Ruhrgebiet. Damit das Impfen schneller geht, sollen Vorerkrankte der Corona-Impfgruppe 2 ab 30. April nun doch in die Impfzentren. Hausärzte laufen Sturm.
Es ist ein Strategiewechsel: Damit es mit dem Impfen in NRW schneller geht, sollen Vorerkrankte der Priorisierungsgruppe 2 mit „Hohem Risiko“ im Mai nun doch in den Impfzentren geimpft werden können. Eigentlich sollten das die Hausärzte übernehmen – die nennen die neuen Pläne „absurd“.
Sein Publikum hat NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann am Freitag derart überrascht, dass die Hausärzte fast einen Tag brauchten für eine Reaktion. Ihm sei es wichtig, sagte er in einer Pressekonferenz, „den vielen besorgten Menschen, die chronisch vorerkrankt sind, ein Impfangebot zu unterbreiten“. Zu viele warteten noch auf einen Termin. Deshalb sollen sie sich ab kommendem Freitag, 30. April, über die Kassenärztlichen Vereinigungen auch bei ihrem örtlichen Impfzentrum anmelden können. Das versperrt allerdings anderen Impflingen den Weg: Partnerimpfungen sind dann nicht mehr möglich.
Partnerimpfungen für Ältere ab Ende April nicht mehr möglich
Grund für den Schwenk: Die Impfkontingente in den Arztpraxen sind immer noch begrenzt. Seit Ostern spritzen im Land auch die Hausärzte mit, die ab kommender Woche endlich auch mehr Impfstoff erhalten sollen. Allerdings: Der reicht in vielen Praxen nicht, in denen teils Hunderte auf den Wartelisten vermerkt sind. Immer noch stehen dort, wo das Augenmerk eigentlich auf den lange bekannten Patienten mit Vorerkrankungen liegen sollte, viele Ältere Schlange. Die haben zwar längst eine Einladung in die Impfzentren (ab 70 Jahren), gehen aber offenbar lieber zu ihrem Hausarzt. Viele niedergelassene Ärzte müssen deshalb vorerkrankte Patienten mit noch wochenlanger Wartezeit vertrösten.
Laut Gesundheitsminister sollen die Impfzentren die Hausärzte also unterstützen, doch die nennen das am Samstag „unverständlich“. Das Ministerium verspiele „erneut das Vertrauen der Bevölkerung und auch der Ärzteschaft“, schreibt der Hausärzteverband Nordrhein in einer Erklärung, die mit dem Wort „absurd“ überschrieben ist. Man habe vor Wochen vereinbart, „dass die Hausärzte exakt diese Patientengruppe impfen sollen und festgelegt, welcher Personenkreis in den Impfzentren geimpft wird. Diese Vereinbarung soll nun wieder aufgekündigt werden“.
Wartezeit bei vielen Hausärzten noch zu lange
Durch die Impfungen in den Praxen sei die Impfkampagne „erstmalig auf einem guten Weg“ gewesen, heißt es weiter, die Zahl der Impfungen in NRW sei aus dem Stand nahezu verdoppelt worden. Nun aber sollten Patienten aus der Priorisierungsgruppe 2, die etwa an Lungenkrankheiten, schwerer Diabetes oder an Demenzerkrankungen leiden, sich doch bei den Impfzentren melden. Das dafür nötige Attest müssen sie sich aber zuvor bei ihrem Hausarzt holen. Dieses „absurde“ Vorgehen verunsichere die Menschen „wieder einmal“ zusätzlich, klagt der Hausärzteverband. „Logisch ist es, wenn der Patient sich in der Praxis nicht ein Attest abholt, sondern direkt die Impfung.“
Erneut fordert die Berufsorganisation, von den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) abzuweichen, mehr Impfstoff in die Praxen zu bringen und die Bürokratie zu verringern. Zwar betone die Politik, die Hausärzte seien entscheidend für den Erfolg der Impfkampagne: Das aber „klingt immer mehr nach Lippenbekenntnis“. Die neue Strategie verlangsame das Impftempo, statt es anzuziehen. „Für flächendeckende Feldversuche ist keine Zeit.“
Wann Impfgruppe 3 aufgerufen wird, ist offen
Auch für Laumann ist „klar, dass die Zielgruppe bei ihren Ärztinnen und Ärzten am besten aufgehoben“ ist. Die Impfzentren, betonte er am Freitag, sollten nur „für einen kurzen Übergangszeitraum unterstützen“. Was mit der viele Millionen Menschen starken Impfgruppe 3 passiert, die immerhin noch ein „erhöhtes Risiko“ hat und zusätzlich alle 60- bis 69-Jährigen umfasst, erwähnte der Minister nicht. Dabei soll die Impfpriorisierung, das kündigten die Gesundheitsminister in Bund und Land in dieser Woche an, spätestens im Juni bereits ganz aufgehoben werden. Allerdings, das immerhin hat Laumann verlauten lassen, sei daran erst zu denken, wenn die „große Gruppe von chronisch Kranken geimpft“ sei.
>>WER ZUR PRIOGRUPPE 2 GEHÖRT UND WIE MAN EINEN TERMIN BEKOMMT
Die Terminbuchung für chronisch Erkrankte der Priorität 2 ist ab 30. April um 8 Uhr möglich. Wie jetzt schon die Über-70-Jährigen buchen sie online über www.116117.de sowie telefonisch über die zentrale Rufnummer 116 117 oder die zusätzliche Rufnummer je Landesteil – (0800) 116 117 02 für Westfalen-Lippe und (0800) 116 117 01 für das Rheinland.
Wichtig: Partnerbuchungen werden ab diesem Moment nicht mehr möglich sein. Personen ab 70 Jahren, die dringend mit ihrem Partner geimpft werden wollen, sollten daher bis zum 29. April einen Impftermin vereinbaren, sagt Minister Laumann.
Der Nachweis einer Vorerkrankung erfolgt über eine formlose Bescheinigung des Arztes, die zum Impftermin mitzubringen ist. Dabei wird die Zugehörigkeit zur impfberechtigten Personengruppe nach Coronavirus-Impfverordnung bescheinigt. Eine konkrete Diagnose braucht nicht angegeben zu werden.
Zur Prioritätsgruppe 2 („Hohes Risiko“) gehören Personen mit:
- Trisomie 21 oder einer Conterganschädigung
- Organtransplantation
- Demenz, einer geistigen Behinderung oder schwerer psychiatrischer Erkrankung
- behandlungsbedürftigen Krebserkrankungen
- schweren chronischen Lungenerkrankungen, etwa COPD
- Muskeldystrophien oder vergleichbaren neuromuskulären Erkrankungen
- Diabetes mellitus mit Komplikationen
- Leberzirrhose oder einer anderen chronischen Lebererkrankung
- chronischer Nierenerkrankung
- Adipositas (Personen mit Body-Mass-Index über 40)