Ruhrgebiet. Das Land will ab nächster Woche die Gruppe 2 impfen – aber vieles bleibt unklar. Und noch immer haben nicht alle Über-80-Jährigen einen Termin.
Könnte man sich heute die Finger noch wund wählen, Herr W. in Heiligenhaus hätte längst wehe Hände. Drei Wochen werden 80-Jährige wie er nun schon geimpft im Land, seit fünf Wochen konnte er sich und seine Frau (82) dafür anmelden; einen Termin haben sie noch immer nicht. Keiner frei, aber versuchen Sie es doch wieder, hören sie täglich an der Hotline – und nun kommt schon die nächste Impfgruppe dran.
Es ist nun nicht so, dass Herr W. sich gleich am ersten Tag in die Schlange gestellt hätte. Aber das sollte er ja auch nicht, hat der Ministerpräsident extra gesagt, und das Ehepaar W. wartete ganz gern die ersten „Probanden“ ab: Ein bisschen Sorge vor den Impfwirkungen haben sie schon. Aber inzwischen telefonieren sie täglich, Sohn und Schwiegertochter versuchen es online – keine Chance. Die Mitarbeiter an der Impf-Hotline, scherzt Herr W., „kenne ich inzwischen alle“. Er bemüht sich, jedem trotzdem immer „einen schönen Tag“ zu wünschen.
Ehepaar aus Heiligenhaus hat noch immer keinen Impftermin
Und jetzt reden die Gesundheitsminister von der nächsten Impfgruppe, die Lehrer, Erzieher, nach etwas Protest auch Polizisten kommen (750.000), und in etwa acht Wochen die Jüngeren ab 70 (1,6 weitere Millionen)… Familie W. aber sieht im Internet immer nur das graue Leerzeichen, keine Termine: bis Ende August. Das mache ihn „noch unsicherer“, sagt Herr W., man werde von den Nachrichten „durcheinandergeschüttelt“.
Die KV indes beteuert seit Wochen, es kämen vom NRW-Gesundheitsministerium immer weitere Impfstoffmengen des Herstellers Biontech, man könne regelmäßig zusätzliche Termine freischalten, auch für März, April und Mai „sind noch Termine im System“. In Erkrath offenbar nicht genug, wohin der Kreis Mettmann die Menschen aus Heiligenhaus oder Velbert schickt. 38.000 über 80-Jährige sind in das Impfzentrum in den Räumen einer IT-Firma eingeladen worden.
In Westfalen-Lippe sind „die allermeisten“ versorgt
Landesweit habe „das Gros der über 80-Jährigen“ längst Termine, erklärt die KV Nordrhein. 457.000 Menschen seien bereits versorgt, 135.000 davon tatsächlich schon geimpft. Berechtigt sind allerdings 650.000 – macht eine Lücke von immerhin fast 200.000, die noch keinen Termin haben; die W.s sind nur zwei davon. Die KV Westfalen-Lippe, zuständig für viele Revierstädte zwischen Unna und Bottrop, liegt besser: Dort sind nach Angaben einer Sprecherin 365.000 Menschen und damit „die allermeisten“ versorgt. Allerdings hatte die KV mit 350.000 Berechtigten eher großzügig gerechnet, offensichtlich sind es deutlich mehr, die noch zuhause leben und immunisiert werden wollen.
Auch interessant
Jetzt aber drängen alsbald mehr als zwei Millionen weitere Impflinge in die Zentren, respektive womöglich bald in die Arztpraxen – auch das ist ja noch offen und immer abhängig von den unklaren Impfstofflieferungen. Hunderttausende davon kriegen den Impfstoff von Astrazeneca und kommen den älteren oder chronisch Kranken in der Priorisierung damit nicht „in die Quere“. Mit Biontech sollen laut Gesundheitsministerium NRW zunächst die Menschen über 80 „fertig“ geimpft werden: ab April wöchentlich 200.000.
Wer wird wann wie informiert? Der Gesundheitsminister plant noch
Erst danach kommen die Patienten 70+ zum Zug. Auch sie werden von den Kassenärztlichen Vereinigungen betreut, die neuen Berufsgruppen in der Gruppe 2 von den Kommunen. Wer aber die sogenannten „Chroniker“, also die Risikogruppen impfen wird und wann, ist derzeit ebenso unklar wie die Frage, ob etwa ein 72-Jähriger, der ein hohes Risiko hat, eher dran ist als ein 78-jähriger Gesunder. Das Gesundheitsministerium NRW arbeitet, heißt es, „derzeit an einem entsprechenden Konzept“.
Danach sollen Menschen mit Vorerkrankungen ab Ende März ein Impfangebot erhalten, das über die Hausärzte organisiert werden soll. Eine Idee: Die Arztpraxen informieren die Betroffenen, die dann eingeladen werden. Allerdings wisse bislang niemand, „wie groß diese Gruppe ist“ – genügend Impfstoff muss aber da sein.
„Das Warten auf die Impfung muss ein Ende haben“
Beim Sozialverband VdK haben sie genau das geahnt: Bundesländer oder Landräte wüssten schlicht nicht, „wie sie die Betroffenen finden sollen“, klagt die Präsidentin Verena Bentele. Dass nun Menschen aus der Gruppe zwei vorgezogen werden, stark gefährdete Menschen aus der mit „Höchster Priorität“ aber noch warten, verstehe „niemand“. „Das Warten auf die Impfung muss endlich ein Ende haben.“
Auch interessant
Das findet das Ehepaar W. in Heiligenhaus natürlich auch. Dranbleiben, rät die KV, dranbleiben, sagt auch der Kreis Mettmann. „Jeder Über-80-Jährige, der geimpft werden will“, verspricht der Gesundheitsminister, „bekommt auch einen Termin und wird geimpft.“ Wenn eins gerade reibungslos funktioniere, bestätigt Kreis-Sprecherin Daniela Hitzemann, „dann ist es die Impfung der Menschen über 80“. Es gebe regelmäßig neue Termine, aber die seien meist „ratzfatz vergeben“. Es sei immer noch nicht so, „dass es reicht“.
Auch interessant
Impfzentrum im Kreis Mettmann könnte deutlich mehr impfen
Seit dem 8. Februar werden in Erkrath 275 Menschen am Tag geimpft, möglich wären 1680 – mindestens. Das sind viereinhalbtausend, die eine erste Spritze erhalten haben, an die zwölf Prozent der Berechtigten. Demnächst sollen zwar wöchentlich 800 Dosen mehr eintreffen, „aber das ist auch noch kein Quantensprung“.
Herr W. und seine Frau werden warten. Und hoffen. Und weiter täglich nachfragen, auf allen Kanälen. „Wir wissen“, sagt Herr W., „wir können nur noch gewinnen.“