Wuppertal. Die Professorin Heather Kaths soll für die Städte in NRW allgemein gültige Kriterien für Radwege entwickeln. Das Problem: das Rätsel Radfahrer.

Sagen wir es mal mit einem schiefen Bild: Das Fahrrad ist Heather Kaths nicht in die Wiege gelegt worden. In ihrer recht weitläufigen Heimat Kanada ist es ein eher seltenes Freizeitgefährt; im Studium des Bauingenieurwesens mit dem Schwerpunkt Verkehr in Calgary ging es vor allem um Autobahnen und Beton sowie Beton und Autobahnen; und als sie dann in Stuttgart weiter studierte, reagierte sie auf die erste freundliche Frage, mal Fahrrad mitzufahren, eher irritiert: „Äh . . . Nein?!“ Heute lacht Professorin Dr.-Ing. Heather Kaths darüber. Sie lacht gerne.

Denn was sie in Stuttgart gesehen hat und später in München, wie man das Fahrrad im Alltag nutzt, das gefiel ihr. „Ich dachte, das ist die Zukunft.“ Und nun tritt die 35-Jährige im Sommer die erste Fahrradprofessur in Nordrhein-Westfalen an, in Wuppertal. Ausgerechnet!

Radwegenetz: „Baue es, und sie werden kommen“

Heather Kaths vor einem Gebäude der Universität Wuppertal. 
Heather Kaths vor einem Gebäude der Universität Wuppertal.  © Friederike von Heyden

Die Fahrradforscherin in der Stadt, in der es angeblich nur rauf und runter geht, gefühlt natürlich immer nur rauf. Kaths findet an dieser Stelle den liebenswürdigen Vergleich mit dem ebenso hügeligen San Francisco. Aber vielleicht ist es ja auch genau die richtige Herausforderung. Kaths soll dort „Planungswerkzeuge für den Radverkehr der Zukunft“ entwickeln, die in bergigen Städten ebenso funktionieren wie in Kleinstädten oder, sagen wir, alten Industriestädten.

Konkret: Wie baue ich ein Radwegenetz mit welcher Infrastruktur, damit die Leute umsteigen? Denn kommen werden sie dann, sagt die Professorin und zitiert eine Infrastruktur-Weisheit aus den USA: „Build it and they will use it“ – „Baue es, und sie werden kommen.“ Dazu muss nur ein Rätsel gelöst werden: der Radfahrer, das unbekannte Wesen.

Welchen Einfluss hat das Wetter, die Jahreszeit, das Tageslicht?

„Um die richtigen Antworten zu geben, müssen Sie das Verhalten des Radfahrers erforschen“, sagt Heather Kaths. Angesetzt hat sie dazu schon mit ihrer Doktorarbeit in München, wo Kameras für sie aufzeichneten, wie sich Radfahrer und Radfahrerinnen an Ampelkreuzungen verhielten: „Sie fahren gerne bei Rot. 20 Prozent in den Videos. Das sind vor allem die Rechtsabbieger.“

Ansonsten sei ihr Verhalten schlecht vorauszusagen. Nicht, weil sie so anarchisch wären, sondern weil sie mehr Möglichkeiten haben als Autofahrer. „Manche fahren vorsichtig, andere rasen, in Fahrtrichtung oder dagegen.“ Für grundlegende Forschung hofft Kaths bald zurückgreifen zu können auf die Daten von bisher 150 Radverkehr-Zählstellen in NRW: Welchen Einfluss hat das Wetter, die Jahreszeit, das Tageslicht?

Sie will Fahrräder unter die Leute bringen, um die Bewegungen zu verfolgen

Einer dieser Zählpunkte steht beispielsweise auf dem entstehenden Radschnellweg 1 durch das Ruhrgebiet in der Nähe von Mülheim-Hauptbahnhof. Das Konzept, eigene Trassen für überregionalen Radverkehr zu bauen, sei „vernünftig, aber wichtig sind gute Anschlüsse an das lokale Netz, das einen ans Ziel führt“.

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„Wir werden beobachten, beobachten, beobachten“, sagt Heather Kaths. So schwebt ihr vor, möglichst viele Fahrräder unter die Leute zu bringen, die die Beschleunigung messen können und mit einer Kamera ausgestattet sind: „Dann sehen wir, wie sie sich durch den Stadtverkehr bewegen.“

Verkehrsministerium hat in Deutschland sieben Rad-Professuren eingerichtet

Sie unterscheidet einerseits die Netzplanung: Wo kann ich Radwege bauen, damit es für die Leute möglichst bequem und sicher ist? Wo brauche ich Abstellplätze und Servicestationen, etwa um die Reifen aufzupumpen? Und „die mikroskopische Sicht: Wie breit soll der Weg werden? Auf einer Straßenseite oder auf beiden?“ Inzwischen gebe es für den Aufbau eines vernünftigen Netzes mehr Geld und mehr politischen Willen: „Ich weiß, dass viele das kritisch sehen, aber es wird Schritt für Schritt besser.“

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Auch deshalb: Sie wird weitere Fachleute heranziehen, buchstäblich, einen Studiengang „Radverkehrsingenieurwesen“ aufbauen. Im Zuge des Plans der Bundesregierung, Deutschland bis zum Jahr 2030 ein flächendeckendes Radwegenetz zu bauen, hat das Bundes-Verkehrsministerium auch sieben solcher Rad-Professuren in Deutschland eingerichtet.

Im Moment sucht Familie Kaths noch eine Wohnung in Wuppertal. Und nach dem Umzug denkt sie an eine ausgedehnte Radtour durch das Bergische Land. Frau Kaths, Sie trauen sich was. Sie lacht.