Ruhrgebiet. Neue Schlagzeilen über den „Fall Rudi Assauer“ verunsichern von Demenzerkrankung Betroffene. Vollmachten, so Juristen, bergen immer Risiken.
Arm wie eine Kirchenmaus, „mittellos“, soll Rudi Assauer gewesen sein, als er im Februar 2019 starb. Der Mann, der als Ex-Schalke-Manager doch noch wenige Jahre zuvor über ein Millionenvermögen verfügte, wie die „Zeit“ schreibt? Sie berichtete jüngst, Assauer sei „ausgeplündert“ worden; die Essener Staatsanwaltschaft ermittelt seit 2020 wegen Untreue-Verdachts; die Beschuldigten bestreiten, sprechen von „wilden Spekulationen“. Im Fokus der Vorwürfe stehen die drei Menschen, die Rudi Assauer bevollmächtigt hatte, für ihn zu entscheiden, sollte er selbst es nicht mehr können; denen er Zugriff auch auf seine Konten gewährte. Assauer litt an einer schweren Alzheimer-Erkrankung. Sein Fall verunsichert viele selbst von Demenz Betroffene. Juristen sagen: Vollmachten bergen immer das Risiko eines Missbrauchs. Eine rechtliche Betreuung (früher: Vormundschaft) ist aufwändiger. Dafür aber sicherer? Fragen und Antworten.
Wen betrifft es?
Immer mehr. In Deutschland leben derzeit rund 1,6 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Bis 2050 werde die Zahl der Betroffenen, so die Alzheimer Gesellschaft, auf 2,4 bis 2,8 Millionen steigen.
Wer dement ist, verliert indes nicht zwangsläufig sofort die Geschäftsfähigkeit; im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit ist das aber oft der Fall. Dann braucht der Betroffene einen „Stellvertreter“, der in seinem Sinne handelt, wenn es Wichtiges zu regeln gibt, einen Bevollmächtigten oder Betreuer.
Vorsorgevollmacht oder Betreuung?
„Wenn es eine Vertrauensperson gibt, rate ich unbedingt zur Vorsorgevollmacht“, sagt Katrin Steinberg, Leiterin der Betreuungsstelle des Gesundheitsamtes Essen. „Im Unterschied zur rechtlichen Betreuung kann ich so selbst entscheiden, wer im Falle des Falles für mich entscheiden soll.“ Die Vollmacht greife auch vorrangig und ermögliche schnelleres Handeln. Das Gerichtsverfahren käme zudem teurer.
Ergänzend könne man zur Vorsorgevollmacht eine Betreuungsverfügung anlegen, etwa für den Fall, dass der ursprünglich bevollmächtige Ehepartner selbst „nicht mehr kann“. „Da darf man konkret schreiben, ich möchte, dass es mein Sohn Fritz macht, oder aber auch: ganz bestimmt nicht mein Sohn Franz“, erläutert Felizitas Bellendorf von der Verbraucherzentrale NRW. Die Gerichte folgten in der Regel dem Wunsch. „Die sind ja froh, wenn sie wissen, dass es da eine Vertrauensbasis gibt.“
Gibt es für eine Vorsorgevollmacht aber keine wirkliche Vertrauensperson, sollte man die „Finger weglassen“, empfiehlt Steinberg.
Wer kann rechtlicher Betreuer sein?
„Es sind nicht automatisch Ehegatten oder Kinder der Betroffenen“, erklärt Bellendorf. Liegt keine Vorsorgevollmacht vor, bestimmt ein Gericht den Betreuer. Meist seien das Angehörige oder Ehrenamtliche, „die pensionierte Lehrerin etwa, die der alten Dame aus der Nachbarschaftschaft helfen will“, weiß Petra Fuhrmann vom Betreuungsverein des Diakoniewerks Essen; hauptamtliche „Berufsbetreuer“ übernähmen bei Alleinstehenden oder wenn Angehörigen nicht können bzw. wollen.
Wer veranlasst rechtliche Betreuung?
Das Betreuungsgericht, in der Regel: das Amtsgericht am Wohnort des Erkrankten, auf Antrag. Einen solchen Antrag kann grundsätzlich jeder stellen, aber nur, so die Alzheimer-Gesellschaft NRW, wenn die „Betreuungsbedürftigkeit“ bereits eingetreten sei, nicht „vorausschauend“. Ein fachärztliches Gutachten muss bescheinigen, dass der Demenzkranke seine eigenen Angelegenheiten nicht mehr allein regeln kann; für den ersten Antrag reicht ein entsprechendes Attest des behandelnden Arztes.
Das Gericht überprüft vor der Bestellung eines Betreuers auch dessen persönliche Eignung (und später seine Entscheidungen). Wer etwa schon straffällig geworden oder Analphabet sei, könne nie gesetzlicher Betreuer werden, erläutert Petra Fuhrmann.
Was regelt die rechtliche Betreuung?
Nur das, was der Erkrankte nicht mehr selber kann. Es gibt verschiedene mögliche „Aufgabenkreise“: von der „Vermögenssorge“ über „Wohnungsangelegenheiten“ bis hin zur „Aufenthaltsbestimmung“. Besonders gravierende Entscheidungen (etwa: Umzug ins Pflegeheim, Anbringen von Bettgittern, risikoreiche Eingriffe) muss sich der Betreuer grundsätzlich vom Gericht „absegnen“ lassen; ein Testament darf er für den von ihm Betreuten niemals machen (oder widerrufen) – und über allem steht: Er muss im Sinne des Erkrankten und zu seinem Wohle handeln, ihn soweit wie möglich in die Entscheidungen mit einbeziehen.
Wer überprüft den Betreuer?
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Einmal im Jahr muss der Betreuer dem Gericht gegenüber schriftlich Rechenschaft ablegen. Wie oft er den Kranken besucht hat und was er für ihn (z.B. auch für Geschenke an Enkel) ausgegeben hat, muss darin aufgelistet werden. Das schütze den Betreuten und sein Vermögen, sagt Petra Fuhrmann,. Aber auch den Betreuer – vor ungerechtfertigten Anschuldigungen.
Ärzte oder Angehörige können sich bei Gericht über die Arbeit des Betreuers beschweren, so die Verbraucherzentrale. Das müsse den Hinweisen dann nachgehen, gegebenenfalls einen neuen Betreuer bestellen.
Stirbt der Betreute, verlangt das Gesetz eine Art „Endabrechnung“. Mit dem Tod des Betreuten endet die eigentliche Betreuung, so Petra Fuhrmann; die Bestattung etwa dürfe der Betreuer nicht mehr regeln – „ein typischer Konfliktpunkt mit entfernten Angehörigen, die für die Kosten der städtischen Beisetzung aufkommen sollen“.
Kosten und Entschädigung?
Ehrenamtliche Betreuer erhalten, so die Alzheimer-Gesellschaft, eine pauschale Aufwandsentschädigung von 399 Euro im Jahr. Alternativ dürften sie ihre tatsächlichen Aufwendungen abrechnen. Die Vergütung von Berufsbetreuern regelt das Vergütungsgesetz VBVG. Die monatliche Fallpauschale schwankt zwischen 62 und 486 Euro und ist abhängig von der fachlichen Qualifikation des Betreuers , aber auch von Wohnort und Vermögen des Betreuten sowie von der Dauer der Betreuung. „Der Aufwand für die erstmalige Betreuung eines Menschen mit Demenz, der alleine zuhause lebt, wird höher bewertet als der für jemanden in einer stationären Einrichtung, den der Betreuer seit 25 Monaten kennt“, erläutert Petra Fuhrmann. „Viele Fälle benötigen aber mehr Zeit, als angesetzt wird“, sagt sie. „Das ist nicht immer auskömmlich“. „Ihre“ Berufsbetreuer erhalten als Angestellte des Diakoniewerks ein festes Gehalt, die Vergütungen fließen in die Kasse des Wohlfahrtsverbandes.
Vermögende mit Demenz (mehr als 25.000 Euro nach Abzug aller Verbindlichkeiten) kommen für das Gerichtsverfahren und die Kosten ihrer Betreuung selbst auf, bei Mittellosen springe die Staatskasse ein.
Wann gibt es Streit?
Kritisch seien interfamiliäre Streitigkeiten, „etwa wenn sich die drei Kinder untereinander nicht grün sind, aber alle die Betreuung wollen“, sagt Katrin Steinberg. „Wir versuchen dann, den Wunsch des Betroffenen herauszufinden und zu erfüllen“. Oft gäbe es „Uneinigkeiten“, wenn sich weit entfernt lebende Geschwister plötzlich in die Entscheidungen von Bruder oder Schwester „einmischten“, die bei der kranken Mutter lebten und als deren Betreuer eingesetzt seien, erzählt Anna Krüger, Mitarbeiterin der Alzheimer-Gesellschaft NRW. „Wir raten dann dazu, sich in Ruhe zusammen zu setzen, es vielleicht mit Mediation zu probieren.“
>>>Mehr Infos
Die Verbraucherzentrale NRW lädt regelmäßig zu kostenlosen Webinaren zum Thema ein. Die nächsten Online-Seminare finden am 4. November (zum Thema Vollsorgevollmacht) sowie am 18. November (Betreuung und Betreuungsverfügung) statt, jeweils 17 bis 18 Uhr.
Ratsuchende Angehörige oder Betroffene können sich auch an auch an den „Pflegewegweiser NRW“ wenden: Dessen gebührenfreie Hotline ist unter der Nummer 0800 4040044 montags, dienstags, mittwochs und freitags von 9 bis 12 Uhr sowie donnerstags von 14 bis 17 Uhr erreichbar. Die Mitarbeiter lotsen Anrufer und Anruferinnen zu geeigneten Ansprechpartnern und Beratungsangeboten vor Ort weiter.
Die Alzheimer-Gesellschaft NRW hat hilfreiche Infos zum Thema Betreuung von Menschen mit Demenzerkrankung zusammengestellt. https://alzheimer-nrw.de/