Essen. Ein kleiner Zauberlehrling mit runder Brille erobert das Kino: So war das, als Harry Potter 2001 in die Kinos kam.
London, Leicester Square am Abend des 4. November 2001. Er dürfte gar nicht hier sein, er ist ja gerade mal 12 Jahre alt. Und viel zu dünn angezogen für das kühle Wetter mit seinem dünnen dunklen Sakko und dem blauen Hemd darunter. Aber was soll er machen? Daniel heißt der Junge, aber die vielen Tausend Menschen, die zusammengekommen sind, sie rufen ihn Harry. Und das wird sich die nächsten Jahre nicht ändern. Denn Daniel, der mit Nachnamen Radcliffe heißt, spielt Harry Potter. Vor 20 Jahren feiert der erste Film mit ihm seine Weltpremiere in London.
Newcomer nennt ihn die Presse. Und so nennt sie auch Emma Watson und Rupert Grint. Die Figuren aber, die sie spielen im „Stein der Weisen“, den Harry, die Hermine und den Ron, sie sind längst Superstars. Nicht im Film, aber in den vier Büchern, die bis dahin erschienen sind. Kinderbücher, wie es anfangs scheint, von einer zuvor völlig unbekannten und mittellosen Frau namens Joan K. Rowling. Über einen Jungen namens Harry Potter mit magischen Kräften, der vom Waisenknaben zum Weltenretter wird – und ganz nebenbei dem Lesen eine neue Blütezeit beschert.
Auch interessant
Gedruckt wird der erste Band unter Zurückstellung schwerster Bedenken beim Verlag in einer Auflage von 500 Exemplaren im Jahr 1997. Knapp vier Jahre später – im Herbst 2000 – übernachten weltweit Fans in Buchhandlungen, um bloß ein Exemplar des vierten Bandes zu bekommen – von dem zum Start allein in Deutschland eine halbe Millionen Exemplare gedruckt wurden. Logisch, dass Hollywood anklopft.
Während sich die Liste der erwachsenen Schauspieler der Kinoumsetzung unter anderem mit Alan Rickman, Emma Thompson, Richard Harris oder Robbie Coltrane liest wie das „Who is Who“ der britischen Schauspielerriege, werden die Kinderrollen bewusst mit Jungen und Mädchen besetzt, die zuvor höchstens auf Schultheaterbühnen glänzen durften. Angeblich bewerben sich 40.000 Kinder allein um die Titelrolle.
Regisseur Chris Columbus aber hat bereits einen Namen im Kopf. Er hat Daniel Radcliffe in einem BBC-Fernsehfilm gesehen und hält ihn für die Idealbesetzung des kleinen Zauberlehrlings mit der Narbe auf der Stirn. Doch Daniels Eltern – selbst aus der Branche –- sind zurückhaltend, denn gedreht werden soll ursprünglich in Los Angeles. Zu weit weg, zu zeitaufwendig, finden sie und fürchten auch den „großen öffentlichen Druck“ auf die Titelfigur. Columbus schwenkt um, sagt dem Amerikaner Liam Aiken (später in „Lemony Snickett“ zu sehen) zu. Doch da meldet sich Rowling und erinnert an eine ihrer Vorgaben: „Nur britische Schauspieler.“ Die Dreharbeiten werden komplett nach England verlegt, Radcliffes Eltern stimmen zu, Daniel bekommt die Rolle. „Wir hätten keinen besseren finden können“, sagt Rowling.
Auch interessant
Da liegt sie richtig. Radcliffe wird für eine ganze Generation zu Harry Potter, die Filme – meist eng an der literarischen Vorlage – entwickeln sich zur Gelddruckmaschine. Geschenkt, dass der 12-Jährige die falsche Augenfarbe – blau statt grün – hat, weil er die Kontaktlinsen nicht verträgt und dass während der Dreharbeiten wegen seines plötzlich auftretenden Stimmbruchs nachsynchronisiert werden muss. Und auch, dass Hermine auf der Leinwand die Hasenzähne der Bücher fehlen, weil Emma Watson bei Probeaufnahmen mit den künstlichen Zähnen nicht zu verstehen war.
Volltrunken bei den Dreharbeiten
Mit aufwendigen Spezial-Effekten und fantastischen Drehorten gelingt es der Reihe, die Magie ins Kino zu transportieren – fliegende Besen, sprechende Hüte, Eulen als Nachrichtenboten, schwebende Treppen und skurrile Geister inklusive. Schon drei Tage nach der Premiere des ersten Teils beginnen die Dreharbeiten für den zweiten. Zehn Jahre und acht Teile lang geht es fast nonstop weiter. 7,7 Milliarden Dollar spielt die Reihe ein und macht sie nach den Avengers und Star Wars zur dritterfolgreichsten Saga der Kinogeschichte.
Für Radcliffe hat die Rolle seines Lebens Folgen. „Der Druck war immens hoch“, gesteht er später. „Das hat mich letztlich zum Alkoholiker gemacht.“ Mehrfach sei er bei den späteren Filmen volltrunken zu den Dreharbeiten erschienen. „Total weggeschossen. Zwei tote Augen – nichts dahinter.“ Die Zuschauer merken das nicht und als die letzte Klappe 2011 fällt, hat sich Radcliffe auch bald wieder gefangen.
Musical-Premiere mehrfach verschoben
Mit dem Satz „Alles war gut“, lässt Rowling damals die Reihe enden. Aber zur Freude der Fans stimmt das dann doch nicht. 2016 muss Harry wieder zum Zauberstab greifen. Nicht im Buch oder Film sondern auf der Bühne des Palace Theatre in London und ohne Daniel Radcliffe und die anderen Hauptdarsteller. Mit Musik aber kein Musical, sondern ein Theaterstück mit vielen Tricksereien aber ohne billige Tricks.
19 Jahre sind in „Harry Potter und das verwunschene Kind“ seit den Ereignissen der Filmreihe vergangen. Der Titelheld ist verheiratet und mehrfacher Vater, da muss er erneut die Welt retten. Durcheinander gebracht haben sie, so viel sei verraten, der eigene Sohn und der Nachwuchs von Erzfeind Malfoy. Ach ja, und ein Zeitumkehrer spielt auch eine Rolle. Fünf Stunden dauert die zweiteilige Show, die in England mittlerweile häufiger ausgezeichnet worden ist als jedes andere Theaterstück. Und die bis zu Beginn der Pandemie jeden Abend vor ausverkauftem Haus läuft.
Auch interessant
Eigentlich sollen im März 2020 auch in Hamburg Muggles, also der Zauberei Unkundige, wieder nach Hogwarts reisen. 42 Millionen Euro hat die Düsseldorfer Produktionsgesellschaft Mehr-BB-Entertainment dort in den Umbau des „Mehr! Theater am Großmarkt“ und die Produktion gesteckt. Die Einladungen sind schon verschickt, da muss wegen Corona der Start erst abgesagt und dann immer weiter verschoben werden. „Wie ein Knockout in der letzten Runde, in einem Kampf in dem man nach Punkten klar geführt hat“, beschreibt Produzent und BB Entertainment-Chef Maik Klokow (56) die damalige Absage.
Nun stehen er und seine Schauspieler wieder im Ring. Am 5. Dezember (Karten unter www.harry-potter-theater.de) soll es endlich losgehen. Seit gut vier Wochen wird erneut geprobt. „Wir müssen wieder fit werden, die vielen Illusionen auf der Bühne verlangen einen wahnsinnigen körperlichen Einsatz“, sagt Markus Schöttl, der in der Hansestadt den erwachsenen Harry spielt und trotz seiner österreichischen Herkunft akzentfrei „Expelliarmus“ sagen kann.
Der Vorverkauf läuft gut. Rund 350.000 Karten sind bisher verkauft. Man sei sehr zuversichtlich, dass man dieses Mal tatsächlich zur Premiere bitten könne, heißt es auf Anfrage im Mehr!-Theater. Und bevor Sie jetzt fragen, Schutzzauber wie „Expecto Patronum“ sollen nicht eingesetzt werden, um Covid zu vertreiben. Helfen ja – Sie wissen das bestimmt – auch eher gegen Totesser.
Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung – jetzt gratis und unverbindlich testlesen. Hier geht’s zum Angebot:GENAU MEIN SONNTAG