Bochum. Kardinal Woelki kehrt nach seiner Auszeit zurück. Der Theologe Matthias Sellmann fordert ihn auf, den Weg für einen Neustart freizumachen.
Der Kardinal kommt zurück. Am Aschermittwoch endet die Amtspause des umstrittenen Kölner Erzbischofs Rainer Maria Woelki. Seine Rückkehr am 2. März trifft bei vielen Gläubigen auf wenig Begeisterung. Umfragen zeigten, dass Woelki keinerlei Rückhalt im Bistum mehr habe. Der Kardinal befindet sich seit Oktober in einer sogenannten geistlichen Auszeit. Bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals im größten deutschen Bistum werden ihm schwere Kommunikationsfehler und mangelndes Mitgefühl mit den Betroffenen vorgeworfen.
Wir sprachen mit dem katholischen Theologen Matthias Sellmann über die Rückkehr des Erzbischofs. Sellmann ist Leiter des Zentrums für angewandte Pastoralforschung der Ruhr-Uni Bochum – ein „Think Tank“ für kirchlichen Wandel.
Welches Signal sendet Woelkis Rückkehr an die Gläubigen aus, wie werden sie ihn empfangen?
Matthias Sellmann: Woelki hat bereits die traditionelle Messfeier im Kölner Dom am Aschermittwoch abgesagt. Ich glaube, der Empfang wird sehr kritisch ausfallen. Schon vor seiner Amtspause hat es ja deutliche Misstrauensbekundungen aus dem Erzbistum gegeben. Die Auszeit hat sicher nicht dazu beigetragen, das verlorene Vertrauen wieder zurückzugewinnen.
War die Auszeit also zu kurz?
Eine Pause alleine löst ja die Probleme nicht. Es gibt Vorwürfe gegen Kardinal Woelki in vielerlei Hinsicht. Von Missmanagement bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals bis hin zu kommunikativen Fehlern in der Gemeinde und mit den Betroffenen. Wir erleben eine enorme und bundesweit überdurchschnittliche Austrittswelle im Erzbistum Köln. Wir haben Unmutsäußerungen vom Priesterrat, von den Stadtdechanten, von vielen Laiengruppen und Verbänden - ich sehe nicht, dass in der Zwischenzeit Vertrauen wiederhergestellt werden konnte.
Kann Woelki sein Amt glaubwürdig ausfüllen, wenn die Gläubigen ihm nicht mehr vertrauen?
Bei Menschen, die ein Amt innehaben, muss man generell zwischen der Person und ihrer beruflichen Rolle unterscheiden. Ich hatte einige persönliche Begegnungen mit dem Menschen und Priester Rainer Maria Woelki, das waren für mich stets inspirierende, offene und freundliche Begegnungen. Ich habe ihn als Menschen und Christen integer, authentisch und engagiert erlebt. Dafür bin ich dankbar. Die Kritik macht sich an seiner Rolle fest. Und für die Ausübung seiner Rolle als Erzbischof braucht er das Vertrauen der Menschen, gerade als Leitender eines der größten und geschichtsträchtigsten Bistümer der Weltkirche. Ohne das Vertrauen seiner zentralen Mitarbeiter, vor allem aber der Gläubigen kann er das Amt nicht ausfüllen.
In der Kritik steht der Kardinal. Kann man Person und Amt voneinander trennen?
Ja, das muss man sogar, um hier nicht ungerecht zu werden. Auch bei kirchlichen Amtsinhabern muss man unterscheiden zwischen der – meinen Begegnungen nach - integren Person und der Rolle des Kardinals von Köln. Und in der Rollenausübung sind so viele Fehler passiert, dass ich wie viele andere auch bezweifle, dass er diese Rolle wieder neu übernehmen kann. Zu viele Fehler haben das Vertrauen in seine Amtsausübung untergraben, etwa bei der Aufarbeitung des Missbrauchs, bei der Begegnung mit Betroffenen sexueller Gewalt, im Dialog mit Reformbewegungen in der Kirche wie Maria 2.0, bei der Zurückhaltung des Gutachtens und so fort. Es gab auch einfach zu viele kommunikative Fehler.
Sollte Woelki die Konsequenzen ziehen und zurücktreten?
Fachlich würde man sagen: Das Organisationsvertrauen ist erschüttert, und das gilt für die ganze katholische Kirche in Deutschland. Organisationsvertrauen gewinnt man aber nur über organisationsbezogene Schritte zurück. Das Angebot seines Rücktritts wäre ein solcher Schritt. Dann kann jemand anderes seine Rolle übernehmen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. So wird ein Neuanfang möglich sein. Ich wünsche mir, dass der Kardinal sich nicht dazu treiben lässt, sondern selbst erkennt, dass es diesen Neuanfang im Amt braucht.
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Hätte der Vatikan durchgreifen sollen?
Auch die vatikanischen Behörden handeln bezogen auf die Kölner Situation meiner Meinung nach führungsschwach. Auch sie trennen Rolle und Person viel zu wenig. Das schadet den Katholikinnen und Katholiken in ganz Deutschland enorm.
Sie sagten einmal, die Kirche in der Krise sei wie ein leckgeschlagenes Schiff. Ist es noch zu retten?
Ich bin überzeugt davon, dass dieses Schiff noch zu retten ist. Aber lassen Sie mich ganz klar sagen: Da wir hier über sexuelle Gewalt reden, sind zuallererst die Betroffenen zu retten. Ich bin darum ein überzeugter Vertreter des Synodalen Weges. Gemeinsam mit allen Gläubigen wollen wir Machtmissbrauch, Sexualmoral, Lebensform der Priester und die Diskriminierung von Frauen in der Kirche in den Fokus nehmen und Reformen anstoßen. Darin liegt meine ganze Hoffnung. Die Kirche muss wieder ein sicherer Ort werden.
Kann durch den Synodalen Weg wieder Vertrauen entstehen?
Ja, denn nur das baut das Organisationsvertrauen wieder auf. Zuerst müssen wir als Kirche unsere strukturellen Hausaufgaben machen, so wie alle Kräfte das machen müssen angesichts des gesellschaftsweiten Horrors von sexuellen Übergriffen. Denn bitte wie soll ich von der Liebe Gottes predigen, wenn ich immer noch unsicher bin, ob die Kirche wirklich entschieden und wirksam gegen sexuelle Gewalt in ihren eigenen Reihen vorgeht?
Was muss konkret geschehen?
Wir müssen transparente Machtstrukturen schaffen, die Rolle der Frauen stärken, die sexuelle Ethik auf den aktuellen humanwissenschaftlichen Stand bringen und die priesterliche Lebensform erweitern, etwa durch die Abschaffung des Pflichtzölibats. Das führt bis hin zur Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts, damit niemand wegen seiner sexuellen Orientierung gekündigt werden kann.
Die Beharrungskräfte der Amtskirche sind groß. Glauben Sie, dass sie sich bewegen wird?
Ja, es gibt viel Bewegung, die Kirche macht mit dem Synodalen Weg gerade ihre Hausaufgaben. Deshalb habe ich Hoffnung. Viele unserer Vorschläge und Beschlüsse bewegen sich innerhalb des Kirchenrechts und können auch ohne römische Zustimmung umgesetzt werden. Dazu müssten die Bischöfe etwas von ihrer enormen Machtfülle abgeben und über den Weg der Selbstverpflichtung anderen Gremien und neuen Verfahren Mitentscheidungsrechte übertragen, etwa bei der Zulassung von Frauen zu Ämtern, bei Segensfeiern für Menschen in vielfältigen Partnerschaftsformen oder dem finanziellen Controlling. Das ist der Hebel, mit dem der Synodale Weg Erfolg haben kann.
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Vor dem Hintergrund der Debatten und Skandale der vergangenen Jahre – was sagen Sie persönlich den Gläubigen?
Ich möchte als katholischer Theologe den Menschen gar nichts sagen, sondern sie um etwas bitten. Schenken Sie der Kirche noch bis Oktober 2022 ihr Vertrauen. Denn bei der vierten Synodalversammlung im kommenden September stehen wichtige und verbindliche Entscheidungen zur Abstimmung. Wenn die Bischöfe ihre Zweidrittel-Mehrheit verweigern, dokumentieren sie ihre Reformunfähigkeit und -unwilligkeit. Wenn das eintrifft, haben sie endgültig den Rest an Vertrauen verspielt. Es ist die letzte Chance für die Kirche.
>>>> Der Synodale Weg
Die Synodalversammlung ist das oberste Organ des Synodalen Weges und fasst die Beschlüsse. Ihr gehören die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz, 69 Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken sowie weitere Vertreterinnen und Vertreter geistlicher Dienste und kirchlicher Ämter, junge Menschen und Persönlichkeiten an. Insgesamt umfasst die Synodalversammlung 230 Personen.
In der Online-Petition „Frankfurter Erklärung: Für eine synodale Kirche“ werben die Initiatoren um Unterschriften und Unterstützung für ihre Reformziele. Dort kann jede interessierte Person unterschreiben. „Als Mitglieder der katholischen Kirche erkennen wir den Synodalen Weg in Deutschland und weit über seine Grenzen hinaus als einen Kairos: als einen Moment der Entscheidung für unsere Kirche, vor die uns Gott stellt“, heißt es dort.