichtet.

Das Amtsgericht Köln ist derzeit das Nadelöhr für Menschen, die die katholische Kirche verlassen wollen. Rund ein Prozent seiner Mitglieder verlor das Bistum zuletzt pro Jahr, und vermutlich wären es mehr, betrügen die Wartezeiten für einen Termin zum Kirchenaustritt nicht mehr als zwei Monate. Die Missbrauchsfälle im Bistum und der Umgang von Kardinal Woelki mit ihrer Aufklärung treiben selbst ReligionslehrerInnen zum Protest und zur Aufgabe.

Ihr Verband VKRG klagt in einer Stellungnahme „eine hierarchische Pervertierung der Institution Kirche“ an. Auch „das bündische Mitwissertum und das In-Kauf-Nehmen der weiteren Gefährdung durch die Verantwortlichen auf allen Ebenen der kirchlichen Verwaltung“ wird kritisiert. 21 ReligionslehrerInnen haben seit Juni 2020 ihre „kirchliche Beauftragung“, die Missio Canonica, zurückgegeben, neun explizit mit Verweis auf den Missbrauchsskandal. Angesichts von 4900 Religionslehrerinnen und -lehrern scheint das nicht viel. Aber jeder Fall ist ein starkes Signal, findet Stephan Steinhoff, Leiter der Gesamtschule Weilerswist. Elisabeth Schnocks dagegen unterrichtet weiter Religion am Gertrud-Bäumer-Gymnasium in Remscheid und sucht nach Antworten. Das Interview mit ihr lesen sie hier.

Stephan Steinhoff ist Leiter der Gesamtschule Weilerswist und hat seine Missio Canonica, seinen Lehrauftrag als Religionslehrer, abgegeben.
Stephan Steinhoff ist Leiter der Gesamtschule Weilerswist und hat seine Missio Canonica, seinen Lehrauftrag als Religionslehrer, abgegeben. © Privat | Privat

Herr Steinhoff, warum haben Sie ihre Tätigkeit als Religionslehrer aufgegeben?

Steinhoff: Ich habe Ende 2020 meine Missio zurückgegeben und bin auch ausgetreten. Schon geraume Zeit hatte ich die Entwicklung in der Kirche kritisch verfolgt. Der Auslöser war schließlich der Verdacht gegen einen Pfarrer, mit dem ich bis 2010 in meiner damaligen Gemeinde Altardienst versehen habe. Das war für mich unvorstellbar, dass jemand, mit dem ich so eng zusammengearbeitet habe, solche Dinge getan haben soll. Man kann es offenbar nicht aufklären, ob er es gemacht hat oder nicht, aber das ändert nichts daran, dass mir klar wurde: Das kann in deiner unmittelbaren Umgebung geschehen, das möchte ich einfach nicht mehr mittragen.

Über den Einzelfall hinaus, geht es also auch um das System Kirche?

Ich bin in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen, mein Vater war theologisch sehr interessiert. Ich weiß noch, dass ich als junger Theologiestudent an Kardinal Höffner in Köln einen Brief geschrieben habe, in dem es um die Anpassung der Kirche an heutige Verhältnisse ging. Die Antwort war damals schon sehr enttäuschend. Und man bleibt und bleibt und hofft, dass sich etwas ändert. Ich habe mich ehrenamtlich auf Gemeindeebene engagiert, in der Schule, habe eine Zeitschrift herausgegeben für die Deutsche Bischofskonferenz. War sieben Jahre lang Vorsitzender des Religionslehrerverbandes. Habe aber nach 30 Jahren feststellen müssen, dass sich an den grundlegenden Strukturen nichts ändert. Der Missbrauchsskandal hat es noch mal wie in einem Brennglas deutlich gemacht, dass man zu Reformen nicht bereit ist.

Hatten Sie als Religionslehrer Konfrontationen mit Schülern oder Eltern, die sie auf diese Missstände angesprochen haben?

Das ist Tagesgeschäft, wenn man katholischer Religionslehrer ist. Es hat mir immer Spaß gemacht, mich mit kritischen Schülern auseinanderzusetzen, wenn sie zum Beispiel Jungfrauengeburt, Zölibat, Wunderglaube in Frage stellen. Aber es war dann ein Punkt erreicht, an dem ich für bestimmte Punkte nicht mehr einstehen wollte, die ich auch nicht mehr erklären müssen wollte. Was da an Missbrauch zu Tage gekommen ist … da kann man nichts mehr erklären, da kann man nur noch klagend und schreiend daneben stehen.

Haben Sie Verständnis für die Religionslehrer, die weitermachen?

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Auf jeden Fall. Ich kann gut verstehen, wenn jemand drinnen bleiben und Strukturen verändern möchte. Ob es die Frauen sind oder die Lehrer oder die Menschen in der Gemeinde – wer daran glaubt und darauf hofft, etwas zu verändern, soll diesen Weg gehen. Für meinen Teil habe ich es als befreiend empfunden, mich von diesem lebenslangen, penetranten und permanenten Überwältigungsversuch zu befreien. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten hätte, wenn ich nicht als Schulleiter über den Einsatz im Unterricht entscheiden dürfte.

Haben Sie ihren Glauben verloren oder nur den Glauben an die Kirche?

Das Problem ist eigentlich: Wenn man den Glauben leben will, will man ihn in einer Gemeinschaft leben. Dann will man auch seine Zweifel in dieser Gemeinschaft leben. Auch seinen zeitweisen oder dauerhaften Unglauben, weil die Gemeinschaft einen unterstützen würde. Aber das habe ich nicht erfahren. Und darauf will ich mich auch nicht mehr einlassen.

Welche Konsequenzen hat es denn, wenn man nicht mehr Religionslehrer sein will?

Wenn sie an einer kirchlichen Schulen beschäftigt wären, wäre das die Kündigung. Dann müssten Sie die Schule wechseln. Allerdings ist das nicht mehr ganz so einfach, da die allermeisten Religionslehrer nur ein weiteres Fach haben. Es hängt dann davon ab, ob dieses verbliebene Fach gefragt ist oder nicht. An staatlichen Schulen hat es keine direkten finanziellen Konsequenzen. Es ist Sache des Schulleiters, den Kollegen entsprechend neu einzusetzen. Aber bleibt Ihnen ein Korrekturfach, würden sie zum Beispiel nur noch Deutsch unterrichten, würden Sie sich die Finger wundkorrigieren. Und das Fach bedeutet einem ja auch was, man hat es studiert, sich darin vorgebildet, seine Lehrerpersönlichkeit daran entwickelt. Ich schaue gerade auf meinen Bücherschrank. Die Hälfte ist nicht mehr relevant.

Gab es eine Reaktion des Erzbistums auf ihren offenen Brief zum Austritt?

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Ich habe eine Bestätigung bekommen und dann noch einmal ausdrücklich um die Exkommunikation gebeten. Mir wurde dann nach einem Jahr des Wartens mitgeteilt, dass ich ja in Wort und Tat erkennbar von der Kirche abgefallen sei. Dadurch sei ich automatisch exkommuniziert. Ich könnte jetzt bösartig zurückfragen, ob die Missbraucher auch alle automatisch exkommuniziert sind. Theologisch gesehen sind es ja Todsünden. Aber viele Missbraucher sind einfach nur versetzt worden und haben an ihrer neuen Stätte genau das weitergemacht, was sie vorher gemacht haben. Darin besteht ja gerade die Doppelmoral der Kirche.

Welche Art der Reform würden Sie sich denn wünschen?

Die Strukturen der Machtausübung müssen grundlegend in Frage gestellt werden, damit alles andere überhaupt wieder zur Geltung kommt. Das weiß die Kirche natürlich, aber sie lebt es nicht. Sie hätte nur die Erkenntnisse aus dem Zweiten Vatikanum umsetzen müssen. Die Anerkennung der Frau wäre auch das Mindeste. Meine Tante war Religionslehrerin und ist 96 Jahre alt geworden. Sie hat Papst Franziskus noch erlebt und große Hoffnungen in ihn gesetzt. Mit 93 ist sie dann ausgetreten mit dem Satz: Der tut auch nichts für die Frauen.