Dortmund.

Diese Woche wird offiziell der Hahn aufgedreht, dabei läuft der Phoenix-See schon langsam voll. Noch nicht genug, um vom Steg aus den großen Zeh zu kühlen, genug aber für eine Ahnung: Hier bricht eine Stadt auf zu neuen Ufern.

Es gibt längst „Pizza am See“, „Döner am See“, den „Spielsalon am See“ und ganz oben am Hang den Italiener „Al Lago“. Und jetzt, endlich, auch den See. 50 000, vielleicht 50 MillionenLiter Wasser sind in den vergangenen Wochen in das Loch geflossen, das Dortmunds letztes Stahlwerk hinterlassen hat. Noch nicht genug, um vom Steg aus den großen Zeh zu kühlen, genug aber für eine Ahnung: Hier bricht eine Stadt auf zu neuen Ufern.

Hörde lag länger auf dem Trockenen

Der Phoenix-See steigt – zu behaupten, aus der Asche der Dortmunder Industriegeschichte, wäre kleingeredet. Denn da war viel mehr am Grunde des Herzens von Hörde, dieses Stahl-Stadtteils, der auch in seinen besseren Zeiten keine bessere Gegend war. Drei Jahre länger als geplant lag diese auf dem Trockenen, weil sie im Boden immer mehr Beton und Stahl fanden, die Fundamente von bald 1800 Gebäuden und Löcher, die einst der Bergbau hinterließ. Nachts, erzählt man sich, krochen die Kupferdiebe durch den Untergrund.

„Da lagen nur Erdhaufen“, klagte Heinz Hueppe noch über den Jahresbeginn 2009, als er als neuer Chef der Phoenix-See-Entwicklungsgesellschaft, einer hunderprozentigen Tochter der Stadtwerke DSW 21, nach Dortmund kam. Und das war ja schon viel, weil wenig: Drei Millionen Kubikmeter Erde hatten sie zuvor schon ausgehoben, über die Millionen, die das alles mitsamt der Zeitverzögerung mehr kostet, reden sie in Dortmund nicht gern. 186 Millionen Euro waren ursprünglich veranschlagt, die Schlussrechnung wird erst aufgemacht, wenn das letzte Haus am See bezogen ist.

Über hundert Grundstücke sind bereits verkauft, Südhang am Nordufer, ihre Adressen werden Seehöhe heißen, Seehang und Seeblick, es gibt auch einen hübschen Aussichtspunkt namens „Bellevue“. Dabei gab es hier unten lange nicht viel Schönes zu sehen. Phoenix-Ost war Stahlwerk, waren rauchende Schlote, war die „Hörder Fackel“, die jahrzehntelang den Himmel über der Stadt in Rot tauchte und die Fassaden der Arbeiterhäuser in Schwarz. 2001 machte die Hütte endgültig dicht, hinterließ unvoll­endete Hoesch-Biographien und nach der Verschiffung des Werks nach China ein großes graues Nichts.

„Jetzt kommt die Kür“

Allerdings auch Platz für Fantasien. Spinnereien, haben viele gesagt und sagen es noch, aber nun ist es wahr geworden: Dortmund hat das Areal gekauft und baut sich einen See von 1230 Metern Länge, 310 Metern Breite und drei Metern Tiefe, der größer ist als die Hamburger Binnenalster. Der Spazierwege an seinen Ufern hat und Radwege, Spielplätze und Liegewiesen, Regattabahnen in seiner Mitte und schon seit Jahren einen Yachtclub. Der inzwischen schon einen Hafen hat, mehrere Inseln, Armleuchteralgen aus Duisburg auf dem Grund und ein „Vogelmanagement“, dem Gänse und Möwen allerdings zuvorgekommen sind. Im Frühling pflanzen sie ihnen das erste Schilf, für die Menschen wurden eben die Ampelanlagen ausgeschrieben.

„Jetzt kommt die Kür“, sagt Heinz Hueppe dazu, er steht vor den gewaltigen Plänen und markiert mit dem Finger die Grundstücke für Leben und Arbeit: „Das ist weg und das ist weg und das. . .“ Dafür kann man den See schon sehen, dessen Wasser seinen Ufern immer näher rückt; im nächsten September soll er mit 600 Millionen Litern Nass gefüllt sein, so viel wie der Inhalt von fünf Millionen Badewannen. Und immer noch hat er dann neben Grundwasser, Regenwasser und Trinkwasser Platz für Hochwasser: Der Phoenix-See wird Überlauf für die Emscher, die sie an dieser Stelle aus den Tiefen unterirdischer Rohre wieder an die frische Luft geholt haben.

Hunderte halten täglich zum Foto-Stopp

Von „Acapulco in Dortmund-Hörde“ träumte Oberbürgermeister Ullrich Sierau, als er noch Planungsdezernent war, aber so weit wird es nicht kommen: Der Teich kriegt Trinkwasser-Qualität und soll sie auch behalten, Schwimmen verboten! Die Bürger wollen trotzdem diesen Super-See: Zu Tausenden stapften sie zuletzt über die Baustelle, Hunderte halten täglich am Aussichtspunkt zum Fotostopp. Alte Hörder können es nicht glauben, junge planen ihre Freizeit am Wasser. „Ein künstliches Naturwunder“ lobt der Pfarrer der örtlichen Luther-Gemeinde; die Grundschule gab sich unlängst den Beinamen „am See“.

Heimatforscher wissen: Zu Füßen der alten Hörder Burg gab es schon im Mittelalter große Teiche, und ein Sumpfgebiet, wo um 1840 die Hermannshütte entstand. 170 Jahre später versinkt liegt die Gemarkung Hörde, Flur fünf, bald wieder im Wasser.