Essen. Die Ukraine kann krebskranke Kinder nicht mehr behandeln.. Am Sonntag sind 21 von ihnen nach NRW gekommen. Die Mütter müssen eine Bleibe finden.
Willkommen, Stefaniya! Artur, mein Lieber! Sonntagmorgen, kurz nach 10 Uhr, hält ein polnischer Reisebus auf dem Gelände des Essener Uniklinikums. 21 ukrainische Kinder steigen schweigend aus, ihre Mütter und Geschwister, nur zwei Männer; sie alle gehen langsam in das Foyer des Audimax, ein Kind wird im Rollstuhl gefahren, manches ganz kleine getragen. Pausbäckchen schläft an Schulter. Milena, Paolina, Eduard, Kolja, Viktoria, Kyrill und alle anderen: Jetzt seid ihr da.
Sie sind drei, sieben, fünf, elf Jahre alt; vier, fünf, sechs, siebzehn, drei. Diese Kinder haben Krebs. Alle. Sie sind akut behandelt worden zuhause. Vor drei, vier Tagen waren sie da auch noch. Kiew, Lemberg, Odessa, Nikolaev. Doch unter den Bedingungen des Krieges war ihre Behandlung nicht mehr möglich, an Chemotherapie nicht zu denken.
15 Stunden sind sie durch die Nacht gefahren, sind zu müde für alles
Die Mütter flohen mit ihnen nach Polen, doch die Spezialkliniken in Polen sind nach etwa 100 Aufnahmen ukrainischer Mädchen und Jungen jetzt voll. Deshalb dieser Hilferuf aus dem ostpolnischen Lublin ins westdeutsche Essen. 1100 Kilometer. 15 Stunden sind sie durch die Nacht gefahren, sind jetzt zu müde für - alles. Manche weinen still.
„Wir sind fertig. Der Kleine hat auch Fieber“, erzählen die Eltern von Kolja (3). Sie waren zunächst mit dem Zug nach Lemberg gefahren, dann mit dem Bus an die Grenze. Auf der polnischen Seite stießen sie zu dem Sammeltransport. „Wegen des Kindes sind wir so stark“, sagt die Mutter: „Wir hoffen auf Hilfe hier im Land.“
„Ich mache gleich den Motor an, hab keine Angst, ich fahre nicht weg“
Bereits eine Stunde zuvor waren 25 freiwillige Helfer und Helferinnen der Johanniter im Audimax erschienen. Hatten Platten mit Brötchen aufgestellt, Schokoladenriegel, Kaffee, Wasser, Tee; hatten besprochen, wie es weitergeht mit den Kindern. Fünf können in Essen bleiben, die anderen werden weiterfahren in andere Kinderkrebs-Kliniken im Land, darunter Datteln, Dortmund, Herdecke.
Dafür stehen Wagen der Johanniter bereits Schlange. Hinter den Wagen: Dienstbesprechung. „Die müssen ja von hier aus eine Stunden zehn etwa nach Münster.“ Als die Kinder dann da sind, wird ein erster Krankentransporter umfunktioniert. Paolina, vielleicht zwölf, saß apathisch und blass auf einer Reisetasche, jetzt führen die Helfer sie zu dem Fahrzeug, damit sie liegen kann. „Ich mache gleich den Motor an“, sagt der Fahrer: „Aber hab’ keine Angst, ich fahre nicht weg. Es ist nur wegen der Heizung.“
„Meine Omi behält immer ihre Schuhe an, damit sie schneller im Keller ist“
Marija Baranik übersetzt das, übersetzt hier alles und für jede; sie ist eigentlich Krankenschwester im Haus und schon seit 20 Jahren in Deutschland. Aber bis auf ihre Eltern ist die Familie noch in der Ukraine. „Manche sind aufs Land gegangen, da ist es ruhiger“, sagt die 24-Jährige. Die anderen seien in Kiew, lebten „in Wohnungen, Kellern und Treppenhäusern“. Marija Baranik: „Meine Omi behält jetzt immer ihre Schuhe an, damit sie schneller im Keller ist, wenn es Alarm gibt.“ Da zieht sie schon wieder jemand am Arm, braucht ihre Dienste für ein anderes Gespräch. „Dringend.“ Es ist immer dringend gerade.
400 bis 500 krebskranke Kinder sind in der Ukraine in akuter Therapie. Viele von ihnen werden noch nach Deutschland kommen, wenn Polen nicht mehr kann. „Ein Konvoi ist in Rumänien unterwegs, und von einem in Charkiv wissen wir nicht, ob er schon gestartet ist“, sagt Professor Dirk Reinhardt, der Direktor der Kinder-Krebsklinik.
„Ich werde gesund, weil ich einen Schutzengel habe“
„Wir hoffen, dass wir den Frauen und den Kindern jetzt helfen können“, sagt Reinhardt. Aus der Ukraine haben die Ärzte die Daten der Kinder, die Diagnosen und Therapieverläufe erhalten und teilweise noch in der Nacht übersetzt. Aber „es geht ja nicht nur darum, ein paar freie Betten in einer Kinderklinik zu finden“, so Reinhardt: „Es geht darum, die Angehörigen unterzubringen, Mütter und Geschwister. Das geht nur mithilfe der Elterninitiativen.“ Elterninitiativen? Fast jede Kinderklinik hat Eltern, die sie unterstützen.
„Ich weiß nicht genau, wo ich war“, sagt eine Mutter: „Wir waren drei Tage unterwegs.“ Eine andere erzählt, dass sie Kiew verlassen haben, weil eine Granate die Klinik getroffen hatte, in der ihr Sohn behandelt wurde. „Er konnte nicht mehr behandelt werden. Wir wissen nicht, wie es jetzt weitergeht.“
Für die meisten geht es noch am Sonntag weiter in eine andere Klinik. Sie gehen zu der Seitenfläche, wo das Gepäck steht, suchen ihres wieder heraus. Da stehen wenige Koffer, wenige Reisetaschen, aber viele Plastiktüten oder große Einkaufstaschen. Alles voll mit Kindersachen. Beim Rausgehen kommen die Kinder an einem Plakat vorbei, das da an der Wand hängt. Darauf steht: „Ich werde gesund, weil ich einen Schutzengel habe.“ Er sei mit euch.