Ruhrgebiet. Die Diplom-Ingenieurin Nina Hangebruch hat in ihrer Doktorarbeit erforscht, was aus 220 aufgegebenen Warenhäusern wurde. Das Ergebnis überrascht.
Noch ist die Zukunft verhangen, aber das ist sie ja eigentlich immer. Hinter Bauzäunen und Sichtblenden verbirgt sich das riesige Gebäude, das Karstadt in Recklinghausen hinterließ. Bohrgeräusche dringen aus dem Innern, und aus einem herabfahrenden Lastenaufzug an der Außenseite wirft ein Arbeiter Verschalungen in einen Bauschutt-Container. Samstag ist hier Arbeitstag. Es muss schnell gehen.
Um die Jahreswende 21/22 soll das Gebäude neu genutzt werden. Betreutes Wohnen, Kita, Gastronomie, ein Lebensmitteldiscounter - ansonsten kein Handel. Das ist die Zukunft, meint Nina Hangebruch. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Technischen Universität Dortmund hat sich in ihrer Dissertation mit dem Schicksal von 220 aufgegebenen Warenhaus-Standorten zwischen 1994 und 2019 in Deutschland befasst.
„Der Anteil der Handelsflächen wird kontinuierlich kleiner“
„Der Anteil der Handelsflächen wird kontinuierlich kleiner“, hat sie beobachtet: „Handelsunternehmen brauchen nicht mehr so viel Fläche.“ Das muss aber für die Zukunft solcher Klötze nicht Stillstand im Leerstand bedeuten.
Im Gegenteil: Entgegen dem allgemeinen Eindruck ist „für 95 Prozent der 220 aufgegebenen Warenhäuser eine neue Nutzung gefunden. Davon 70 Prozent im alten Gebäude, 30 Prozent wurden abgebrochen, die Grundstücke dann meist neu bebaut.“ Brache und ewiger Leerstand sind also die seltene Ausnahme. „Das Gebäude zu erhalten, hat auch ökologische Vorteile. Ein Abriss ist extrem ressourcenschädlich“, sagt Hangebruch. Und ihre Nutzung ist vielfältigst.
In Neuss ist ein Theater eingezogen, in Chemnitz sind es zwei Museen
In Neuss fand die Diplom-Ingenieurin Hangebruch ein Theater im früheren Warenhaus, in Plauen das Landratsamt, in zwei Chemnitzer Häusern Museen, VHS und Stadtbibliothek. Wichtig sei eine Mischnutzung, um nicht von einem Betreiber allein abhängig zu sein. Und: Die Städte sollten Funktionen in die Gebäude bringen, die Publikum anziehen. „Das ist wichtig als Frequenzbringer für die umliegenden Betriebe.“
Und so nennt sie etwa das Lindenkarree in Gelsenkirchen-Buer „eines meiner Lieblingsbeispiele“. Läden im Erdgeschoss, darüber Stadtbücherei, VHS, Fitnessstudio, Pflegeheim. Das frühere Warenhaus ist auch das einzige der 220, das durch die gemeinschaftliche Initiative und die Investition mehrerer Bürger umgewidmet wurde. Sie handelten aus Sorge um Buer und haben alles richtig gemacht: Und dass neben dem Lindenkarree ein Denkmal das „bürgerschafliche Engagement“ Bueraner Bürger ganz allgemein würdigt, ist reiner Zufall. Passt aber sehr gut.
20 Prozent der Häuser brauchen mehr als zehn Jahre bis zur neuen Nutzung
In vielen Fällen seien solche Wiederbelebungen „eine sehr lange Durststrecke“, sagt Hangebruch. 60 Prozent der Häuser hätten bis zu fünf Jahre dafür gebraucht, 22 Prozent bis zu zehn Jahre - und 18 Prozent noch länger. Das dauert: einen Investor zu finden, den Eigentümer zu wechseln; aber auch der umfassende Umbau braucht Zeit.
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Das frühere Hertie in Herne heißt ja heute nicht „Neue Höfe Herne“, weil es so gut klingt, sondern weil im inneren Bereich zwei neue Lichthöfe geschaffen werden mussten, um in so einem tiefen Bau wie einem Kaufhaus überhaupt wieder etwas Sinnvolles ansiedeln zu können.
In Lünen wurde ein Warenhaus zum Wohnhaus
Wegen der Krise des Einzelhandels könnte es oft „schwieriger werden und länger dauern, eine neue Nutzung zu finden“. Aber Lösungen gibt es: „Warum nicht in solchen Immobilien Umschlagplätze für Paketlieferanten einrichten für die berühmte letzte Meile? Co-working-Räume? Urbane Produktion?“
Das Gute an einer Großregion wie dem Ruhrgebiet ist ja auch: Man findet immer Beispiele für alles - und sein Gegenteil. Ein Kaufhaus abgerissen? Essen. Ein Warenhaus wurde Wohnhaus? Lünen. Ein Kaufhaus wurde technisches Kaufhaus? Bochum. Ein Warenhaus im Wartestand? Witten. Was soll werden?
Auf keinen Fall sollte man einen Standort kaputtreden
Die meisten Schaufenster sind blau verhängt, und statt ,Galeria Kaufhof’ hängt hier das Plakat ,Galerie der Produkte’. In einem Schaufenster stehen Wagen eines Kinderkarussells, in zweien Kunstobjekte. Freilich lässt ein Schriftzug wenige Schaufenster weiter am Gebäude keinen Zweifel: „Kunst hilft auch nicht weiter.“
Ein Anblick ist das, den auch Bürgermeister Lars König kennt, da braucht er nur aus seinem Fenster im Rathaus zu schauen. „Es kann Jahre dauern“, sagt der 50-Jährige. Der Besitzer wolle dort wieder Handel entwickeln. „Wir werden Geduld brauchen, was man ja auch in anderen Städten sieht.“
Zu handelnder Geduld würde auch Nina Hangebruch in allen diesen Fällen raten. „Was man auf keinen Fall machen sollte, ist, einen Standort kaputtzureden“, sagt sie: „Wenn ein Bürgermeister oder der Vorsitzende einer Werbegemeinschaft sich nach einer Schließung hinstellt und sagt: Unsere Stadt ist tot - das ist ganz schlechtes Marketing.“ Aber das komme vor. Hilfreich sei es, zu überlegen, ob die Kommune nicht selbst einen Teil der Immobilie mietet, etwa für ein Bürgerbüro, die Bibliothek - oder temporär ein Impfzentrum. Wie in Gummersbach. Vorbei ist das Thema nicht: 135 Warenhäuser von Galeria Karstadt Kaufhof gibt es in Deutschland. Noch.