Essen./Gladbeck. Als die Freundin starb, holte der Gladbecker keinen Arzt. Er kam vors Essener Schwurgericht, doch das zeigte Milde.
Es wäre wohl eher ein Fall für Sozialarbeiter, was den Gladbecker Peter K. am Freitag vor das Essener Schwurgericht geführt hatte. Aber die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, den Tod seiner Lebensgefährtin mit verschuldet zu haben, als sie im Sterben lag. Vor Gericht traf der 62-Jährige auf milde gestimmte Richter.
Ein trauriger Fall. Am Abend des 8. Mai 2020 hatte die Lebensgefährtin des Angeklagten einen Krampfanfall erlitten, wie sich später herausstellte durch eine Blutzuckerentgleisung. Schaum hatte sie vor dem Mund und zitterte. Laut Anklage hatte Peter K. sie gefragt, ob er den Arzt rufen solle. Sie habe das aber durch ein Kopfschütteln verneint.
Aus dem Mund geblutet
Mehrfach soll der Angeklagte, der sich mittlerweile schlafen gelegt hatte, in der Nacht durchs Wohnzimmer gegangen sein. Dabei habe er gesehen, dass sie aus dem Mund blutete. Dennoch habe er weiterhin keinen Arzt gerufen. Er habe ja gesehen, dass sie noch atmete, sagte er am nächsten Morgen der Polizei.
Erst um 9.30 Uhr, als sie bereits tot war, hatte er den Arzt gerufen. Polizisten vermerkten an diesem Morgen ein unangemessenes Verhalten des Angeklagten. Er habe sich über Durchzug beschwert und Flüssigkeit auf den Boden geschüttet.
Zunächst vor dem Amtsgericht Gladbeck angeklagt
Dann ging alles seinen juristischen Gang. Die Staatsanwaltschaft Essen klagte Peter K. wegen unterlassener Hilfeleistung an. Das Gladbecker Amtsgericht verhandelte den Fall am 8. Oktober 2021 und erkannte rechtlich eine Aussetzung mit Todesfolge. Ein Delikt, das mit mindestens drei Jahren Haft bestraft wird. Es verwies den Fall an das für derartige Taten zuständige Schwurgericht.
Die Essener Richter nahmen den Angeklagten im November erst einmal in Untersuchungshaft. Im Januar untersuchte ihn der vom Gericht beauftragte psychiatrische Gutachter Frank Sandlos. Der erkannte erhebliche psychische Störungen und empfahl die Unterbringung in der forensischen Psychiatrie, wo sich medizinisches Fachpersonal um psychisch gestörte Häftlinge kümmert.
Alkohol ließ das Gehirn schrumpfen
Dieser Schritt erfolgte Ende Januar. Bei einer neuen Untersuchung Mitte Februar arbeitete Sandlos schließlich heraus, was er dem Schwurgericht am Freitag schilderte. Peter K., früher Montagearbeiter im Ausland, hat in seinem Leben offenbar zu oft dem Alkohol zugesprochen. Kernspint-Aufnahmen zeigen ein deutlich geschrumpftes Gehirn. Sandlos sprach vom Korsakow-Syndrom und verdeutlichte seine Diagnose: "Es liegt nahe, vom Endbild eines chronischen Alkoholmissbrauchs zu sprechen."
Die Folgen für Peter K. sind Gedächtnisstörungen, Intelligenzabbau und fehlendes Mitgefühl. Sandlos: "Es bestehen auch Zweifel, ob er die Situation damals überhaupt richtig einordnen konnte." Er hielt den Angeklagten für möglicherweise schuldunfähig. In der geschlossenen Psychiatrie untergebracht werden müsse er aber nicht, weil von ihm keine direkte Gefährlichkeit ausgehe.
Verfahren wird eingestellt
Staatsanwältin Elke Hinterberg regte zu diesem Zeitpunkt die Einstellung des Verfahrens an. Die Kammer beriet und stimmte danach zu. Richterin Juliane Ritschel sagte, dass die Kammer das Delikt der Aussetzung mit Todesfolge verneine, weil es sehr zweifelhaft sei, ob Peter K. die Gefahrensituation erkannt habe. So blieb die unterlassene Hilfeleistung, die aber eingestellt wurde.
Erleichtert wurde die Entscheidung, weil der Betreuer des Angeklagten sich um einen Heimplatz im Münsterland bemüht hatte. Dorthin brachte er ihn nach Ende der Sitzung.