Ruhrgebiet. Jetzt wissen die Chefs, wer geimpft ist und wer nicht: Seit Mittwoch müssen Arbeitnehmer ihren Corona-Status nachweisen – oder einen Test.
Seiteneingänge geschlossen, nicht einsehbare Treppen abgesperrt, der Weg zum Arbeitsplatz führt ab sofort über den Pförtner. Oder die Baustellenaufsicht. Oder die Sekretärin. Oder den Betriebsleiter Binnenschifffahrt: Beim Schiffsausrüster Wittig in Duisburg erwartet am frühen Morgen Tobias Fritsch seine Kolleginnen und Kollegen. Einmal den 3G-Nachweis, bitte! Seit Mittwoch gilt: Wer arbeiten will, wo er das immer tut, muss geimpft, genesen oder frisch getestet sein.
Sie führen überall Listen an diesem Tag, handgeschriebene, computergestützte, Fritsch hat seine Excel-Tabelle ausgedruckt. Grün für Geimpft, gelb für Genesen, dahinter ein „Achtung!“: Bei diesen Mitarbeitern müssen sie aufpassen, wann das „Hatte Corona, ist aber wieder gesund“ nicht mehr gilt (nach sechs Monaten). Rot steht im Ampelsystem nicht für „Darf nicht rein“, sondern für „Muss täglich einen Test vorlegen“. 15 bis 20 Prozent seiner Leute betreffe das, sagt der Geschäftsführende Gesellschafter Frank Wittig, es hat ihn nicht überrascht. Bislang hat er seine Ungeimpften ja nicht kennen dürfen, jetzt sieht er, erwartungsgemäß: Sein Betrieb ist ein Abbild der Gesellschaft.
Impfstatus wird bei automatischen Zugangskontrollen erfasst
Die meisten Unternehmen hatten ihre Mitarbeiter zu Wochenbeginn informiert: Das 3G-Gesetz kommt. Trotzdem blieb nicht viel Zeit, die Sache zu organisieren. Von einer „dynamischen Verordnungslage“ spricht Wittig, es ist ein freundlicher Ausdruck für das, was viele Kollegen denken: Es gilt aber auch bald jeden Tag etwas anderes. Betriebsräte wollen nun natürlich mitsprechen, Personalräte, Abteilungen für Qualitätskontrolle – was ja irgendwie passend ist – bei der Frage: Wie machen wir’s?
Kleinere Betriebe also kontrollieren am Eingang, zum Teil bilden sich lange Schlangen. Größere wie Thyssenkrupp bieten die Möglichkeit, den Impfnachweis bei einem Vorgesetzten zu hinterlegen: Dann wird nicht mehr jeden Tag geprüft. Andere verlangen Impf- nebst Personalausweis täglich, bei Evonik müssen alle Mitarbeiter, die für den automatischen Zugang zu den Standorten freigeschaltet werden wollen, ihrem jeweiligen Vorgesetzten das Ablaufdatum des Impf- oder Genesenen-Zertifikats „zur Sichtkontrolle vorlegen“. Die Daten werden auf den Zugangsausweisen zu allen Standorten gespeichert, Anfang kommender Woche wird dann ein automatisches Zutrittssystem freigeschaltet. Wer nicht geimpft ist, dem nutzt das nichts: Er muss mit seinem Testergebnis zum Werkschutz. In einem großen Essener Bürogebäude, wo am Empfang gecheckt wird, müssen sie am Morgen tatsächlich Angestellte nach Hause schicken: Sie haben gar keinen Nachweis dabei.
Unternehmer: „Hier wird niemand ausgegrenzt“
Mancher Arbeitnehmer aber hat sich auch Sorgen gemacht. Was, wenn nun alle wissen, dass ich nicht geimpft bin? Von öffentlicher Stigmatisierung ist die Rede, Frank Wittig spricht von einer „Kultivierung der Angst“. Ob er jetzt gekündigt werde, fragte einer den Chef. Aber das kommt gar nicht in Frage: „Wer macht denn dann die Arbeit?“, denkt Wittig laut, der auf seine Leute gar nicht verzichten will. Und es auch nicht muss, wenn der doch negativ getestet ist. Der 53-Jährige, der in vierter Generation am Steuer des Familienbetriebs sitzt, würde auch einem Mitarbeiter, der den Nachweis verweigert, weiter Gehalt zahlen – obwohl er ihn nach Hause schicken müsste: „Hier wird niemand ausgegrenzt.“ Zudem glaubt Wittig auch nicht, dass die neue 3G-Regel dem Land zu besseren Impfquoten verhelfen wird: „Nur weil wir den Lästigkeitsfaktor erhöhen, lassen sich doch nicht mehr Menschen impfen.“
Das würde sich Thorsten Rath, Geschäftsführer des Ingenieur-Büros Ingenum in Bottrop, vielleicht wünschen. Drei seiner 45 Leute starken Mannschaft sind noch nicht immunisiert, obwohl der Chef vor Monaten sogar eine Art Impfbus organisierte. Aber nun, Rath sieht die Lage pragmatisch: „Die Regelungen sind klar. Jeder darf sich selbst gefährden, dann aber in Eigenverantwortung.“ Die Konsequenzen müssten die Betroffenen selbst tragen – sich also täglich testen lassen. Auf den Baustellen, auf denen seine Ingenieure tätig sind, wird das im Eingangsbereich kontrolliert, in Bottrop übernimmt es die Prokuristin. „Wenn ihr es euch weiter leisten wollt, euch nicht impfen zu lassen“, hat Rath seinen Leuten gesagt, „dann investiert ihr eben ins Testen.“
Negativer Test ist der beste Schutz
Aber auch die Geimpften bei Ingenum nehmen zu wichtigen Kundenkontakten einen Selbsttest mit. Und aufs Testen setzt auch Thyssenkrupp: Schon seit Montag hat jeder Mitarbeiter ein Anrecht auf einen täglichen Test, also fünf pro Woche – zwei sind vorgeschrieben. „Wir sind der Meinung, dass ein negatives Testergebnis den besten Schutz für das gemeinsame Arbeiten bietet“, sagt ein Unternehmenssprecher. Auch eine symptomfreie, geimpfte Person könne schließlich „unter Umständen eine Infektion an Ungeimpfte weitergeben“.
Und das ist ja der Sinn des neuen Gesetzes: nicht nur, dass Infektionen auch am Arbeitsplatz erkannt werden. Sondern, dass Kollegen sich möglichst nicht gegenseitig anstecken. So, wie in Duisburg Schiffsausrüster Frank Wittig sagt: „Unsere Mitarbeiter sollen keine Angst haben. Sie sollen sich sicher fühlen.“
>>INFO: DIE NEUEN REGELN IM ÜBERBLICK
Das neue Infektionsschutzgesetz mit Regeln für 3G am Arbeitsplatz ist seit Mittwoch in Kraft. Zugang zu Betrieben bekommen Beschäftigte nur noch, wenn sie geimpft, genesen oder getestet sind.
Geimpfte und Genesene müssen das belegen – zum Beispiel mit dem gelben Impfpass, Impfzertifikat über eine App oder Genesenennachweis. Ungeimpfte, die nicht von zu Hause arbeiten können, müssen dem Arbeitgeber einen tagesaktuellen Test (oder maximal 48 Stunden alten PCR-Test) vorlegen. Auch ein Selbsttest vor Ort unter Aufsicht des Arbeitgebers ist möglich.
Arbeitgeber sind für die Überprüfung der Nachweise vor dem Betreten der Arbeitsstätten verantwortlich. Unternehmen müssen die 3G-Regeln täglich kontrollieren und auch dokumentieren. Arbeitgeber sollen zudem mindestens zweimal pro Woche kostenlose Tests anbieten.