Dortmund. Dortmund gibt auf, so scheint es. Doch auch andere Städte kämpfen: Mit dem Quarantäne-Management an den Schulen in NRW ist niemand zufrieden.

Verunsicherte Eltern, frustrierte Lehrer, überforderte Gesundheitsämter, eine Ministerin, die die aktuelle Situation „unglücklich“ nennt. Und mitten drin: Schüler und Schülerinnen, die sich vor zehn Tagen tatsächlich darauf gefreut hatten, wieder in ihre Schule gehen zu dürfen; sich nun aber fragen, wie lange das wohl gut gehen wird. Das Quarantäne-Management des Landes an NRWs Schulen hat derzeit wenig Freunde.

„Eine Quarantäne wird grundsätzlich nur vom Gesundheitsamt angeordnet“, heißt es auf der „Stop-Corona“-Seite der Stadt Dortmund. Doch in einer Mail an mindestens eine Schule in der Stadt erklärte das Dortmunder Gesundheitsamt Ende vergangener Woche, „dass es derzeit nicht leistbar sei, alle Sitzpläne zu überprüfen, wenn eine Corona-Infizierung festgestellt wurde.“ Daher würden Schülerinnen und Schüler, die in der Nähe eines infizierten Klassenkameraden gesessen hätten, „momentan nicht mehr durch das Gesundheitsamt benachrichtigt bzw. unter Quarantäne gestellt. Diese Aufgabe müssen nun die Schulen selbst übernehmen.“ Für die Durchsicht der Sitzpläne im Falle einer Corona-Infektion in einer Klasse sowie für die Information der Betroffenen sollen künftig die Klassenlehrer bzw. im Kurssystem der Oberstufe die Beratungslehrerinnen verantwortlich sein.

Die Infektionszahlen bei den Jüngeren explodieren seit Ferienende

Ob diese Mail auch an andere Dortmunder Schulen ging, wie viele Kinder seit Schulbeginn bereits in Quarantäne geschickt wurden, wer fortan die Einhaltung der Quarantäne kontrollieren wird – die Stadt Dortmund antwortete auf eine entsprechende kurze Anfrage dieser Zeitung zwei Tage lang nicht. „Wir schaffen das derzeit nicht“, erklärte Pressesprecherin Anke Widow.

Tatsächlich explodieren seit Ferienende die Infektionszahlen bei den Jüngeren. Ende vergangener Woche waren 16.500 der bundesweit fast 50.000 positiv Getesteten jünger als 20 Jahre. 30.000 Kinder in NRW sind in Quarantäne. Experten wie der Essener Virologe Prof. Ulf Dittmer hatten das erwartet. Reisen und das Einschleppen des Virus spielten in jeder Pandemie eine Rolle, sagte Dittmer im WAZ-Interview vor zwei Wochen. „Das war im letzten Sommer so und wird auch in diesem so sein. Und es mag mit Delta sogar ein noch schwierigeres Problem werden." Denn Delta infiziere Kinder häufiger als andere Varianten des Virus.

30.000 Schüler sind in NRW in Quarantäne

Nie wieder Homeschooling: Eltern und Kindern litten sehr im vergangenen Jahr. Und nun droht Schülern erneut die Isolierung, wenn sie neben dem Falschen in der Klasse sitzen.
Nie wieder Homeschooling: Eltern und Kindern litten sehr im vergangenen Jahr. Und nun droht Schülern erneut die Isolierung, wenn sie neben dem Falschen in der Klasse sitzen. © dpa | Annette Riedl

Die aktuelle 7-Tage-Inzidenz in Dortmund (603.000 Einwohner) liegt nach Angaben des Landeszentrums für Gesundheit bei 157,4 – aber bei 367,1, betrachtet man allein die Altersgruppe der unter 20-Jährigen (Stand: 30. August.) . Konkret sind in den letzten sieben Tagen 66 Sars-CoV-2-positive Kinder unter vier Jahren, 120 infizierte Fünf- bis Neunjährige sowie 117 Betroffene zwischen elf und 14 und 97 zwischen 15 und 19 Jahren registriert worden.

Bundesweit wie regional sehen die Fallzahlen ähnlich aus: In Duisburg (502.000 Einwohner) etwa sind nach Angaben der Stadt derzeit 539 Kinder in Quarantäne. Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt in der Altersgruppe 0-19 bei 322. In Bochum (317.000 Einwohner, Inzidenz bei den bis 20-Jährigen: 224) müssen 511 Schülerinnen und Schülern von 76 der 80 Schulen in diesen Tagen den Unterricht daheim verfolgen. In Essen (591.000 Einwohner) liegt die Inzidenz nach den Zahlen des Landeszentrums in der „Top-Gruppe“ der Unter-20-Jährigen bei 306,9, über alle Altersgruppen hinweg beträgt sie 140,1. Ende vergangener Woche waren nach Auskunft von Stadtsprecherin Jasmin Trilling 567 Schülerinnen und Schüler in Quarantäne. Seit Schulbeginn gab es bei insgesamt 981 positiven Corona-Fällen 305 in der Altersgruppe zwischen sechs und 17.

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Lehrerverbände reagierten entsetzt auf Nachricht aus Dortmund

In allen drei Städten schickt aber nach wie vor das Gesundheitsamt Betroffene in Quarantäne, ermittelt zudem die zu isolierenden Kontaktpersonen. Das Amt sei, räumt Trilling ein, sei „sehr stark von der Aufgabe der Quarantäneanordnung belastet“, versuche daher „Prozesse zu optimieren“. „Konkretes ist allerdings noch nicht geplant, das Vorhaben bleibt wie bisher.“

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Lehrerinnen wie Sabine Mistler reagierten „mit Entsetzen“ auf die Nachricht aus Dortmund. „Ich bin schockiert“, erklärte die Vorsitzende des Philologenverbands Nordrhein-Westfalen. „Gerade Fragen der Quarantäne, aber auch die rund um Testung und Impfung, dürfen nicht in die Hände von Lehrern und Lehrerinnen gelegt werden. Das ist nicht unsere Aufgabe, das ist ganz klar Aufgabe des Gesundheitsamtes. Unser Schwerpunkt sind die pädagogische Arbeit und der Unterricht.“ Sie habe Verständnis, dass angesichts der enorm steigenden Infektionszahlen Gesundheitsämter an Belastungsgrenzen stießen. „Aber dann muss personell eben aufgestockt werden. Die Ämter sind hier in der Pflicht.“ Mistler fordert, dass sämtliche Quarantäne-Maßnahmen künftig „von oben definiert“ würden, vom Land. „Wir brauchen eine klare Linie und einheitliche Rahmenbedingungen“.

„Undurchsichtige Praxis“ sorgt für Unmut

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Über „die undurchsichtige Praxis der Anordnung von Quarantäne-Maßnahmen“ hatten sich in der vergangenen Woche auch die Eltern beklagt, Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) selbst nannte die „unterschiedliche Handhabe bei der Quarantänisierung (… )unglücklich“. Nach einem Erlass des NRW-Gesundheitsministeriums müssen die Schüler in 14-tägige Quarantäne, die rechts, links, vor und hinter dem infizierten Klassenkameraden sitzen, sowie Lehrkräfte mit engem Kontakt. Nur Geimpfte ohne Symptome sind davon befreit. Von den Gesundheitsämtern vor Ort wird die offizielle Regelung allerdings wohl gern „großzügiger“ ausgelegt. Dass zur Zeit die jeweils zuständigen Gesundheitsämter bei gleicher Situation unterschiedliche Entscheidungen träfen (manchmal an ein- und derselben Schule), sorgt laut Sabine Mistler, „für Unmut, Verwirrung, großen Druck – und ist systemisch nicht erklärbar“. Dabei, so Mistler, sei man nach den Ferien doch „trotz Sorgenfalten auf der Stirn mit großer Vorfreude“ wieder in den Präsenzunterricht gestartet...

Kritik an der neuen Quarantäne-Verordnung des Landes gab es schon, bevor die Schulen im Land den Präsenzunterricht nach den Sommerferien überhaupt wieder aufnahmen. Die NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Ayla Celik, erklärte am 16. August, es sei „realitätsfremd“, eine Quarantäne-Anordnung von der Sitzordnung abhängig zu machen, dafür seien Kinder viel zu agil. Eine These, die sich schnell bewahrheitet zu haben scheint. Nachzuvollziehen, wo sich wann welcher Schüler mit wem zusammen befunden haben, gleiche „kriminalistischer Feinarbeit“, klagte Andreas Bartsch vom NRW-Lehrerverband jetzt gegenüber der Rheinischen Post. Faktisch würden ab einem Inzidenzwert von 50 deshalb nur ganze Klassen in Quarantäne geschickt.

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„Mallorca-Urlauber dürfen sich ja auch frei testen“

Auch die Landeselternschaft der Gymnasien in NRW fürchtet „Distanzunterricht durch die Hintertür“, plädiert für „Quarantäne mit Augenmaß“, vor allem für „die reelle Möglichkeit, sich aus der Quarantäne nach einigen Tagen frei testen zu lassen“. Gleiches fordert Andreas Bartsch in der RP: „Es ist doch ein Widerspruch, wenn der Mallorca-Urlauber sich nach fünf Tagen frei testen lassen kann, die Schüler aber volle 14 Tage zu Hause sitzen.“

>>>> INFO: Modellversuch in Köln

Die Stadt Köln will in einem Modellversuch nur noch positiv auf Corona getestete Schüler und Schülerinnen in Quarantäne schicken. Direkte Sitznachbarn der Infizierten sollen stattdessen täglich getestet werden und nicht mehr mit in Quarantäne müssen.

Nach Angaben der Stadt sind aktuell 839 Schüler und Schülerinnen und 105 Kita-Kinder in Köln mit dem Coronavirus infiziert. Insgesamt sind demnach 2.320 Kontaktpersonen aus Schule und Kita in Quarantäne.

Die Sieben-Tage-Inzidenz in der Altersgruppe der Zehn- bis 19-Jährigen lag laut Landeszentrum Gesundheit NRW (LZG) in Köln am Montag bei 383.

>>> INFO: Ungeimpfte Lehrer

Ungeimpfte Erzieherinnen und Lehrer sind für Eltern derzeit ein weiterer „Aufreger“: Zwar gilt – unabhängig vom Impfstatus – nach § 2 der Coronabetreuungsverordnung für alle, die eine Schule (oder Kita) betreten, derzeit noch strikt die Maskenpflicht.

Beim gemeinsamen Mittagessen etwa in der Offenen Ganztagsbetreuung (OGS) wird die Maske aber abgesetzt. Dass Kinder, die ihre Suppe neben einer Betreuerin löffelten, die kurz darauf erkrankte, für 14 Tage in Quarantäne geschickt wurden, wurmt die betroffenen Eltern – selbst wenn die Pädagogin ihren Sohn oder ihre Tochter nicht mit dem Virus ansteckte und die Frau sich aus medizinischen Gründen womöglich gar nicht impfen lassen konnte. Denn 14 Tage Quarantäne bedeutet für Familien: zwei Wochen Angst vor einer Erkrankung, zwei Wochen ohne Kontakt zu Freunden und Verwandten – und zwei weitere Wochen Homeschooling und Betreuung daheim organisieren.

87,5 Prozent der Lehrkräfte sind mittlerweile wohl durchgeimpft, das ergab eine freiwillige, anonyme Abfrage. Die Rufe nach einer Impfpflicht für Pädagogen werden in diesem Zusammenhang dennoch immer lauter. Schließlich können sich die unter Zwölfjährigen nicht selbst vor einer Covid-19-Infektion schützen, für sie ist noch kein Impfstoff zugelassen. Eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen sei nach wie vor nicht vorgesehen, erklärte dazu Axel Birkenkämper, Sprecher des Landesgesundheitsministeriums (MAGS). „Die Landesregierung setzt auf ein breites Angebot an Impfungen. Die Umfragen zeigen, dass es nach wie vor eine hohe Bereitschaft gibt, sich impfen zu lassen. Dies gilt es in den nächsten Wochen weiter auszuschöpfen“.

Für Masern indes gibt es seit 2020 eine solche Impflicht – nicht nur für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, sondern auch für alle Erzieher, Lehrer und andere Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen tätig sind. Verstöße werden mit Bußgeldern bis zu 2.500 Euro geahndet. Eine Corona-Infektion, erklärt Birkenkämper, sei – anders als bei Masern – „im Kindesalter nicht mit den gleichen Risiken behaftet wie in den höheren Altersgruppen“.