Ruhrgebiet. Noch reicht es, aber bald schon werden den Kliniken im Revier Atemschutzmasken, Kittel, Handschuhe und Desinfektionsmittel womöglich ausgehen.

Olaf Berse ist Geschäftsführer der bundesweiten Einkaufsgenossenschaft „clinicpartner“. Und seine aktuelle Einkaufsliste ist üppig: 100 Millionen Handschuhe, 2,5 Millionen Kittel, 1 Million FFP-Masken und 350.000 Liter Desinfektionsmittel. Schutzausrüstung im Kampf gegen das Coronavirus. Bedarf, den die 200 Kliniken, für die das Gelsenkirchener Unternehmen tätig ist, bei ihm angemeldet haben – für die drei Monate April bis Juni. Dieser Bedarf entspricht in etwa zehn Prozent vom dem, was im ganzen Land benötigt wird. „Ich kann das alles irgendwie besorgen“, sagt Berse. „Das Problem ist der Transport.“

Im Kampf gegen das Coronavirus stehen sie an vorderster Front. Doch den Kliniken im Land geht das Material aus. Für vier Wochen etwa reichte der Vorrat an Desinfektionsmitteln, Atemschutzmasken und Kitteln einst, in „Vor-Corona-Zeiten“, am Katholischen Klinikum Bochum. Für wie lange er heute reicht, will niemand sagen. 16 Corona-Patienten werden hier derzeit behandelt, sieben davon auf der Intensivstation. Man befinde sich in „Eskalationsstufe 1 bis 2“, heißt es nur.

„FFP3-Masken kriegen Sie fast gar nicht mehr“

Bereits Anfang Februar habe er ein Team gebildet, das „alles kauft, was es zu kaufen gibt“, berichtet Geschäftsführer Prof. Christoph Hanefeld. Zwei seiner Mitarbeiter telefonieren sich seither die Finger wund; zehn weitere „wuseln“ im Zentrallager herum. „Wir sind gut vorbereitet“, sagt Hanefeld, „und noch vernünftig ausgestattet“. Jedenfalls, was Desinfektionsmittel und die einfacheren Atemschutzmasken angeht. „Aber FFP3-Masken, den „Virenschutz höchster Güte“, den Ärzte etwa bei Bronchoskopien von Covid19-Patienten tragen müssen, „kriegen Sie fast gar nicht mehr“.

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Im Essener Uniklinikum lagen am Dienstag 49 Covid19-Patienten. Man könne die Versorgung wohl über die nächsten Wochen gut abdecken und im Notfall sogar anderen Essener Krankenhäusern helfen, heißt es auch dort. „Die große Unbekannte ist nur“, so Thorsten Kaatze, kaufmännischer Direktor der Universitätsmedizin Essen (UME), „wie schnell der mit den steigenden Patientenzahlen zunehmende Materialverbrauch durch Zukäufe kompensiert werden kann.“

China liefert wieder, aber wie kommt die Ware nach Deutschland?

Ín China läuft die Produktion zwar gerade wieder an. Aber wie sollen die Atemschutzmasken nach Deutschland gelangen?
Ín China läuft die Produktion zwar gerade wieder an. Aber wie sollen die Atemschutzmasken nach Deutschland gelangen? © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Zumindest der Markt für Atemschutzmasken entspanne sich gerade etwas, hofft Olaf Berse von „clinicpartner“. „Weil China wieder liefert.“ Nicht auf „Vor-Corona-Niveau“ und nicht zu „Vor-Corona-Preisen“, sondern zum „Drei-, Vier-, Fünffachen Preis“, aber : Es kommt wieder was aus dem fernen Osten. Doch wie erreicht es Europa? Es gebe drei mögliche Wege, so Berse: 1. Per Schiff, „auch wenn Container gern mal ins Wasser fallen“. Dauert zwölf Wochen. 2. Per Schiene, mit der Transsibirischen Eisenbahn. Dauert drei Wochen. Russland hat aber leider seine Grenzen dicht gemacht. 3. Per Flugzeug. Problem hier: Für einen einzigen Fracht-Flug werden derzeit bis zu eine Million US-Dollar verlangt. „Wenn der Bund uns zwei Bundeswehrmaschinen zur Verfügung stellen würde, hätten wir Ruhe“, sagt Berse. Er habe wiederholt versucht, Kontakt aufzunehmen, „aber es kam nie eine Rückantwort“.

Um sieben Uhr morgens sitzt er in diesen Tagen schon am Schreibtisch, selten, dass er vor 21 Uhr Feierabend macht. Denn Berse, der im Fernsehen die aktuelle Situation schon als „Chaos“ oder „Wildwest“ bezeichnete, betont: „Es wird schlimmer kommen, die Corona-Welle ist in Deutschland ja noch gar nicht richtig angerollt.“ China kehre zwar allmählich zum Alltag und die Arbeiter in ihre Fabriken zurück; es werde „produziert wie wild“, aber vor allem FFP-Masken. Was in seinen Augen zu neuen Engpässen führen wird: bei Kitteln und OP-Nasenschutz. „Was passiert wohl“, fragt sich Berse, „wenn Herr Trump erst einmal anfängt China leerzukaufen?“

„Da machen derzeit einige mit kriminellen Machenschaften Millionen“

Dabei mangelt es nicht an Angeboten. Es ist noch nicht einmal neun Uhr an diesem Morgen, und schon liegen sieben auf Berses Tisch. Die wenigsten allerdings sind seriös: In den Niederlanden mussten Zehntausende Atemschutzmasken, die teils bereits an Kliniken ausgeliefert worden waren, zurückgerufen werden, weil sie „nicht den geforderten Qualitätsstandards entsprachen“. Auch „clinicpartner“ wollte man schon Schutzmasken ohne Filterfunktion verkaufen oder gefälschte Zertifikate unterjubeln, „einfach kopiert aus dem Internet ohne Unterschrift, ohne alles“. Berse nennt das „irre“; sagt, eine vergleichbare Situation habe er noch nie erlebt.

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Thorsten Kaatze von der Essener Universitätsmedizin bestätigt, dass auch bei ihm „täglich“ unlautere Angebote landeten. „Da machen derzeit einige mit schlimmsten kriminellen Machenschaften Millionen“, glaubt Prof. Hanefeld vom Bochumer Klinikum. Gegen Vorkasse bestelle er gar nichts mehr. Langfristig helfe nur, meint Olaf Berse, die Produktion von Schutzausrüstung zu dezentralisieren und sie auch wieder in Europa anzusiedeln. Aktuell helfe ausschließlich: Ware.

Ressourcen schonen: Masken mehrfach verwenden und aufbereiten

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Bis die da ist, hilft man sich man vor Ort, so gut es eben geht: „Durch Eigenproduktionen, wie beispielsweise Face-Shields im 3-D-Drucker, versuchen wir für uns und andere Beteiligte im Gesundheitswesen Entlastung zu schaffen“, erklärt Thorsten Kaatze. Wissenschaftler der Uni Duisburg-Essen arbeiten gerade an solchen passgenau geformten Kunststoff-Bauteilen für den Gesichtsschutz. In der Essener Uniklinik wie im Bochumer Klinikum wurde zudem längst die Parole ausgegeben: Ressourcen schonen. FFP2-Masken sollen im Bochumer Klinikum nun mehrfach verwendet werden, normalerweise bräuchte man für einen einzigen Covid19-Patienten auf der Intensivstation 15 Stück – pro Tag.

Dr. Irmgard Pößel, Leiterin des Einkaufs des Klinikums Bochum, mit der begehrten Ware, in der Hand – und vor der eigenen Nase: Atemschutzmasken.
Dr. Irmgard Pößel, Leiterin des Einkaufs des Klinikums Bochum, mit der begehrten Ware, in der Hand – und vor der eigenen Nase: Atemschutzmasken. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Seit Montag müssen alle Mitarbeiter des Katholischen Klinikums in Bochum Masken tragen, die einfachen nur, „aber wir haben allen gesagt, auch der soll möglichst lange halten“, so Hanefeld. Was bedeutet, dass er den seinen, während er vom Büro im Verwaltungstrakt des Krankenhauses aus mit der Presse telefoniert, zum Trocknen beiseite legt – , damit er ihn danach auf der Station wieder verwenden kann. „Ich weiß, das ist alles nicht ideal“, sagt der Arzt, „ aber wir haben haben hier über 5000 Mitarbeiter…“.

Zwei Masken für jeden Klinik-Mitarbeiter – aus Stoff genäht, zum Waschen

Tatsächlich lässt die Bochumer Klinik inzwischen sogar Schutzkittel („für den Worst Case, dass uns irgendwann die Einmal-OP-Kittel ausgehen“) und Atemschutzmasken aus Stoff nähen – , einem Spezialstoff allerdings, der sonst für Abdecktücher im OP verwendet wird. „Der war wirklich schwierig zu bekommen, aber nun soll jeder unserer Mitarbeiter zwei persönliche Masken erhalten. Die er mit nach Hause nehmen und bei 70 Grad waschen kann.“ Zuviel Material wurde in den ersten Corona-Wochen wohl im Haus gestohlen, das neue Zusatzlager des Klinikums ist jetzt „besonders gesichert“.

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In Essen wurden „Aufbereitungslösungen“ für FFP-Masken und Schutzbrillen „etabliert, so dass wir dadurch im Notfall den Betrieb weiter sicherstellen können“, so Kaatze. In beiden Häusern wird Schutzausrüstung natürlich auch dadurch eingespart, dass alle OPs, die verschoben werden konnten, auch verschoben wurden.

Klinikchef: Jetzt die Lage bewältigen, später: Schlussfolgerungen ziehen

Die Schuldfrage übrigens interessiert im Moment nicht wirklich: Hanefeld erklärt: „Uns ist bewusst geworden, dass wir alleine klar kommen müssen, dass wir nicht so unterstützt werden, wie wir es erhofft hatten.“ Aber jetzt gelte es, die aktuelle Situation zu bewältigen. Im Nachhinein erst werde man „Schlussfolgerungen ziehen müssen.“ Von den 3,3 Milliarden Euro, die die Bundesregierung den Kliniken versprochen hat, sei bei ihm noch nichts gelandet. „Ich hoffe, da kommt noch was. Wir sind als gesundes Unternehmen in die Krise gegangen. Es darf nicht passieren, dass wir das krank rausgehen.“

>>>>Info: Kostenexplosion:

Der einfache Mundschutz, der normalerweise 3 Cent kostet, ist nicht mehr unter einem Euro zu bekommen, so Christoph Hanefeld. Er habe sogar schon zu 1,98 Euro zahlen müssen, sagt Olaf Berse.

40, 45 Cent zahlte man „vor Corona“ für FFP-Masken, inzwischen sind es 4 Euro. Aktuell, so Olaf Berse, gingen die Preise allerdings wieder runter: auf 3 bis 2,50 Euro.

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