Bochum. Vor Corona hatte eine Bochumerin keine Angst, vor der Impfung schon. Liane Meermann-Hölscher erkrankte schwer und glaubte nicht an ein Überleben.

„Corona kriegt mich nicht“, sie dachte das wirklich, und vor der Impfung hatte sie Angst. Und so hat Corona sie doch gekriegt und sie Corona: Liane Meermann-Hölscher aus Bochum lag 31 Tage im St. Josef-Hospital, mehr als eine Woche auf der Intensivstation, „ich habe dem Tod ins Auge gesehen“. Am Montag aber war es endlich vorbei und der letzte Test negativ: Die 67-Jährige durfte nach Hause.

„Ich hab’s geschafft!“ Liane Meermann-Hölscher sagt das immer wieder, es ist ihre Begrüßung und ihr Abschiedsgruß. Wie zu sich selbst sagt sie es, als könnte sie es gar nicht glauben. Blass ist sie noch, sie hustet und die Beine wackeln, aber was ist das schon gegen das, was sie durchgemacht hat! „Es sah böse aus“, sagt sie leise. Sie weiß nicht mehr viel aus den vergangenen Wochen, aber das wird sie nie vergessen: die Nadeln, die sich anfühlten, „als gingen sie durch meine Knochen“, die Schläuche der Beatmungsmaske, die so schrecklich schmerzten in der Nase, die Atemnot. „Sie ziehen Luft, und es geht einfach nicht.“ Das Schlimmste aber war: „die panische Angst“.

Alles gepackt: 31 Tage lang war Liane Meermann-Hölscher isoliert, durfte auch ihre Familie nicht in die Arme schließen.
Alles gepackt: 31 Tage lang war Liane Meermann-Hölscher isoliert, durfte auch ihre Familie nicht in die Arme schließen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Morgens um fünf Uhr bekam Liane Meermann-Hölscher keine Luft mehr

Die Angst zu ersticken, die Angst vor dem Tod, die Angst, ihre Lieben „nie mehr wiederzusehen“. Liane Meermann-Hölscher konnte noch telefonieren, sie erinnert sich, was sie zu ihrem Mann sagte: „Ich glaube nicht, dass ich noch mal nach Hause komme.“ Sie hat sich verabschiedet, von ihm, von den beiden Kindern, der Enkelin. „Die Angst, nicht mehr da zu sein, ist ein seltsames Gefühl.“ Aber es schien unausweichlich: „Es war, als wäre der Lebenssaft einfach weg.“ Die 67-Jährige legt ihre Hand auf die Brust, hier war die Energie.

Die Energie schwand ganz plötzlich Anfang Oktober, Meermann-Hölscher wurde schlapp und müde, hatte Schweißausbrüche. Morgens um fünf weckte sie ihren Mann. „Ich kriege keine Luft mehr, ich will ins Krankenhaus.“ Soll sie gesagt haben, sie selbst weiß das nicht mehr. Laufen und stehen konnte sie kaum noch, und nicht einmal da hat sie geschaltet. Corona war für sie „ein Fremdwort“. „Das betrifft mich nicht.“ – „Ich bleibe verschont.“ – „Das kriegen nur andere.“ So hat sie gedacht, und sie kannte nicht einmal solche „anderen“. Dumm sei sie gewesen, sagt sie heute. „Wenn ich gewusst hätte...“ Sie ahnt ja auch bis heute nicht, wo sie sich angesteckt haben könnte.

Die Kinder ermahnten ihre Mutter, sich impfen zu lassen

Umarmung zum Abschied: Liane Meermann-Hölscher bedankt sich bei Pfleger Achim.
Umarmung zum Abschied: Liane Meermann-Hölscher bedankt sich bei Pfleger Achim. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Sie sei vorsichtig gewesen, nicht viel rausgegangen. Und vor der Impfung hatte Liane Meermann-Hölscher schlicht Angst. Sie hatte eine Hirnblutung vor mehr als 20 Jahren, und nun hörte sie von Hirnvenenthrombosen. Sie hatte seltsame Einblutungen an den Beinen nach einer Grippe-Impfung, noch immer weiß sie nicht, ob es einen Zusammenhang gab. „Ich bin kein Impfgegner“, das muss sie betonen, aber machen ließ sie es eben auch nicht, obwohl die Kinder mahnten. Und jetzt: „Hätte ich es mal gemacht.“

Denn plötzlich war Fakt, was sie vorher für Fake gehalten hatte, die Patientin sagt das selbst so. Und viele sagen genau das immer noch. Als eine Fernsehkamera kürzlich in ihr Isolationszimmer schwenkte und sie ein bisschen warb für die Spritze, da kriegte sie hinterher fast 3000 wütende Kommentare. Sie sei keine echte Kranke, schrieben die Leute, „wie viel Gage hast du dafür gekriegt“? „Siehste“, sagte Liane Meermann-Hölscher zu sich selbst, „da haste genau so gedacht.“

Ehemann der Corona-Patientin: „Schätzelein, kämpf! Ich brauche dich!“

Vorher. Bevor die Schläuche in ihrer Nase steckten, bevor die Ärzte der Universitätsklinik ihr starke Medikamente gaben und der Intensivpfleger sich zu ihr beugte: „Mädchen, du musst kämpfen!“ Auch ihr Mann flehte das ins Telefon: „Schätzelein, kämpf! Ich brauche dich.“ Der frisch Genesenen treten die Tränen in die Augen, sie haben so viel geweint in diesen Wochen. Am meisten weinte sie, als sie verlegt wurde auf die „normale“ Infektionsstation. „Wir freuen uns immer“, sagt deren Leiterin Dr. Renate Schlottmann, „wenn wir unsere Patienten ,zurückbekommen’.“

Oberärztin Dr. Renate Schlottmann leitet die Infektionsstation im St. Josef-Hospital.
Oberärztin Dr. Renate Schlottmann leitet die Infektionsstation im St. Josef-Hospital. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Diese Patientin habe „Glück gehabt“, sie selbst dankt Gott dafür. „Ich hab’s erlebt. Aber ich bin gesund, Gott sei Dank.“ Doch es bleiben Sorgen: die Lunge, die ohnehin schon an COPD leidet und deren Werte noch nicht wieder stimmen. Und der Mann, ebenfalls ungeimpft, mit dem sie ein Zimmer teilte. Sie dachte, er würde sterben, sie fragt jeden Tag nach ihm, es geht ihm immer noch nicht besser. „Das arbeitet in mir. Ich habe noch einmal eine Chance bekommen.“

Umarmungen nach Wochen der Einsamkeit

Das Leben nach Corona fängt am Montag damit an, dass Pfleger Achim die Tür nach draußen aufschließt. Vor diesem Fenster hat ihr Mann in dieser Woche gesessen auf einem Gartenstühlchen, da konnte sie ihn wenigstens sehen beim Telefonieren. Frische Luft, zum ersten Mal seit vier Wochen! Ein paar Schritte mehr als die zwischen Fenster und Tür. Und Menschen, echte Menschen! Eine Umarmung für Achim, ein Gruß an Schwester Esra, ein Winken aus dem Taxi: Zuhause wird es Bratkartoffeln mit Speck und Zwiebeln geben. „Ich freue mich so!“ Und vorher natürlich auf das Wiedersehen mit dem Ehemann. „Ich muss ihn erstmal feste drücken und liebhaben. Er hat mir so gefehlt.“

Die Freude ist unendlich bei Liane Meermann-Hölscher. „Ich bin so happy.“ Über die eigene Genesung, darüber, dass sie niemanden angesteckt hat. Aber doch hat sie noch ein Anliegen: Dass sich die Leute impfen lassen sollen. Dass sie nicht gucken auf die Inzidenzen, so wie sie selbst das getan hat, und glauben, dass sie schon nicht dazugehören werden. „So denken viele Menschen“, sagt Dr. Schlottmann. „Ja“, Liane Meermann-Hölscher weiß es jetzt besser, „leider.“

>>INFO: RISIKO FÜR UNGEIMPFTE

Im Bochumer St. Josef-Hospital liegen derzeit 14 Patienten mit Covid-19. Auf der Intensivstation, bestätigt Dr. Renate Schlottmann, Leiterin der Infektionsstation, sind weiterhin über 90 Prozent der Erkrankten mit schwerem Verlauf ungeimpft. Viele müssten wochenlang, manche monatelang beatmet werden, danach etwa das Laufen erst wieder lernen.