Herne. Die neue Urbanatix-Produktion erzählt die ergreifende Geschichte des afrikanischen Tänzers TK. Zu sehen ist sie jetzt im Bochumer Schauspielhaus.

Heimat, sagt Takudzwa Madaka, ist: „Wo man sich nicht rechtfertigen muss. Wo du sein kannst, wie du willst.“ Nun, er will nichts mehr als tanzen, soviel ist sicher. An fünf Abenden wird der 27-Jährige es nun auf der Bühne des Bochumer Schauspielhauses tun. „Urbanatix Home - on stage“, die neueste Produktion des erfolgreichen Streetart-Projekts um Regisseur Christan Eggert, erzählt seine ergreifende Geschichte.

Der junge Mann aus Butawaya, der zweitgrößten Stadt Simbabwes, kam 2016 nach Deutschland, mit einer Künstler-Gruppe im Rahmen eines Freiwilligenjahres. Da war er in dem südafrikanischen Land schon ein Star, einer der bekanntesten Hiphopper. Doch in Simbabwe, erzählt Madaka, „macht man Tanzen nicht zu seinem Beruf“. Jura sollte er studieren nach seiner Rückkehr, sein Vater, ein Ingenieur, hätte das wohl gut gefunden.

Als die anderen heimflogen, rief TK seine Mutter an: Ich will in Deutschland bleiben

Er wollte tanzen, seit er denken kann Doch in Simbabwe „macht man das nicht zum Beruf“, sagt TK.
Er wollte tanzen, seit er denken kann Doch in Simbabwe „macht man das nicht zum Beruf“, sagt TK. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Zwölf Monate lang tourte seine „Creative Arts“-Truppe damals durch Deutschland, besuchte auch internationale Festivals, traf andere junge Künstler. Als der Tag des Rückflugs kam, die Kumpel bereits auf dem Weg zum Flughafen waren, rief Madaka seine Mama an: Er wolle bleiben… Hier könne er lernen und sich entwickeln. Seine Mutter, eine Geschichtslehrerin, weinte, aber sie versuchte gar nicht erst ihn umzustimmen. „Sie hat verstanden, dass das Tanzen mein Traum, mein Herz ist, seit sie mich das erste Mal auf der Bühne sah“, erklärt Takudzwa Madaka. Den im Übrigen niemand so nennt, weil er als Neunjähriger einen drei Jahre älteren, streitlustigen Mitschüler einmal nachhaltig in die Schranken wies. Madaka ist seither für alle nur TK, das steht für „Technical Knockout“.

Der junge Afrikaner also verlängerte sein Visum, blieb in Deutschland. Über verschiedene Stationen und viele Umwege landete TK im Revier, fand im Essener Weiglehaus, einer Jugendeinrichtung der evangelischen Kirche, eine Festanstellung als Tanzlehrer, auch eine kleine Wohnung in Huttrop. Er verdient, was er braucht, studiert zudem an einer privaten Hochschule in Dortmund „International Management“, will in dem Fach seinen Bachelor machen. Sein Deutsch ist nicht perfekt, aber erstaunlich gut. Als er kam, sprach er ja kein einziges Wort; in Simbabwe war er mit Shona, Ndebele und Englisch aufgewachsen, den drei gebräuchlichsten Amtssprachen.

„Ich wäre blöd gewesen, den wieder ziehen zu lassen“

Christian Eggert, Erfinder und kreativer Kopf von Urbanatix. Sein außergewöhnliches Streetart-Projekt schrieb eine ganz unerwartete Erfolgsgeschichte.
Christian Eggert, Erfinder und kreativer Kopf von Urbanatix. Sein außergewöhnliches Streetart-Projekt schrieb eine ganz unerwartete Erfolgsgeschichte. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Milo Brahaj, der Leiter der Tanzarbeit im Weiglehaus, nahm TK mit zu einer Urbanatix-Show, stellte ihn Christian Eggert dann bei einem Casting vor. Und der war auf Anhieb begeistert, schwärmt noch heute: „TK ist ein super Tänzer, hat so viel positive Energie, einen total guten Flow – ich wäre blöd gewesen, den wieder ziehen zu lassen.“ 2019, in der großen Jubiläumsshow „X“ zum 10. Geburtstag von Urbanatix, tanzte TK in der Bochumer Jahrhunderthalle vor voll besetzten Rängen seinen ersten Solopart. Auf einer riesigen Pyramide. Die es gesehen haben, werden sich erinnern. „Wenn er nicht denkt, und nur tanzt“, sagt Eggert, „ist das immer ein ganz besonderer Moment.“ Wovon er geträumt habe, seit er Kind war, sei damals wahr geworden, erzählt Takudzwa Madaka.

Es war die letzte Urbanatix-Produktion vor der Pandemie. Im vergangenen Jahr fielen die alljährlichen Vorstellungen im November wegen Corona aus – Christian Eggert drehte stattdessen einen Kurzfilm mit seinen jungen Wilden: den Bikern, Trickern, Traceuren und anderen, die er auf den Straßen des Reviers gefunden hatte, und die sonst zusammen mit den ganz Großen der Branche auf die Bühne bringt. Der Film, er wurde eine turbulente, fantastische Hommage an die Stadt Bochum, ans ganze Revier eigentlich – und Takudzwa Madaka sein Protagonist.

Stetes Bangen um den Aufenthaltsstatus, immer in Sorge „nicht zu genügen“

Proben für die neue Show, die erste im Schauspielhaus. Am kommenden Mittwoch ist Premiere.
Proben für die neue Show, die erste im Schauspielhaus. Am kommenden Mittwoch ist Premiere. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Erst während der Dreharbeiten, erzählt Christian Eggert, habe er mehr über TK erfahren. Dass es nur so schien, als könne sich der ambitionierte Tänzer „mit so viel Talent“ in Deutschland endlich frei entfalten. „Wir erfuhren, dass er ständig um seinen Aufenthaltsstatus bangt, wie abhängig er vom Gutdünken der Behörden ist, nicht eine Prüfung an der Uni vermasseln darf, seine Scheine stets pünktlich einreichen muss – sonst schickt man ihn zurück nach Afrika.“ TK habe immer Angst, „nicht zu genügen“. Eggert nennt das „absurd“: „Wir sind doch eine Erde, da sollte jeder Mensch sich aufhalten dürfen, wo er will.“

Sieht die deutsche Ausländerbehörde anders, stöhnt Madaka leise. Doch mehr sagt er nicht, kein Wort der Klage über die ungezählten, unverständlichen Formulare, die er ausfüllen, die vielen Auflagen, die er ständig aufs Neue erfüllen muss, kommt über seine Lippen. Davon erzählt nur Eggert, kopfschüttelnd. TK sagt: „Die deutschen Studenten haben Zeit, sich neben dem Studium zu finden; ich nicht. Aber ich verstehe das. Die Leute könnten das ja ausnutzen“.

„Meine Heimat? Die Bühne ist es, der Tanz.“

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Also ist weder Simbabwe noch Deutschland seine Heimat? „Urbanatix ist mein Zuhause, die Bühne ist es, der Tanz“, sagt TK. „Und, wer weiß wohin mich mein Weg noch führt. Jetzt, da ich schon so weit gekommen bin...“

Natürlich aber vermisst er seine Familie, seit 2016 hat er sie nicht mehr gesehen. Fast täglich telefoniert er mit seiner Mutter, erzählt ihr von seinem wackligen Glück im fernen Deutschland, seinen Sorgen und den tollen Menschen, die er hier gefunden hat. Christian Eggert fand dieser Tage auf Facebook eine Freundschaftsanfrage von Mama Madaka vor.

>>>> INFO Urbanatix Home - on stage

Die neue Bühnenproduktion um das Suchen und Finden von Heimat ist inspiriert durch den im Sommer entstandenen Film „Urbanatix Home“; sie kombiniert dessen Bilder mit Live-Akrobatik – und TKs Biografie. Für die Inszenierung arbeitete Christian Eggert wie beim Film mit Frank Hörner zusammen, dem Leiter des Theater Kohlenpott.

Das Bochumer Schauspielhaus machte für das außergewöhnliche Projekt fünf Extra-Termine möglich. Premiere ist am 8. Dezember. Weitere Vorstellungen: 9., 13., 14. und 15. Dezember, jeweils 19.30 Uhr im großen Saal.

Das Hygienekonzept des Schauspielhauses erlaubt 400 Zuschauer pro Abend, Info und Tickets (ermäßigt 23€ / regulär 37€) gibt es auf https://tickets.schauspielhausbochum.de