Ruhrgebiet. Ab sofort impfen die Hausärzte mit. Sie würden gern mehr chronisch kranke Patienten versorgen – aber auch hier ist Corona-Impfstoff Mangelware.

Die „kleinen Impfzentren“, wie jemand etwas spöttisch sagte, fangen klein an: Zwölf Patienten sitzen erwartungsvoll in einer Hattinger Hausarztpraxis, 24 in einer Bochumer – aber das war es auch für diese Woche. 11.000 Hausärzte in NRW haben mit dem Impfen gegen Corona begonnen, im Schnitt aber hat jeder nur rund 20 Spritzen erhalten, wenn überhaupt. Aber immerhin: „Das Impfen“, sagt ein Arzt in Bochum, „ist jetzt da angekommen, wo es hingehört.“

Monatelang hatten die Hausärzte geradezu gefleht, sie endlich einzubinden. Nun verwalten sie zunächst einen Mangel: 940.000 Impfdosen für 35.000 Ärzte bundesweit, „ein bisschen wenig“, klagt Hausärztechef Ulrich Weigeldt. Und vor allem verwalten sie. „Es wird geimpft, es wird dokumentiert, aber es werden nicht neun oder zehn Seiten Papier ausgefüllt“, schimpft Weigeldt. Aufklärungsbogen, Erklärung, warum dieser Patient geimpft werden muss, Übertragung an die Kassenärztliche Vereinigung, Planung des Zweittermins…. „Wir müssen“, mahnt der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes, „diese Bürokratie runterschrauben.“

„Grippe, Tetanus, Diphtherie: Im Impfen sind wir bestens geübt“

Fertig aufgezogene Spritzen: Zunächst stehen den Praxen nur rund 20 Dosen zur Verfügung.
Fertig aufgezogene Spritzen: Zunächst stehen den Praxen nur rund 20 Dosen zur Verfügung. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Doch sind es vor allem Verbände und ihre Chefs, die darüber klagen. An der Basis wird gemacht. In Dortmund hat ein Arzt in seinem Eifer bald zuviel versprochen: „Wenn ich erst darf, impfe ich nur noch.“ In Hattingen hat Knut Schlünder die Vorarbeit gern gestemmt: Patienten ausgesucht und die chronisch Kranken eingeladen, die geforderte Aufklärung kann er sich eigentlich sparen: „Ich kenne die Menschen seit Jahrzehnten.“ Handwerklich sei das Ganze Routine, sagt auch sein Kollege Christian Deppe in Bochum: „Grippe, Tetanus, Diphtherie: Im Impfen sind wir bestens geübt.“ Eine Verbandssprecherin benutzt das Wort „Kerngeschäft“.

Wenn auch ein „mühsames“, wie der Vorsitzende des Hausärzteverbandes Nordrhein, Oliver Funken, klagt. Man könne in den Praxen „bis zu 100 Patienten am Tag impfen“ und so in kurzer Zeit alle durchimpfen, die wollen. Eigentlich. Auch Schlünder könnte „lässig 100 Leute impfen“, am Tag, wartet am Dienstagmittag aber auf ganze 24 Dosen für die Woche. Deppe hat 48 Dosen geordert, angekündigt wurden ihm 30. Insgesamt sollen die 150 Bochumer Ärzte diese Woche 3200-mal Biontech erhalten, im Durchschnitt 21 Dosen, in Witten gibt es nur 18, in Herne 36.

Dass die tatsächlichen Zahlen durch sechs teilbar sind, liegt an den Fläschchen mit dem Vakzin: Inzwischen können und dürfen aus jedem sechs Injektionen gezogen und verdünnt werden, am Anfang waren es fünf. Mancher Arzt oder Apotheker berichtet stolz, er schaffe sogar mehr. Faktisch heißt das aber: An jede Praxis gehen nur drei, vier oder – ganz selten, wegen der Urlaubszeit – fünf der winzigen Fläschchen. In Bottrop wurden einige Praxen am Dienstag indes noch gar nicht beliefert. Auch in Mülheim mussten Patienten nach Hause geschickt werden: Der Impfstoff war nicht eingetroffen.

In einigen Regionen NRWs erhielten Hausärzte die Mitteilung, dass ihre bestellte Menge diese Woche Woche gar nicht angeliefert werden könne, berichtet Oliver Funken. „Wie so oft in der Pandemie, mussten sie völlig neu planen.“ Macher startete erst am Mittwoch, andere warten. Was nächste Woche kommt, ist offen. „Das ist etwas“, sagt Ärztechef Weigeldt, „worüber wir nicht ganz glücklich sind.“

19.000 Apotheker liefern an 35.000 Arztpraxen

Viele Ärzte im Ruhrgebiet starten deshalb erst am Mittwoch mit den Injektionen: Sie warten noch ab, was die Apotheker wirklich liefern. 19.000 Apotheken bundesweit bekommen das Vakzin von 110 Großhandels-Niederlassungen, das Logistiksystem, sagt eine Sprecherin, sei „ein strenges Regime“, aber eben auch verlässlich. Das Präparat von Biontech werde „ultratiefgekühlt“ bei minus 75 Grad angeliefert, aufgetaut und umverpackt geht es gekühlt bei bis zu acht Grad an die Apotheken. Dort folgt die „Endkonfektionierung“, Spritzen, Kanülen und Kochsalzlösung zum Verdünnen sind mit im Paket.

Oliver Funken, Hausärztepräsident Nordrhein, hat dennoch Bedenken: Viele Ärzte müssten noch Schulungen machen. Er hoffe, dass sich möglichst viele das Herstellervideo angeschaut haben „und wir nicht erneut erleben müssen, dass der Impfstoff unverdünnt auf die Spritzen aufgezogen wird.“ Das sei zum Start der Impfkampagne im Winter vereinzelt geschehen.

Erste Patienten freuen sich über die Impfung vom „eigenen“ Doktor

Oliver Funken, Hausarzt und Präsident der Hausärzte im Bereich Nordrhein, impft seit Dienstagmorgen.
Oliver Funken, Hausarzt und Präsident der Hausärzte im Bereich Nordrhein, impft seit Dienstagmorgen. © dpa | Oliver Berg

Funken ist am Dienstag einer der ersten Ärzte in NRW, die in ihrer Praxis impfen, und Heribert Heimer einer der ersten Patienten im Glück. „Wunderbar, ich bin erleichtert“, sagt der chronisch kranke 62-Jährige. Und froh, dass er nicht in ein Impfzentrum musste: „Mein Arzt kennt ja meine Krankengeschichte schon seit 20 Jahren.“ Zudem ist er einer der vielen, die mithelfen wollen im Kampf gegen die Pandemie: „Die Politik soll sich raushalten. Die soll nur den Impfstoff liefern, den Rest organisieren wir Ärzte.“

Funken beklagt, die Politik habe auch diesmal wieder „völlig praxisfern in letzter Minute neue Vorgaben“ gemacht. Trotz aller Arbeit, die Ärzte mit der Impfung haben, wird jede Impfung beim Hausarzt nur mit 20 Euro vergütet. Die Praxen rechnen über die Kassenärztlichen Vereinigungen ab. Die Kosten übernimmt der Bund und hat dafür vorerst bis zu 1,5 Milliarden Euro einkalkuliert.

Auch niedergelassene Mediziner müssen sich an die Reihenfolge halten

Die Nachfrage bei den Patienten ist jedenfalls groß. Bei Dr. Schlünder stehen 80 Menschen auf der Warteliste, bei Dr. Deppe „weit über 200“. Wer zuerst gepikst wird, entscheiden die Ärzte – ein Dilemma. Zwar gilt die vorgeschriebene Priorisierung, an die sich auch die Mediziner halten müssen: Kranke zuerst. Aber die Auswahl will auch erklärt sein. „Viele Menschen“, ahnt Hausärzte-Chef Funken, „werden jetzt versuchen, möglichst schnell bei ihrem Hausarzt an eine Impfdosis heranzukommen.“

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Sein Telefon stehe nicht mehr still, berichtet in Herne der Allgemeinmediziner Markus Bruckhaus-Walter. Viele Patienten wollten sich auf Listen setzen lassen, schnellstmöglich einen Impftermin sichern. „Jeder hat Hoffnungen und Ängste.“ Auch sein Kollege Anton Preissig sagt: „Der Ansturm ist riesig.“ Christian Deppe in Bochum hat schon erlebt, wie verzweifelt sich Menschen um eine Impfung bemühen. „Da wird oft die emotionale Keule geschwungen“, sagt er und berichtet von der Mail eines Patienten: Es sei die Aufgabe des Arztes, stand da, den Mann „vor einem quälenden Tod zu bewahren“.

Wartezeit auf den zweiten Termin wird verdoppelt

Drei Millionen Impfdosen sollen die Hausarztpraxen bis Ende April erhalten, verimpfen, heißt es, könnten sie bis zu fünf Millionen. Bis die kommen, fordern die Mediziner, die Zweitimpfungen zeitlich aufzuschieben. Tatsächlich setzt NRW das bereits seit einigen Wochen um: Wer heute mit Biontech geimpft wird, hat seinen Zweittermin erst in sechs Wochen, nicht mehr nach drei; wer Astrazeneca bekommt, wartet zwölf Wochen.

Ab dem 26. April soll es „einen deutlichen Schub“ an Impfdosen geben, heißt es aus dem Berliner Gesundheitsministerium, dann könnten die Praxen erstmals mehr Vakzin bekommen als die Impfzentren. Auch wer nicht schwer krank ist, müsse sich dann nicht mehr lange in Geduld üben, verspricht Wittens Ärztesprecher Arne Meinshausen. Der verspricht: „Im Mai werden wir in Impfdosen schwimmen.“ Und selbst, wenn das wieder nicht stimmen sollte, Hausärzte-Chef Oliver Funken sagt: „Wir impfen, so schnell es geht.“

>>INFO: DIESE IMPFSTOFFE ERHALTEN DIE HAUSÄRZTE

In den ersten beiden Aprilwochen soll in den Praxen nur der Impfstoff von Biontech/Pfizer eingesetzt werden. Ab der Woche vom 19. April soll zusätzlich Astrazeneca an die Praxen gehen, danach auch das neue Vakzin von Johnson & Johnson. Sich beim Arzt auszusuchen, welches Präparat man bekommen will, sei wegen des knappen Impfstoffes auch in den Praxen vorerst nicht möglich, sagt das Gesundheitsministerium.