Herne. Herne bereitet sich auf die Ankunft von Flüchtlingen aus der Ukraine vor. Einer der zentralen Herner Ansprechpartner ist Konstantin Poliakov.

Herne bereitet sich auf die Ankunft von Flüchtlingen aus der Ukraine vor, die Stadt hat extra eine Koordinierungsstelle eingerichtet. Einer der zentralen Ansprechpartner für die Stadt ist der Herner Physiotherapeut Konstantin Poliakov (39). WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann sprach mit ihm über den Krieg und seinen Beitrag zu Hilfen.

Herr Poliakov, was geht in Ihnen vor, wenn Sie den Krieg in Ihrem Heimatland verfolgen?

Ich bin im Grunde genommen sprachlos. Ich bin wütend, traurig, teilweise hoffnungslos, ich mache mir Sorgen um meine Angehörigen und Freunde. Das auf ein Gefühl zu reduzieren, ist unmöglich. Die ganze Situation ist einfach nur katastrophal.

...Sie haben also noch Verwandte und Freunde in der Ukraine.

Genau. Ich habe ukrainische Wurzeln, ich bin mit zwölf Jahren nach Deutschland gekommen, aber mein Onkel lebt mit seiner Familie noch dort.

Wo genau?

In Charkiw. Das ist ja mit eineinhalb Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Ukraine, die auch schwer umkämpft ist. Neben meine privaten Kontakten haben wir in Charkiw gerade begonnen, dort eine Kooperation im Bereich Physiotherapie zu entwickeln. Es geht um die praktische Ausbildung der Studenten, wir kooperieren auch mit der dortigen Universität. Die Ukraine hat sich in den vergangenen Jahren als Land gut entwickelt, das zum Beispiel begonnen hat, ein Gesundheitswesen zu etablieren.

Waren Sie in den vergangenen Monaten Charkiw?

Ja, ich war im Herbst dort, um über Kooperationen und einen Austausch von Studenten zu sprechen. Und ich wäre eigentlich genau zum Zeitpunkt der Invasion in Charkiw gewesen, weil es Ende Februar ein zweites Gespräch hätte geben sollen. Ich bin nur nicht gefahren, weil der Termin verschoben wurde. Reines Glück für mich.

Was hören Sie zurzeit von Ihren Freunden und Verwandten?

Uns erreicht eine Flut von Nachrichten. Meine Verwandten in Charkiw sind fest entschlossen, dort zu bleiben. Das macht mir unheimlich Sorgen, weil meine Cousine drei Kinder hat. Ich bin froh über jede Nachricht, bei der ich erfahre, dass es ihnen gut geht.

Kann man die Flut in Zahlen fassen?

Mindestens 20 Nachrichten und Fragen pro Tag. Ich habe einerseits Kontakte nach Charkiw, so Freunde Ratschläge benötigen, andererseits bekomme ich viele Anfragen von Deutschen, die gerne helfen wollen. Deswegen haben wir uns entschlossen, Hilfe zu koordinieren. Ich habe eine enge Freundin hier in Herne, Beljanina Lena, mit der ich mich ganz eng abspreche. Sie kommt aus Kiew. Wir versuchen, unsere jeweiligen Netzwerke bestmöglich zu nutzen.

Wie kann diese Hilfe aussehen?

In einem Fall konnten wir dazu beitragen, dass zwei Säuglinge, die in Charkiw ihre Eltern verloren haben, dort sicher zu einer Neugeborenenstation gebracht werden konnten. Bei einem Freund, der gerade seine Familie an die polnische Grenze bringt, versuchen wir, die Weiterreise zu organisieren. Denn die Menschen kommen an der Grenze an und wissen in ihrer Verzweiflung nicht, wohin sie können. Die Menschen verlassen feste Strukturen und fahren ins Nirgendwo. Und sie sind mit ganz vielen Dingen überfordert. Brauche ich einen Reisepass, wo komme ich unter? Wir versuchen, Ansprechpartner zu sein. Damit können wir die Menschen beruhigen.

Sie arbeiten aber auch mit der Stadt Herne zusammen...

...genau. Wir haben auch der Stadt unsere Kontaktdaten gegeben. Und wir sind unendlich dankbar für das Engagement der Stadt Herne. Im Moment ist es so, dass Menschen, die aus der Ukraine kommen, bei Freunden und Verwandten unterkommen. Auch nach Herne sind Menschen unterwegs. Wenn sie hier ankommen, werden sie ganz viele Fragen haben. Ob Behördengänge oder Arztbesuche. Dann können wir so etwas wie ein Informationsknotenpunkt sein. Wir können die Menschen auf die Koordinationsstelle hinweisen, in die andere Richtung können wir der Stadt Hinweise geben. Ein Beispiel ist das Parkhotel. Das stellt ja fünf Zimmer zur Verfügung. Ich habe Hendrik Van Dillen zugesagt, dass ich etwas koordiniere, sobald ich etwas höre von Menschen, die eine Unterkunft benötigen. Ich habe eben sehr viele Kontakte, weil ich in Herne lebe und arbeite, seit meine Familie 1994 aus der Ukraine ausgewandert ist.

Kann es denn sein, dass die Unterkünfte, die die Stadt zur Verfügung stellt, am Ende nicht genutzt werden, weil die Flüchtlinge bei Freunde und Verwandten unterkommen?

Ich glaube, dass wir gerade am Anfang dieser Katastrophe stehen. Die Zahl der Flüchtlinge wird wohl weiter steigen. Aber das ist ganz schwer einzuschätzen. Ich habe auch Meldungen bekommen, dass Menschen in der polnisch-ukrainischen Grenzregion bleiben wollen, damit sie so schnell wie möglich nach Hause können, sobald der Konflikt beendet ist. Die Hoffnung, dass die Ukraine ein eigenständiger Staat bleibt, ist nach wie vor ungebrochen. Aber es werden Menschen kommen, die keine Verwandten und Freunde in Deutschland haben. Es könnten aber auch Russen kommen, die in der Ukraine leben. Die fliehen nicht nur vor dem Krieg, sondern auch vor dem autokratischen Putin-Regime. Für Menschen mit russischem Pass wäre es ja einfacher gewesen, die Grenze nach Russland zu überqueren. Aber ich höre, dass sie sich auf den Weg nach Westen machen. Sie haben in einem demokratischen Land gelebt und sie kennen die Strukturen Russlands. Und diese Russen sagen ganz klar: Wir wollen nicht in diesen russischen Strukturen leben.

>>> WIE HILFE GELEISTET WERDEN KANN

■ Die Koordinierungsstelle der Stadt Herne appelliert, zurzeit auf Sachspenden zu verzichten. Werde sich Bedarf an Sachspenden ergeben, werde die Stadt hierüber zeitnah informieren. Der Stadt Herne angebotener Wohnraum für Geflüchtete werde auf seine Eignung geprüft und bedarfsorientiert als Unterbringungsreserve vorgehalten. Meldungen von Wohnraum nimmt die Stadt unter entgegen.

■ Menschen aus der Ukraine dürfen sich zunächst für 90 Tage ohne Anmeldung und visumfrei in der EU aufhalten. Zeichnet sich ein Aufenthalt über diesen Zeitraum hinaus ab, beispielsweise, um in Herne einen Wohnsitz zu nehmen, ist das Einwohnermeldeamt die richtige Anlaufstelle. Dort können gleich die erforderlichen ausländerrechtlichen Anträge gestellt werden. Die Kontaktaufnahme ist unter der Adresse möglich.