Ruhrgebiet. 57 Lehrerjobs schreibt Duisburg aus, keiner will sie haben. Zwei angehende Lehrer erklären, warum manche Städte und Schulen kaum Bewerber finden.

Duisburg findet keine Grundschullehrer mehr. In allen Ruhrgebietsstädten haben die strukturschwache Viertel mit Personalmangel zu kämpfen. Darum haben wir Julia und Martin gefragt: Wo bewirbt man sich als angehender Lehrer gerne – und wo lieber nicht? Ein heikles Thema für angehende Beamte, darum haben wir ihre Namen geändert. Julia (26) studiert noch Geschichte und Italienisch, ihre Mutter ist Förderschullehrerin. Martin (29) ist Referendar an einer Schule in Duisburg.

57 Lehrerstellen waren zuletzt in Duisburg an Grundschulen ausgeschrieben. Es gab keine einzige Bewerbung. Woran könnte es liegen?

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Martin: Der Standort Duisburg erzeugt, glaube ich, für viele, die nicht aus dem Ruhrgebiet kommen, erst mal ein Unwohlsein. Man verbindet damit Strukturschwäche, was ja auch stimmt, einen hohen Migrationsanteil, was häufig noch immer als etwas Negatives gewertet wird. Da machen viele erst mal eine Schnappatmung. Es wird dann immer verteidigt: Wir haben zwar einen höheren Migrationsanteil, aber trotzdem ist die Schule ganz gut. Doch wenn Duisburg Stellen ausschreibt und daneben eine Stadt wie Düsseldorf, und man hat als Bewerber die Wahl, würde man wohl eher nach Düsseldorf gehen. Weil man davon ausgeht, dass die Schulen dort besser ausgestattet sind und einen besseren Personalschlüssel haben, was in der Realität auch häufig stimmt. Und wenn ein Schüler mal nicht so gut ist, werden die Eltern es eher in Oberkassel kompensieren als in Marxloh. Das ist das Vorurteil. Ich bin an meiner Duisburger Schule allerdings sehr zufrieden und nehme auch die Stadt als sehr engagiert und gut wahr. So sehen es auch die meisten Kolleginnen und Kollegen im Seminar.

Julia: Ich habe neben dem Studium in Grundschulen gearbeitet. Was ich feststelle, ist, dass ein extremer Personalmangel herrscht gerade in den Vorstädten. Überall dort, wo es nicht zentral und nicht privat ist.

Wonach schaut Ihr, wenn Ihr euch bewerbt?

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Julia: Für mich ist das gerade ein Riesenthema, weil es aufs Praxissemester zugeht. Mein Fach Italienisch wird fast nur in größeren Städten angeboten, wo es mich auch eher hinziehen würde. Insofern habe ich da gute Chancen. Ich habe auch Kommilitoninnen, denen es davor graut, in Sprockhövel zu landen. Die haben gar keine Ahnung, wie sie dahin pendeln sollen. Anbindung und Wohnungspreise spielen eine wichtige Rolle.

Das würde ja wieder für Duisburg sprechen. Und die Lebensqualität?

Julia: In einer größeren Stadt ist es einfacher, Freunde zu finden und anzukommen.

Martin: Man muss sich anschauen, wer überhaupt eine große Wahl hat. In der gymnasialen Oberstufe haben wir, außer in wenigen Fächern wie Informatik und Mathematik, keinen großen Bedarf. Mit meinen geisteswissenschaftlichen Fächern habe ich also nicht die große Auswahl später. Meine Präferenz sind zwar auch eher Ballungsgebiete, aber wenn man den Speckgürtel mit der S-Bahn erreicht, würde ich das auch mitnehmen.

Welche Rolle spielt das Image einer Stadt?

Julia: Ich glaube, der Ruf spielt für viele eine Rolle.

Martin: Es ist natürlich schöner, wenn ich weiß, ich geh in eine reiche Kommune, wo ich keine Probleme mit dem Internet habe, wo die Bausubstanz gut ist. Es sind ja immer auch Softfaktoren: Habe ich eine gute Elternpflegschaft, einen Förderverein, der mir Dinge ermöglicht? Kann ich einen tollen Ausflug machen, ein iPad organisieren, wenn eins fehlt in der Klasse? Duisburg probiert ja, an diesen Dingen zu arbeiten. Die Wohnungsgesellschaft Gebag stellt Referendaren sechs Monate lang eine mietfreie Wohnung. Und noch einmal sechs Monate, wenn sie nach dem Referendariat in Duisburg bleiben.

Wie erfährt man denn überhaupt, ob eine Schule solche weichen Faktoren bietet?

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Julia: Es passiert viel über Mundpropaganda. Und man setzt sich mit der Online-Präsenz der Schulen auseinander. Was organisieren sie, was haben sie für Projekte, haben sie Partnerschaften mit anderen Schulen oder Unis? Ob eine Schule wirklich gut organisiert ist und Mittel zur Verfügung hat, merkt man aber meist erst, wenn man vor Ort ist. Die Selbstdarstellung ist sehr wichtig.

Hat Corona den Lehrerberuf unattraktiver gemacht?

Julia: Ich kenne viele aus meinem Grundstudium, die abgebrochen haben, weil sie dieses Online-Studium nicht ausgehalten haben. Bei vielen hat sich das Studium auch verlängert, weil sie ihr Praktikum nicht online machen wollten, verständlicherweise. Viele, die ihre Referendarszeit online gemacht haben, sind extrem unzufrieden und fühlen sich im Stich gelassen.

Martin: Gerade dort, wo vorher schon Personalmangel herrschte, an Grundschulen vor allem, hat Corona die Situation nochmal verschärft. Die Mehrfachbelastung und der Stress machen den Beruf sicher nicht attraktiver. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob es für viele auf Dauer abschreckend war.

Wie könnte man Anreize schaffen?

Julia: Gerade in der Förderschule und an der Grundschule sollte eine Entlastung beim Personal stattfinden. Die LehrerInnen stehen hier vor ganz neuen Herausforderungen, für die sie nicht ausgebildet wurden. Zum Beispiel durch einen großen Zufluss an Kindern mit Migrationshintergrund, die mit neun, zehn Jahren in die dritte Klasse gesteckt werden und kein Wort deutsch sprechen können.

Martin: Die Besoldung ist der größte Hebel. An der Grundschule werden Lehrkräfte mit A12 entlohnt, am Gymnasium mit A13, das ist schon ein erheblicher Unterschied. Es gibt noch immer altbackene Argumente: der Korrekturaufwand, das Abitur – aber dafür hat man an der Grundschule ganz andere Herausforderungen. Man muss die Kinder alphabetisieren und erziehen. Es wird bereits probiert, Regionalzuschüsse zu zahlen – auch das ist ein Mittel. Den NC abzuschaffen, macht keinen Sinn. Es müssten erst an den Unis entsprechende Studienplätze geschaffen werden.