Dortmund. Zehn Jahre ist es her, dass Dortmund den Phoenix-See flutete. Wo einst 20.000 Arbeiter Stahl kochten, ist jetzt schöner Wohnen und Flanieren.

Die spinnen, die Dortmunder! So ziemlich jeder hat das damals gedacht, was war das aber auch für eine Idee: Wenn der Stahl in der Stadt schon unterging, dann wenigstens in einem See. 20 Jahre ist es jetzt her, dass sie im Hörder Hüttenwerk die letzte Schmelze betrauerten. Und zehn, dass sie tatsächlich wieder feierten: die Eröffnung des Phoenix-Sees.

Eine ganze Generation schon, die das gar nicht mehr weiß: dass hier einst bis zu 20.000 Männer Stahl kochten, 150 Jahre lang, und das Feuer der „Hörder Fackel“ den Himmel über dem Emschertal rot färbte. Willi Garth weiß es noch, er war als Revisor bei Thyssenkrupp zum Schluss noch dabei. „Ruß, Dreck, Lärm, schwere Arbeit. Eine unwirkliche Welt war das.“ Und unwirklich ist auch immer noch, was daraus wurde: Für einen Film haben sie den Vorsitzenden des Hörder Heimatvereins in ein Tretboot gesetzt. „Jetzt fahre ich hier auf kristallklarem Wasser, unter mir sind Fische.“ Dass der See heißt, wie er heißt, geht auf einen früheren Namen der Hütte zurück, den der Volksmund erhielt. „Phoenix aus der Asche“, sagt Willi Garth, „das passt.“

Mittelalterliche Straße „Seekante“ brachte Stadtplaner auf die Idee

Nachher: Segelbötchen vor der Hörder Stiftskirche.
Nachher: Segelbötchen vor der Hörder Stiftskirche. © Frank Schultze  | Frank Schultze 

Dass das so kam, liegt an der Seekante. Den damaligen Stadtplaner Norbert Kelzenberg brachte der Straßenname ins Grübeln, da war das Ende des Stahlwerks schon gedacht, aber noch nicht ausgesprochen. Wenn doch hier schon mal ein See… Nun war „See“ ein großer Begriff: Es lagen Fischteiche des alten Grafen im Sumpfgebiet der Emscher, „der Feind“, erklärt Willi Garth, „kam nicht durch die Matsche“. Eine Seekante aber war des Grafen würdiger, zu ihr gesellten sich inzwischen Kaipromenade, Seeblick und Hörder Hafenstraße. Kelzenberg aber haben sie damals eine „Meise“ attestiert, und Dortmunds Altoberbürgermeister und damaliger Planungsdezernent Ullrich Sierau erinnert sich noch an die Frage der Fragen: „Sind die jetzt völlig durchgedreht im Rathaus?“

„Ein See größer noch als die Binnenalster in Hamburg“, diesen Plan holte Dortmund nach dem Aus für die Stahlarbeiter aus der Lade und trug ihn fortan wie ein Werbebanner vor sich her: Aufbruch zu neuen Ufern! Und fing tatsächlich an zu graben, nachdem China sich das Beste vom alten Stahlwerk aus dem Loch gepickt hatte. An die drei Millionen Kubikmeter Erde wurden bewegt, belasteter Boden und viel mehr Stahlbeton als erwartet: Fundamente von bald 1800 Gebäuden lagen in der braunen Brache. „Es war ein Risiko“, sagt Willi Garth.

Emscher fließt neben dem See nach Westen

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Der heute 83-Jährige war immer dabei, beim ersten Spatenstich, bei der „Rammung“ für den Hafen, am Tag, als „J.R.“ Larry Hagman auf einen symbolischen Knopf drückte. Wasser marsch! Garth hat später auch noch mal draufgedrückt und später von oben aus einem Riesenrad auf all das Neue geguckt. „Das war ein Moment! Ich hatte die Emscher nie frei fließend gesehen.“ Denn das tut sie immer noch, nördlich neben dem See entlang, die Planer wollten nicht Fließ- in Stehwasser laufen lassen. Allerdings ist das neulich doch passiert, da kam das Hochwasser, es flossen Emscher, See und Hörder Bach ineinander. Dabei hatten sie Willi Garth damals versprochen: „Diesen Ernstfall wirst du nie erleben!“

Der See hat tatsächlich Trinkwasser-Qualität, Armleuchteralgen aus Duisburg sorgen dafür, nach der Flutung legten die Kirchen hier einen Stein nieder: „Er führt mich zum frischen Wasser.“ Psalm 23. Schwimmen ist verboten. Segeln nicht: Den Yachtclub gab es hier schon, da war der See noch eine Idee. Garths Enkel hat kürzlich einen Titel als Jugendweltmeister errungen. Die Tretboote sehen aus wie VW Käfer, und überhaupt ist vieles sehr modern und manches ziemlich protzig geworden am Ufer. Was nach der Flutung nach blühender Landschaft aussah, ist inzwischen dicht besiedelt, Villen, Penthouses, und noch immer geht es nicht ohne Kräne: Gerade entsteht an der Hafenausfahrt, oder „am See-Eingang“, wie Willi Garth sagt, eine zwölfstöckige Seniorenresidenz.

Ziemlich zugebaut: Am Hafen in Hörde stehen noch Kräne, am Nordufer stehen die Villen dicht an dicht.
Ziemlich zugebaut: Am Hafen in Hörde stehen noch Kräne, am Nordufer stehen die Villen dicht an dicht. © FUNKE Foto Services | Jakob Studnar

2050 neue Wohnungen, 200 neue Firmen, über 2000 neue Arbeitsplätze

„Dass sie meine Burg so zugebaut haben!“, klagt Garth, in der historischen „Hörder Burg“ hat der Heimatverein sein Museum. Aber er hatte es ja geahnt, bei den ersten Plänen schon: Die rosa Kästchen auf den Zeichnungen waren Häuser. „Wieso macht man das denn nicht ein bisschen schön?“ Weil sich die Sache refinanzieren muss. 15 Millionen Euro haben die Dortmunder Stadtwerke für die 98 Hektar an Thyssenkrupp bezahlt, der Preis für den Umbau stieg von 189 auf 230 Millionen. Finanziert aus Fördermitteln, zur Hälfte aber aus den Grundstückserlösen. Die Nachfrage war riesig, die Plätze in der ersten Reihe wurden verlost. In zehn Jahren sind am See 2050 Wohnungen entstanden, haben sich über 200 Firmen angesiedelt, wurden über 2000 Arbeitsplätze geschaffen. Der neue Oberbürgermeister Thomas Westphal nennt das Areal auch „Dortmunds schönstes Gewerbegebiet“.

Willi Garth ist heute nicht mehr oft am See, er bleibt lieber in „seiner“ Burg. Er mag die „Menschenmengen“ nicht, die sich gerade am Wochenende hier „umwälzen“. Man kommt her zum Skaten, Joggen, Flanieren, Radeln, sich selbst Vorzeigen. Die Gastromeile ist wie Kirmes, Garth vermisst den Blick in die Weite. Ruhe sucht er manchmal im Weinberg, der Wein „Neues Emschertal“ wiederum war seine Idee. Zwei Bänke gibt es dort, „da kann ich mich wohlfühlen“, aber auch die sind meistens besetzt. Wenn nicht, dann sitzt er dort, mit Blick auf den Kaiserberg am „Oststrand“ im Abendlicht. „Da meinste, du wärst in Italien.“