Ruhrgebiet. Viele Geschäfte stehen jetzt nur noch geimpften und genesenen Menschen offen. Der erste Tag verlief geräuschlos. Die Hauptsorge ist eine andere.

„Barbaras Raritäten“ gibt es jetzt auch schon wieder seit 1974, doch noch nie hat jemand von der Chefin erwartet, dass sie die Impfausweise ihrer Kundinnen kontrolliert. An diesem Samstagnachmittag, nach den ersten Stunden der Neuregelung, nimmt Barbara Biernacki das aber schon ganz gelassen: „Man erlebt immer was Neues.“

Denn die meisten, die in das Recklinghäuser Geschäft kommen, halten Impfausweis und Personalausweis von selbst hoch, bevor sie sich den Schals, Kissen und Taschen zuwenden. Ähnlich erlebt das Gerda Petermann nebenan mit ihren Accessoires: „Alle sind verständnisvoll. Ich bin sehr zufrieden im Moment.“ Und so geht das weiter. Wen man auch fragt.

„Ausweis und Führerschein bitte!“, scherzt der Einlassbeamte

Händler - wie hier bei Haushaltswaren Spiekermann in Recklinghausen - behelfen sich auch, indem sie ihre Kunden und Kundinnen durch Aushänge auf die neuen Regelungen aufmerksam machen.
Händler - wie hier bei Haushaltswaren Spiekermann in Recklinghausen - behelfen sich auch, indem sie ihre Kunden und Kundinnen durch Aushänge auf die neuen Regelungen aufmerksam machen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Einführung von 2G in Teilen des Einzelhandels verläuft an diesem zweiten Adventswochenende im Ruhrgebiet am Rande des Wahrnehmbaren. Kürzere Schlangen vor großen Textilhäusern. Das Schuhhaus, wo eine Verkäuferin am Rand des Eingangs zugleich eine Kundin berät und eine andere kontrolliert. Die Parfümerie: ein kurzer Stopp, zwei Blicke auf die Ausweise - drin. Der Elektronik-Großmarkt: „Ausweis und Führerschein bitte!“, scherzt der Einlassbeamte. Die längsten Schlangen stehen gerade da, wo samstags geimpft wird.

Wobei: der komplette Einzelhandel? Naja, naja. Für die Liste der Ausnahmen, für die Branchen des alltäglichen Bedarfs, brauchen Sie jetzt einen ganz langen Atem: Wie gehabt geht es mit 3G weiter in Super- und Getränkemärkten, an Tank- und Poststellen, in Apotheken und Drogerien, Buchhandlungen und Blumenläden; in Groß-, Garten- und Baumärktenrkt, Sanitätshäusern, Tierbedarf- und Futtermittelhandel, Zeitungskiosken, Babyfachmärkten, Waren- und Reformhäusern. Wochenmarkt ist 3G, Weihnachtsmarkt ist 2G, außer, man verkauft Weihnachtsbäume. Das ist doch endlich mal einfach und klar.

„Die Kundenfrequenz ist nicht hoch, und das wird jetzt auch erstmal so bleiben“

Deutlich ist aber auch: Voll ist anders in den großen Innenstädten. „Die Kundenfrequenz ist nicht hoch, und das wird jetzt auch erstmal so bleiben“, sagt Barbara Biernacki. Einer ihrer Kollegen sagt, mit 2G habe die Politik Amazon den Ball auf den Elfmeterpunkt gelegt. Eine Einschätzung ist das, die auch andere in weniger bildhafter Sprache teilen.

Doch was die Kontrollen angeht, da sagen sie: „Kann mich nicht beklagen.“ Oder: „Alles reibungslos gelaufen.“ In einer Schlange vor einem Recklinghäuser Mischwarenladen muss eine sehr freundliche junge Frau immer wieder Kunden abweisen, aber die gehen dann auch einfach fort. Die ungeimpfte Schwangere. Die ältere Schülerin ohne Schülerinnenausweis. Die junge Familie, nur mit Tests ist sie gekommen. „Nur mit Test geht nicht. Das kommt von ganz oben.“ In einem Moment ohne Andrang sagt die Kontrolleurin: „Einige Vorfälle hat es schon gegeben“. Doch es blieb im Verbalen.

Besser als ein neuer Lockdown oder die Begrenzung der Zahl der Kunden

Wir haben niemanden getroffen, der sich am Samstag zerreißen musste zwischen Kundendienst und Eingangskontrolle. Bei etwas größeren Läden wird aber jetzt im Weihnachtsgeschäft ins Gewicht fallen, dass sie jemanden abstellen müssen zum Kontrollieren.

„Wir müss einen aus dem Verkauf nehmen und an die Tür stellen“, sagt etwa Tobias Wagner, Inhaber eines Spielzeuggeschäftes in Bochum mit rund 15 Mitarbeitern und Aushilfen. Dennoch sei 2G „besser als ein Lockdown oder wieder die Beschränkung der Zahl der Kunden im Laden.“ Ein neuer Lockdown wäre „wie Totschlag gewesen. Jetzt haben wir zwei blaue Augen, ein drittes kann man ja nicht mehr kriegen.“

Die Lager sind voll. Der Laden ist voll. Passt insofern gerade. Auf die politische Entscheidung allerdings, dass Spielzeug drei Wochen vor Weihnachten kein alltäglicher Bedarf ist, kann man nur in einem greisen Land wie Deutschland kommen.