Marl. Vor einem Jahr kippte Karlsruhe das Sterbehilfe-Verbot. Ein neues Gesetz aber gibt es immer noch nicht. Helmut Feldmann aus Marl kämpft wieder.

Helmut Feldmann hat nicht gefeiert. Dabei hatte er gewonnen nach vier Jahren des Kampfes, aber „von Freude“, sagte er damals, „kann keine Rede sein“. Es ging ja um den Tod, der schwer lungenkranke Mann aus Marl hatte gestritten für sein Recht, sterben zu dürfen, wenn die Luft zum Atmen nicht mehr reicht. Am 26. Februar 2020 kippte das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Sterbehilfe. Ein Sieg, der ein Jahr später bitter schmeckt. Denn seither ist nicht mehr viel passiert. Und Feldmann schreibt jetzt wieder Briefe.

„Erleichtert“ war er damals, und dankbar: „Dass ich die Zeit noch bekommen habe zu kämpfen.“ Sein Lungenvolumen liegt noch bei 40 Prozent, die Lebensqualität, sagt der an COPD Erkrankte heute, „im unteren Drittel“. Der juristische Streit hat ihn erschöpft, auch seelisch belastet; am Tag, als die Fernsehkameras in seinem Wohnzimmer standen, war er vor allem müde. Er dachte, der Kampf sei vorbei, er könne jetzt selbst bestimmen, wann für ihn der Zeitpunkt gekommen ist. Helmut Feldmann, 74, will nicht so „elendig“ sterben wie seine Schwester, das hat ihn angetrieben. Und nun, nach dem Urteil aus Karlsruhe, war der Sterbehilfe-Paragraf 217 im Strafgesetzbuch schließlich weg.

Richter: Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs war verfassungswidrig

In ihm hatte der Bundestag 2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ untersagt und festgelegt, dass der assistierte Suizid als Dienstleistung in Deutschland mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet wird. Darauf beriefen sich Ärzte, die um ihre Approbation fürchteten; Patienten, die über ihr Lebensende selbst entscheiden wollten, hatten keine Hilfe zu erwarten. Die Richter erklärten den Paragrafen für verfassungswidrig: Das Persönlichkeitsrecht, begründeten sie, „schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen“. Seitdem ist die Sterbehilfe faktisch straffrei, geregelt ist sie aber nicht.

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Denn bis heute gibt es kein neues Gesetz. Dabei müsse, findet Feldmann, die Politik sich „schnellstens kümmern und einen neuen gesetzlichen Rahmen schaffen“. Was dürfen Ärzte, wem dürfen sie Medikamente geben, für wen gilt das? Wenn es nach Feldmann geht, für die unheilbar Kranken, „denen man die Schmerzen nicht mehr nehmen kann“. Für die, die ihn in den Monaten nach dem Urteil anriefen: „Helmut, kannst du nicht?“ Viele, sagt der 74-Jährige, können nicht warten, haben Schmerzen, „die haben geweint, das hat mir bitter wehgetan“.

Corona verhinderte Debatten im Bundestag

Der gelernte Elektrotechniker wollte eigentlich nicht mehr, er sagt, er konnte auch nicht mehr, „ich kann ja auch nicht helfen“. Aber er hatte schon einmal gekämpft, er wusste, wie das geht, er hat einen ganzen Stapel Ordner mit juristischem Briefverkehr. Also setzte sich Feldmann wieder hin. Schrieb an die Bundesärztekammer, an Größen seiner Partei, der SPD, an den Bundestagspräsidenten, drohte mit Klagen wegen Unterlassung. „Wir haben ein Urteil des allerhöchsten Gerichtes, jetzt sind die dran!“

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Die Ärzte antworteten ihm, das Thema sei „auch für die Ärzteschaft von großer Bedeutung“, im Mai wolle man sich zusammensetzen und möglicherweise die Berufsordnung anpassen. Bundestagspräsident Schäuble leitete die Post aus Marl an den Petitionsausschuss weiter, der schon „Zuschriften anderer Bürger“ dazu sammelt. Rolf Mützenich, Chef der SPD-Bundestagsfraktion, schrieb an den „lieben Helmut“, dass „pandemiebedingt ein normaler Parlamentsalltag nicht möglich war“, er hoffe auf einen baldigen „Modus, der Grundsatzdebatten um gesellschaftliche und ethische Fragen erlaubt“. Das war im Spätsommer, Feldmann sagt: „Es kann doch nicht sein, dass sich alles nur noch Corona unterwirft!“

(Wobei er natürlich selbst Angst vor dem Virus hat: „Wenn ich Corona bekomme, bin ich weg, das ist klar.“)

Menschen warten auf Klarstellung durch das Parlament

Helmut Feldmann im Frühjahr 2020: Damals hoffte er noch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in seinem Sinne.
Helmut Feldmann im Frühjahr 2020: Damals hoffte er noch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in seinem Sinne. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Dass viele Menschen „weiterhin auf eine Klarstellung durch das Parlament“ warten, weiß auch Karl Lauterbach. Dem SPD-Gesundheitspolitiker hatte Feldmann ebenfalls geschrieben. Es gebe, antwortete der Mediziner in einem persönlichen Brief, in der Bevölkerung „eine größer werdende Bereitschaft, das am Lebensende nicht vermeidbare Leid in die Hände der Betroffenen selbst zu geben und dabei Hilfe von Ärzten nicht zu verwehren“. Fest steht ja: Aktive Sterbehilfe bleibt verboten, möglich ist allein die Weitergabe von Medikamenten, die ein Patient dann selbst einnehmen muss.

Gemeinsam mit Bundestags-Abgeordneten von SPD, Linken und FDP hat Lauterbach inzwischen eine Gesetzesinitiative zur Neuregelung der Sterbehilfe vorgelegt, der Betroffenen Zugang zu Medikamenten zur Selbsttötung eröffnen soll – mit Schutzkonzepten und Beratung. Auch aus den Reihen der Grünen gibt es ein entsprechendes Papier. Das Gesundheitsministerium selbst plane keinen eigenen Vorschlag, erklärte ein Sprecher erst kürzlich, eine Debatte soll es gleichwohl noch vor der Bundestagswahl im September geben.

Helmut Feldmann wird weiter kämpfen

„Es läuft jetzt“, glaubt Helmut Feldmann. Er selbst hatte sich frühzeitig an einen Sterbehilfe-Verein gewandt – der nach dem Verfassungsgerichts-Urteil nun auch in Deutschland legal tätig werden darf. Wenn es soweit ist, wenn die Luftnot unerträglich wird, kann der Marler dort ein Medikament bekommen, das ihn friedlich einschlafen lässt. Allein, eigentlich will er diese umstrittenen Vereine gar nicht unterstützen. Denn was ist mit den Menschen, die sich das gar nicht leisten können? Die bräuchten ihren Hausarzt, „wo bleibt denn da sonst die Gerechtigkeit“? Helmut Feldmann ist noch nicht am Ende.

>>INFO: FELDMANN SCHRIEB SEINE AUTOBIOGRAFIE

Sich sozial zu engagieren, ist Helmut Feldmann überzeugt, das könne man auch als „kleiner Mann aus dem Volk“. Dabei war der 74-Jährige, der sich seit vielen Jahren auch in SPD, Arbeiterwohlfahrt und in der Seniorenarbeit engagiert, nicht immer so. Aus seinem bewegten Leben erzählt er nun in einem Buch: wie er einst kriminell wurde, abhängig von Alkohol und Heroin, lange in Haft saß und dann wieder den Weg zurückfand in ein bürgerliches Leben. Seine Autobiografie soll „Mahnung und Ermutigung zugleich“ sein: „Es ist nie zu spät“, sagt der Autor, der für seinen Erstling, erschienen im Selbstverlag, tief in die biblische Geschichte griff.

Helmut Feldmann, Klaus Belz: „Mein Lebensweg vom Saulus zum Paulus. Eine (fast) unglaubliche Biographie.“ Verlag Tredition, 872 Seiten, 35,95 Euro.