Ruhrgebiet. Mit einer Testpflicht bremsen die Städte die Corona-Notbremse aus. Doch kaum einer weiß davon – Geschäfte müssen ihre Kunden abweisen.
Am Ende hat Torsten Herrmann 135 Minuten angestanden. Für eine Jeans. Denn die kann keiner einfach so kaufen in diesen Zeiten. Einen Termin brauchte er und neuerdings einen negativen Corona-Test, Überraschung! Die meisten Städte im Ruhrgebiet bremsen so seit Montag die Notbremse aus.
Torsten Herrmann aber hat das nicht gewusst. Es weiß so ziemlich keiner. Und so stellen sie sich also an vor den Testzentren an diesem Morgen, in Essen etwa vor der Lichtburg. Wo die Schlange hundert Meter weit in die Fußgängerzone und über zwei Stunden reicht. Und davon hat Herrmann noch keine Hose!
Voll in den Testzentren, leer in den Geschäften
„Ohne das komische Ding“, sagt der 55-Jährige und meint die Testbescheinigung, ist er in den Laden seines Vertrauens nicht reingekommen. Das ist jetzt überall so, weil die Landesregierung es den Städten erlaubt hat: Wer seine Bürger testet, darf den Lockdown umgehen. Im Ruhrgebiet macht konsequent nur Bottrop wieder zu, aus Angst vor steigenden Inzidenzen. Andernorts führt die neue Regel dazu, dass die Menschen sich vor den Teststationen stauen, aber Verkäufer in den Geschäften zunächst alleinbleiben. Außerhalb der Schlange regt sich nicht viel an der Kettwiger Straße.
Viele sind mittags noch dabei, schon wieder neue Poster in die Ladentür zu hängen: „Nur mit Schnelltest.“ Die meisten werben noch mit „Click&Collect“, dem Einkaufen mit Termin, überall laufen Kunden vergeblich vor den Schalter am Eingang: „Neue Regel, tut uns leid“, zum Termin braucht man nun auch noch einen Test. Im Ergebnis kommt gar keiner mehr ins Lokal. In einer Buchhandlung hatten sie bis halb zwölf noch keinen Kunden, sie reichen die Ware hinaus auf die Straße. „Läuft schleppend“, heißt es von der Filialleitung, „die Kunden haben es noch nicht mitgekriegt.“ Weshalb ein Stück weiter eine Boutique und Karstadt eine Liste verteilen: Hier finden Sie die nächsten Testmöglichkeiten.
Neue Plakate an der Ladentür: „Nur mit Schnelltest“
Am Schuhgeschäft hängen jetzt sechs Plakate, reine Corona-Lektüre: Abstand halten soll man, Maske tragen muss man, mit Termin kommen darf man und maximal zusammen mit soundsoviel weiteren Kunden. Aber jetzt „nur noch mit dokumentiertem tagesaktuellen negativen Test“. Was auch schon wieder vier Informationen sind in einer einzigen Formulierung. Zettel Nr. 6 verweist Richtung Süden: Getestet wird im „Kino Lichtburg“.
Dort waren am Sonntag schon keine Termine mehr zu bekommen, allerdings testen sie dort auch ohne Verabredung. Weshalb nicht nur Ana, die „einfach nur ein bisschen Normalität will“, jetzt schon mehr als eine Stunde in der Schlange steht, obwohl sie einen Termin hatte. Herr Herrmann ist dazugekommen, eine Familie, eine Studentin mit ihrer wissenschaftlichen Lektüre, auch Bridget Harrison hat sich eingereiht: „In der Apotheke gab es den Test nicht kostenlos“, und sie braucht doch ein Geburtstags-Geschenk für ihren Lebensgefährten.
Erst Anstehen für den Test, dann Warten auf einen Termin
„Eine Jacke fürs Frühjahr vielleicht“, die 69-Jährige hatte zum Glück sonst nichts vor. Und jetzt kann sie nicht einfach wieder nach Hause gehen, „ich will ja was“. Wenn der Test gut ist, sagt sie, dann wird sie versuchen, Spontantermine in den Geschäften zu bekommen. Aber vielleicht ist auch „das ganze Anstehen umsonst, und ich finde nichts“.
Das ist das Dilemma, für die, die planen müssen. Die keine Zeit haben wie Christel, 82, und ihre Schwiegertochter Christina, die nach Christels Impfung zum ersten Mal wieder bummeln gehen wollten. Bummeln geht, in Essen allerdings nur mit Maske, was auch wieder nur die Hälfte weiß. Shoppen geht nicht so einfach. „Wir wollen das jetzt aber genießen“, sagt Christina, die extra aus Düsseldorf gekommen ist und nun im zugigen Eingang der Lichtburg steht, hinter ihr die Werbung: „Sicherer geht’s kaum“. Aber damit meinen sie das Kino, nicht den Test.
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Viele Kunden planen um: Aufwand ist zu groß
In Oberhausen hat eine dreifache Mutter den nötigen Schuhkauf für die Kinder erstmal wieder verschoben. Erst vier Corona-Tests, dann passende Anschluss-Termine in mehreren Geschäften; die Mädchen sind ja schon zu groß und zu wählerisch für das Prinzip „Einmal hin, alles drin“. In Essens Limbecker Platz steht eine andere Mutter einigermaßen verzweifelt vor einem Jeansladen: Vier Kinder, aber sie brauchen jetzt erstmal alle einen Test, erklärt die Verkäuferin, „und dann darf ich auch nur drei gleichzeitig reinlassen“. Eine Testbescheinigung hat sie tatsächlich noch nie gesehen, „aber wir haben ja auch noch nicht lange geöffnet“.
Die Familie geht wieder, sie sucht jetzt eine Apotheke, andere reagieren weniger ergeben: Vor einem Juweliergeschäft fängt ein Mann an zu schreien. Seine Frau hat einen Termin gemacht, auf der Internetseite der Schmuck-Kette steht nichts von der Testpflicht, die beiden zeigen ein Smartphone vor. Das Personal verweist auf die Anordnungen, man mache ja die Regeln nicht. „Immer auf die Regierung schimpfen!“, wütet der Kunde, „Sie werden von uns hören!“
Wie lange gilt die neue Regelung überhaupt?
Auf die Regierung schimpfen, das könnte Torsten Herrmann durchaus auch, „die weiß nicht mehr, was sie tut“. Und er kommt nicht mehr nach: „Was kommt heute wieder Neues?“ Und morgen? Die ersten in der Warteschlange unken ja schon: Der Test als Eintrittskarte wird bestimmt bald wieder kassiert, was musste Ana auch montags Urlaub nehmen für den Test, vielleicht ist Dienstag alles schon wieder anders. Die Inzidenzen steigen, die Kanzlerin ist sauer, „wir planen“, sagt die Essener Buchhändlerin, „von Tag zu Tag“.