Ruhrgebiet. Der Bergbau im Ruhrgebiet hat Hohlräume hinterlassen. Abertausende wurden bereits gesichert. Und doch bleibt es eine Aufgabe für die Ewigkeit.

Die Baustelle an der Landstraße bei Obersprockhövel ist unauffällig, das ist noch das Auffälligste. Die Straße ist auf einer Seite einige Meter lang gesperrt, hinter rot-weißem Flatterband macht ein kleiner Bagger – irgendwas. Bohrt, wie es scheint? Stochert nach Löchern, die hier vermutet werden. Denn manchmal tun sich Abgründe auf. Unversehens. In diesen Tagen in Sprockhövel, zugleich in Bochum, in Dortmund, Essen: Die NRW-Bergbehörde regiert immer über mehrere Baustellen zugleich im Ruhrgebiet. Sie verfüllt Hohlräume, die der Bergbau hinterlassen hat.

Und die Zahl der bekannten Hohlräume hat in den letzten Monaten wieder zugenommen: rund 3100 sind es gerade. Denn wenn sie auf der einen Seite Schächte verfüllen und ruhigstellen oder als ungefährlich abhaken – laufen auf der anderen Seite immer noch neue Informationen ein, wo man auch noch mal nachbohren sollte.

Verfüllungsarbeiten an der Schevener Straße in Obersprockhövel.
Verfüllungsarbeiten an der Schevener Straße in Obersprockhövel. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

„Risikomanagement Altbergbau“ – eine Ewigkeitsaufgabe

„Sie werden Fall für Fall abgearbeitet“, sagt Peter Hogrebe, der Landesdezernent für Altbergbau: Aber 3100 sei auch keine Endsumme. Recht eigentlich ist dieses „Risikomanagement Altbergbau“, das er und seine Leute betreiben, eine Ewigkeitsaufgabe: Die Arbeit werde „noch mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen“, heißt es von der Landesregierung; eine vollständige Erfassung der von Hohlräumen betroffenen Flächen werde nicht möglich sein.

Der Haken daran ist: Manchmal klaffen die Hohlräume auf. Rund 120 Tagesbrüche zählt das Land im Jahr, 60 darunter, die vom Bergbau kommen; die meisten sind unspektakulär, Löcher in Wiesen. Aber Tagesbrüche haben in seltenen Fällen auch schon Menschen verschluckt. Oder taten sich auf unter der U-Bahn in Mülheim, der Zugstrecke in Duisburg, der Autobahn in Essen. Unvergessen ist das Loch in der Sauerlandlinie, elf Meter tief, auf einen Schlag.

Schacht 9 von Prosper Haniel: Ein Hohlraum von 3100

Und so kommt es, dass der gern bemühte Schweizer Käse unter dem Ruhrgebiet inzwischen mit -zig und abermillionen Tonnen Beton angefüllt ist. Man muss sich das mal vorstellen: 2019/20 hat allein der 1000 Meter tiefe Schacht 9 von Prosper Haniel in Bottrop 55.000 Tonnen verschluckt. Da tut sich garantiert nichts mehr. Aber es ist ja auch: einer von 3100, wenngleich ein riesiger.

Allein in den 1000 Meter tiefen Schacht 9 der stillgelegten Zeche Prosper Haniel in Bottrop flossen 55.000 Tonnen Beton.
Allein in den 1000 Meter tiefen Schacht 9 der stillgelegten Zeche Prosper Haniel in Bottrop flossen 55.000 Tonnen Beton. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Auf Peter Hogrebes Karten von NRW gehören die Städte drei Gruppen an: Vielleicht 40 Prozent sind grau unterlegt als nicht betroffen von Bergschäden, interessante Farbwahl dafür übrigens, grau; vielleicht zehn Prozent sind gelb, also „in Bearbeitung“ durch das Risikomanagement – darunter sind, nicht völlig überraschend, die meisten Kommunen zwischen Duisburg und Fröndenberg, zwischen Oer-Erkenschwick und Breckerfeld. Denn schließlich sei das Ruhrgebiet, so Hogrebe, „sehr stark von Altbergbau betroffen“.

Manch ein alter Schacht ist längst vergessen – bis er sich wieder auftut

Der Rest der Kommunen ist grün und damit in der lustigen Kategorie „vorläufig endbearbeitet“. Das erklärt uns nun ziemlich genau, warum die Zahl der Hohlräume pulsiert: Weil auch dort noch Informationen und Quellen auftauchen können über Hohlräume, die vergessen sind.

Die Gründe: Wo genau vor 300 Jahren Menschen nach Kohle gruben, weiß niemand mehr; wo sie nach dem Krieg aus Not illegal nach Kohle gruben, weiß erst recht niemand; und viele Grubenbilder aus dem normalen Bergbau mit exakten Angaben sind ja auch verbrannt in den Bombennächten.

Im „Krater von Wattenscheid“ versanken Autos, Bäume und Garagen

Der berühmteste Tagesbruch der letzten Jahrzehnte war jedenfalls der „Krater von Wattenscheid“: Im Bochumer Westen taten sich zu Jahresbeginn 2000 zwei Löcher auf von 500 Quadratmetern Fläche und 15 Metern Tiefe. Autos versanken darin, Bäume und Garagen und durch ein Wunder keine Menschen.

Das ist jetzt auch schon wieder 21 Jahre her, und am Ort des schrecklichen Geschehens, an der Emilstraße, erinnert nichts mehr daran. Tatsächlich ist man nach so langer Zeit gar nicht mehr sicher, wo an der Straße es überhaupt geschah. Allzu lang ist sie ja nicht. Perfekt verfüllt.

Wenn es bei dem Tempo der letzten Jahre bleibt, wird der letzte Schacht also in einigen Jahrzehnten dran sein. Die Reihenfolge ermitteln Hogrebes Leute nach einer komplexen Formel, in die unter anderem der Zustand eines Schachtes und der potenzielle Schaden einfließen, sollte er sich regen. Ansonsten gilt, was auch für die andere Gefahr aus dem Erdreich gilt, für Blindgänger: Die letzten finden sie nie.