Essen. Es dauert zehn Jahre, die Corona-Schulden zurückzuzahlen, sagen Wirt Bickelbacher und Hotelier Herbst im Podcast. Öffnung muss sich rechnen.

Es war Anfang Oktober, als wir Christian Bickelbacher in seinem Bochumer Café Tucholsky trafen. Der Gastronom weigerte sich, schwarz zu sehen, sagte: „Ich bin keiner, der jammert, sondern überlege jeden Tag neu, was wir machen können.“ Also besorgte er Luftreinigungsfilter für drinnen, beheizbare Trennwände für draußen, investierte „fünfstellig“ in jedes seiner sieben Restaurants, Cafés und Sportbars in Bochum, Oberhausen und Bielefeld. Drei Wochen später kam mit dem November der zweite Lockdown, der noch immer andauert. „Nun, da wir seit einem halben Jahr geschlossen sind, ist der Optimismus etwas verflogen“, sagt Bickelbacher jetzt in unserem Podcast „Die Wirtschaftsreporter“.

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Außer-Haus-Verkauf rechnet sich nicht

Es werde „von Tag zu Tag schwieriger, sich selbst und die Mitarbeiter zu motivieren“, sagt Bickelbacher, der auch Sprecher der Gastronomen im Bochumer Bermudadreieck ist. „Wir haben 150 von 350 Mitarbeitern verloren und fragen uns: Wer soll denn bedienen, wenn wir wieder öffnen dürfen?“ Viele hätten sich klugerweise Nebenjobs gesucht und neue Kontakte geknüpft. Er mache nun auch Außer-Haus-Verkauf, obwohl sich das kaum rechne, „damit unsere Mitarbeiter einen Grund haben wieder aufzustehen und ihren Job ausüben zu können. Ich schaue in strahlende Gesichter, wenn die Leute zur Arbeit kommen dürfen.“

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Die Gastronomie ist mit die am stärksten von der Pandemie betroffene Branche. Ihr Verband Dehoga fordert für den Neustart eine unmittelbare Öffnung von Gastronomie und Hotellerie für Getestete, Genesene und Geimpfte sowie weitere finanzielle Entschädigungen. Haakon Herbst, neuer Präsident des Dehoga Nordrhein, der auch für den Landesverband spricht, sagte in unserem Podcast: „Unser Überleben hängt an politischen Entscheidungen. Wenn es gut läuft, könnten 70 Prozent der Betriebe durchkommen.“

„Wir haben die Gattung Überlebenskünstler“

Jede andere Branche, meint er, wäre längst am Boden. „Wir haben eine Branche mit der Gattung Überlebenskünstler, wir können uns wie ein Chamäleon immer wieder verändern. Deswegen: Wenn die Überbrückungshilfe verlängert wird und es ein Restart-Paket gibt, sage ich: Wir können das schaffen, wenn die Hilfen kommen. Aber es kann auch ganz anders ausgehen.“ Konkret hat der Dehoga unter anderem eine Verlängerung der Überbrückungshilfen und ein Restart-Paket. Dazu gehören Entschädigungen für entgangene Umsätze, solange Betriebe noch ganz oder teilweise geschlossen bleiben müssen.

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Herbst selbst ist Hotelier, betreibt die Kette „Friends“, die 2019 auch auf der Zeche Zollverein in Essen ein Haus eröffnet hat. Auch sein Unternehmen trifft die Pandemie mit voller Wucht. „Wir haben zwei Betriebe komplett geschlossen und einen im Notbetrieb, was sich nicht wirklich rechnet, sondern eher den Mitarbeitern geschuldet ist. Und in einem Hotel bewirtschaften wir ein paar Stammgäste – wirtschaftlich gesehen ist das alles sehr unerfreulich“, sagt Herbst.

„Brauchen zehn Jahre, um die Kredite zurückzuzahlen“

Er geht offener als andere mit Zahlen um, hat auf Facebook gepostet, wie tief er mit KfW-Kredit und Pachtschulden in der Kreide steht wegen Corona. Inzwischen seien um die 1,7 Millionen Euro aufgelaufen. Oder anders ausgedrückt: „Wir haben den Verdienst von zehn Jahren verloren und werden weitere zehn Jahre brauchen, um die Kredite zurückzuzahlen.“ Den gleichen Zeitraum nennt auch Bickelbacher. Herbst hofft deshalb, dass es „bei den staatlichen KfW-Krediten noch eine Korrektur gibt, dass man die nicht komplett zurückzahlen muss und schon gar nicht zu den Zinsen“.

Die Hoteliers und Ehepaar Irene Bakker und Haakon Herbst vor der Eröffnung ihres Friends-Hotels auf der Essener zeche Zollverein.
Die Hoteliers und Ehepaar Irene Bakker und Haakon Herbst vor der Eröffnung ihres Friends-Hotels auf der Essener zeche Zollverein. © FUNKE Foto Services | Julia Tillmann

Der Hotelier Herbst sieht sich gezwungen zu überdenken, wohin die Reise geht: „Wir müssen überlegen, ob wir künftig noch Geschäftsreisende und Messegäste haben. Oder ob wir uns auf Tourismus konzentrieren, wo wir bisher gar nicht zuhause sind.“ Denn das Messegeschäft und die Geschäftsreisen würden wohl nie mehr das Niveau von vor der Pandemie erreichen. Wenn er nicht an langfristige Pachtverträge gebunden wäre, würde er deshalb sein Hotel in Köln „sofort aufgeben“, weil es sehr von den Messen und Großveranstaltungen lebe.

Hotels könnten zu Wohnungen umgebaut werden

Der Dehoga-Funktionär und Unternehmer rechnet damit, dass viele Hotels verschwinden werden, hat aber auch konstruktive Ideen für eine Umwidmung: „Viele kleine private Hotels in den Großstädten könnten gut zu Wohnraum umgenutzt werden, der ja dringend benötigt wird. Ich habe einem Vermieter selbst angeboten, das zu prüfen“, sagt Haakon Herbst.

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Dass Corona vieles dauerhaft verändern wird, glaubt auch der Bochumer Gastronom Bickelbacher. Aber zunächst erwartet er auf der Partymeile Bermudadreieck einen Ansturm, wenn im Sommer alle wieder öffnen dürfen. „Die jungen Leute gieren danach rauszugehen, ähnlich wie in England, wo jetzt zu wenig Bier da ist.“ Umso wichtiger werde es dann sein, dass die Gäste sich dann an die Regeln halten.

Die partyhungrigste Altersgruppe wird als letzte geimpft

Allerdings erwartet er den Neustart trotzdem mit Sorge: „Auch eine teilgeimpfte Gesellschaft wird nicht dafür sorgen, dass wir genug Gäste haben“, glaubt Bickelbacher. Und die junge Altersgruppe, die im Bermudadreieck besonders präsent sei, werde als letztes geimpft. Deshalb werde er sich gut überlegen, wann er welchen Laden aufsperrt. Auch wenn er dürfe, werde er nicht öffnen, wenn das noch unrentabel wäre.

Die gesamte Branche hofft aber nicht nur auf eine möglichst schnelle Impfung der Bevölkerung, sondern auch auf den Bundestagswahlkampf. „Ich habe nie einen solchen Willen erlebt, mit uns zu sprechen“, verrät Dehoga-Präsident Herbst. Und verspricht: „Wir werden hart mit allen Parteien diskutieren. Unsere Branche könnte das Zünglein an der Waage sein.“