Ruhrgebiet. Sobald es wärmer wird, erwarten die Städte die Rückkehr des Eichenprozessionsspinners. Sie setzen vor allem auf ein Mittel gegen die Giftraupen.

Eigentlich hat der Schäfer Andreas Hill sich ja einen Namen gemacht als entschlossener Widersacher der Nacktschnecke. Denn die Gartenfreunde seiner münsterländischen Nachbarschaft versorgt er mit Wolle, die sie dann unten in ihre Hecken flechten oder um das Gemüsebeet legen. „Da geht keine Nacktschnecke drüber“, sagt Hill: „Warum, weiß ich auch nicht.“

Jetzt hat er zufällig entdeckt: Der Eiserne Vorhang aus Schafswolle hält auch Eichenprozessionsspinner fern. Das geht so: Hill wickelt um einen Baum ein wollenes Band. Die Raupen im Bemühen, der ihnen offenbar ekligen Wolle auszuweichen, gelangen auf ein bearbeitetes Stück Holz und kriechen in ein Säckchen, aus dem sie nicht mehr herauskommen. Säckchen zu, Raupen weg. Man sagt ja auch Holzweg.

In den warmen Jahren seit 2018 kam die Raupe jedes Mal

Die Raupen siedeln im Sommer 2020 auf dem Stamm einer Eiche in Gelsenkirchen.
Die Raupen siedeln im Sommer 2020 auf dem Stamm einer Eiche in Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Hill produziert das inzwischen mit einer kleinen Maschine, aber für den großflächigen Einsatz ist das Konstrukt wohl nicht geeignet. Doch die Ruhrgebietsstädte versuchen gerade sozusagen, vor die Raupe zu gelangen: Sie bereiten sich darauf vor, dass das gefährliche Tierchen bald wieder aufschlägt.

„Wenn es langfristig warm wird, kann sich der Eichenprozessionsspinner schnell verbreiten“, sagt Thomas Herkert, Leiter von „Stadtgrün“ in Lünen. So war das in den warmen Jahren seit 2018 immer, davor war es nur in Einzelfällen zu explosionsartiger Vermehrung gekommen - und dann wieder für Jahre nicht. Die Raupe steht auf Klimawandel.

Städte und „Straßen NRW“ hängen Nistkästen für Meisen auf

Es ist die Raupe einer Schmetterlingsart, die Eichen befällt und sich in großen Mengen fortbewegt - deshalb Eichenprozessions. Sie ist behaart, die Haare gehen leicht aus und enthalten ein Eiweißgift, das Juckreiz und Atemnot verursachen kann. In Einzelfällen ist es auch zu allergischen Schocks und Augenoperationen gekommen - die Haare haben Widerhaken.

Dabei gehen die Kommunen unterschiedliche Wege. Gut, wer eine Meise hat! „Es ist wichtig, dass sich Meisen vermehren, da sie der Vermehrung des Spinners biologisch entgegenwirken“, sagt Benjamin Rohloff von „Ruhr Grün“. Einfach gesagt: Sie fressen sie. Und so kommt es, dass nun in Duisburgs Grün 50 neue Nistkästen für Meisen hängen und in Oberhausen über 140.

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Der Landesbetrieb „Straßen NRW“ hat jetzt zwischen Bottrop und Haltern weitere 300 aufgehängt und ist ansonsten darauf eingestellt, Warnschilder aufzustellen und Parkplätze zu sperren. Die Einfluglöcher des Meisenkastens nach Straßen-NRW-Patent sind mit Blech verstärkt, damit der größere Specht nicht eindringt und die Meise rausschmeißt. An was man immer alles denken muss!

Zunächst sollen die Tiere an Kitas, Schulen und Spielplätzen entfernt werden

„Straßen NRW“ hat noch eine zweite Abwehrwaffe entwickelt und einige seiner Spezialfahrzeuge noch mal hochgerüstet mit Hochleistungspumpen, Sprühköpfen und einem Teleskoparm. Damit würden Fadenwürmer auf befallene Bäume gesetzt, um den ESP den Garaus zu machen. Der Fallschirmjägereinsatz der Fadenwürmer kann allerdings nur nachts erfolgen, im Sonnenlicht trocknen sie aus.

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Lünen hat eine Priorisierung aufgestellt, wie sie mehr oder weniger gleich in allen Städten gelten wird. Danach sollen Fachleute die Eichenprozessionsspinner zunächst bei Kitas, Schulen und Spielplätzen entfernen, es folgen Friedhöfe, Parks und Grünanlagen und zuletzt die Wälder. Die Kommunen können aber auch zu Sperrungen und Betretungsverboten greifen.

„Wir sprühen dort, wo die Menschen nicht ausweichen können“

Ein Hubschrauber landet bei Emmerich, um ein Schädlingsbekämpfungsmittel zu tanken. Die Stadt Emmerich ließ im Frühjahr 2020 unzugängliche Gebiete besprühen.
Ein Hubschrauber landet bei Emmerich, um ein Schädlingsbekämpfungsmittel zu tanken. Die Stadt Emmerich ließ im Frühjahr 2020 unzugängliche Gebiete besprühen. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

Oberhausen wählt neben den Nistkästen ein weiteres Mittel: Gift. „Wir sprühen dort, wo die Menschen nicht ausweichen können“, sagt Markus Werntgen-Orman, Leiter des Bereichs Umwelt bei der Stadt: Spielplätze, Schulhöfe, Zebrastreifen, Haltestellen. Das Biozid tötet auch andere Schmetterlingsraupen, aber „Gesundheitsschutz geht vor“, ist die Mehrheitsansicht im Umweltausschuss.

Teuer ist der Abwehrkampf auch noch: Oberhausen hat 120.000 Euro vorgesehen für alle Maßnahmen zusammen, das kleinere Gladbeck allein 100.000 Euro ausgegeben im letzten Jahr. Denn wenn der Befall erst mal da ist, wird man wieder Fachleute in Schutzanzügen brauchen, um die Gespinste zu zerstören. Die Kommunen raten auch Privatleuten, eine Fachfirma zu beauftragen, falls die Raupe sich in der eigenen Eiche breit macht.

Vorsorglich können Sie natürlich schon einen Nistkasten aufhängen. Für diese liebenswerten Meisen. Sie könnten glatt Vogel des Jahres werden.