Düsseldorf. Die Bundeswehr soll wieder helfen. Lücken werden immer größer: Kontaktaufnahme vielerorts nur noch zu den besonders Gefährdeten.
„Wir gehen auf dem Zahnfleisch“ – Solche Sätze sind in den Gesundheitsämtern in NRW wieder häufig zu hören. Denn bei Inzidenzen jenseits von 150 haben die Mitarbeiter große Probleme bei der Nachverfolgung von Infektionsketten.
Laut dem Städtetag NRW können die Gesundheitsämter trotz personeller Verstärkung nicht mehr alle Kontaktpersonen von Covid-19-Infizierten nachverfolgen. Die Städte würden auch wieder zusätzlich um Unterstützung durch die Bundeswehr bitten. „Bei sehr hohen Inzidenzen können Gesundheitsämter allerdings nicht alle Kontaktpersonen nachverfolgen. Jenseits von Inzidenzen von 100 bis 150 müssen die Ämter auch priorisieren“, sagte Städtetag-NRW-Geschäftsführer Helmut Dedy dieser Redaktion.
Städte warten auf Signale vom RKI oder vom NRW-Gesundheitsministerium
Der Verband hält es für sinnvoll, sich bei der Kontaktnachverfolgung vorrangig auf enge Familienangehörige zu konzentrieren, weil dort die meisten Infektionen weitergegeben würden. Zudem fordert er eine Klarstellung des Robert Koch Institutes (RKI) oder des NRW-Gesundheitsministeriums, „dass bei sehr hohen Inzidenzen keine lückenlose Kontaktnachverfolgung erfolgen muss. Und wir brauchen Leitlinien für eine Priorisierung der Kontaktpersonennachverfolgung“, so Dedy.
Ein Sprecher der Stadt Bochum erklärte, die Kapazitätsgrenzen bei der Kontaktpersonennachverfolgung seien seit einigen Tagen erreicht. Seitdem werde vor allem im Umfeld besonders gefährdeter Personen ermittelt. Bundeswehrangehörige seien in Bochum nicht für die Gesundheitsämter, sondern für die Impfstellen angefordert worden.
Auch Herne möchte Hilfe von der Bundeswehr.
Fokus auf die mit dem höchsten Risiko
Aus Dortmund hieß es, die Lage ermögliche es nicht mehr, Infektionsketten zu erfragen oder zu verfolgen. „Derzeit kann es nur noch darum gehen, die Betroffenen schnell zu erreichen und abzuklären, ob Kontakte etwa zu Kitas, Schulen, Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäuser bestanden. In diesem Fall werden Kontakte auch weiterverfolgt und informiert“, sagte eine Stadt-Sprecherin. Es würden nur noch jene kontaktiert, „die das höchste Risiko haben.“
Ähnlich belastet sind die Gesundheitsämter in den Kreisen Wesel und Kleve. Dort wird überlegt, die Bundeswehr um Hilfe zu bitten. Auch in Essen komme es zu Verzögerungen, so eine Stadt-Sprecherin.
Mülheim, Duisburg und Düsseldorf noch nicht am Limit
In Mülheim, Duisburg und Düsseldorf könne eine lückenlose und tagesaktuelle Kontaktnachverfolgung nach Angaben der Stadtverwaltungen zwar noch gewährleistet werden. Das Mülheimer Gesundheitsamt arbeite aber bereits an einem Strategiewechsel. Falls sich die Pandemie weiter verschärfe, werde die Kontaktaufnahme künftig auf Infizierte reduziert „und der Fokus auf Kontaktpersonen mit Bezug zu vulnerablen Gruppen gelegt“.
Die Strategie ist nicht völlig neu: Das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt bereits seit dem 9. September, Ausbrüche in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen oder sogenannte „Superspreading“-Veranstaltungen priorisiert zu behandeln. Zudem müsse beachtet werden, wie viele der Kontaktpersonen vollständig geimpft waren, wie anfällig die Betroffenen für einen schweren Verlauf sind und wo es zu einer möglichen Übertragung kam. Ein längerer Kontakt innerhalb eines Gebäudes sei „mit wesentlich höherem Risiko verbunden als in Außenbereichen“, so das RKI.
„Einzelinfektionen stehen aus infektionsepidemiologischer Sicht aufgrund der relativ hohen Impfquote im Kreis Wesel nicht mehr im Fokus der Präventionsmaßnahmen“, schreibt Kreissprecherin Schulte. Auch im Kreis Kleve würden Ausbruchgeschehen in vulnerablen Gruppen nach Kreisangaben vorrangig abgearbeitet werden. Die Städte Düsseldorf und Essen setzen hingegen gesonderte Teams ein, die sich auf Infektionen in Pflegeheimen, Schulen oder Kitas spezialisiert haben. „Diese Einteilung beinhaltet aber keine Priorisierung, sondern nur eine fallspezifische Abarbeitung“, sagt Essens Sprecherin Trilling.
Infizierte sollen online über ihre Kontakte informieren
Um die Kontaktnachverfolgung trotz steigender Infektionszahlen bewältigen zu können, setzen einige Städte und Kreise auf die aktive Mithilfe der Bürgerinnen und Bürger. So haben der Kreis Wesel und Duisburg Online-Formulare erstellt, mit deren Hilfe Infizierte ihre möglichen Kontaktpersonen selbst dem Gesundheitsamt übermitteln können. Im Kreis Kleve sei ein ähnliches Online-Verfahren bereits in der Entwicklung.
Mithilfe des digitalen Melde-Formulars könne die Bearbeitung einzelner Fälle beschleunigt werden. „Die zeitaufwändige Datenerfassung im Telefonat entfällt“, erklärt Duisburgs Sprecher Peter Hilbrands. Rund 40 Prozent der Infizierten würden das digitale Melde-Verfahren nutzen. „Wird das Formular nicht zeitnah ausgefüllt, muss die Person erneut telefonisch kontaktiert und die Daten dann dort abgefragt werden“, so Hilbrands. Im Kreis Wesel gebe es zwar keine konkreten Zahlen, das Gesundheitsamt registriere jedoch „bei der Bevölkerung eine hohe Motivation um Mitarbeit“.
Düsseldorf stockt das Personal auf
Neben einer priorisierten Abarbeitung der Infektionsfälle sowie digitalen Melde-Verfahren setzt ein Großteil der Kreise und Kommunen auch auf zusätzliche Mitarbeiter. „Die Kontaktnachverfolgung wurde zuletzt angesichts wieder steigender Infektionszahlen mit weiterem Personal ausgestattet“, sagt Düsseldorfs Sprecherin Annika Mester. Derzeit seien rund 300 Mitarbeiter im Einsatz. „Im Sommer 2021 waren es rund 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.“ In den Kreisen Wesel und Kleve sowie in Mülheim gebe es zudem Überlegungen, die Hilfe der Bundeswehr hinzuzuziehen.