Essen. Besuch auf einer Essener Corona-Intensivstation: Pflegekräfte und Ärzte tun, was sie können. Aber bald können sie womöglich selbst nicht mehr.

Montag, 11.30 Uhr: Die KMT3 des Essener Uniklinikums wirkt verwaist; es ist absolut ruhig, nur am „Stützpunkt“ im langen Flur klingelt pausenlos ein Telefon; über einer einzigen Tür blinkt ein rotes Lämpchen. Eine Intensivstation in Corona-Zeiten, ein Krankenhaus am Rande der Belastbarkeit – hätte man sich hektischer vorgestellt. „Je ruhiger es ist, desto ernster die Lage“, klärt uns Stationsleiter Klaus Siemoneit auf. Für einen Plausch auf dem Gang fehlt den acht Pflegekräften der aktuellen Schicht schlicht die Zeit.

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Schwestern und Pfleger sind da, wo sie gebraucht werden: in den Zimmern der Patienten. 17 Betten stehen auf der KMT3 ausschließlich für Covid19-Patienten bereit. Es ist die zweite Intensivstation, die das Haus für sie freiräumte. 16 Betten sind an diesem Morgen belegt. Allein am Sonntag zuvor kamen fünf Neuaufnahmen. Bis Oktober wurden hier Knochenmarktransplantierte versorgt. Immunsupprimierte Menschen ohne Abwehrkräfte, die streng isoliert werden müssen. „Damals mussten wir die Patienten vor uns schützen, nun ist es eben andersrum“, erklärt Simoneit, Fachpfleger für Intensivmedizin/Anästhesie, und zuckt die Schultern. Schalte man die Klimaanlage eben um, von „bloß nichts rein“ zu „bloß nichts raus“. Wenn alle Probleme so leicht zu lösen wären...

Eskalationsstufe 5 (von 7) auf der Intensivstation

Das Tragen einer FFP2-Maske ist hier Pflicht. Wer in ein Patientenzimmer geht, wie Siemoneit jetzt, zieht in der „Schleuse“ davor zudem Kittel, Haube, ein blaues Paar Handschuhe, ein Face Shield und schließlich ein zweites Paar weißer, steriler Handschuhe an. Eine Servicekraft karrt auf einem Rollwagen gerade Berge neuer Vorräte heran. Eine andere entsorgt den Müll: zwei prall gefüllte große schwarze Tonnen und einen dicken gelben Sack – und das ist nur das, was in der Frühschicht anfiel. In einem einzigen Zimmer. Einzig das Face Shield kann desinfiziert und erneut verwendet werden. Der Verbrauch von Schutzmaterial, sagt Siemoneit, habe sich seit Beginn der Pandemie vervierfacht.

Blick in den Flur der KMT3: Bis Oktober wurden hier Patienten nach einer Knochenmarkttransplantation versorgt. Jetzt liegen hier – und auf einer zweiten Intensivstation des Klinikums – ausschließlich Covid-Patienten.
Blick in den Flur der KMT3: Bis Oktober wurden hier Patienten nach einer Knochenmarkttransplantation versorgt. Jetzt liegen hier – und auf einer zweiten Intensivstation des Klinikums – ausschließlich Covid-Patienten. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Die Essener Universitätsmedizin ist das größte Corona-Zentrum in NRW, das drittgrößte bundesweit. 136 Covid19-Patienten werden an diesem Montag hier behandelt, 41 davon auf einer Intensivstation. Im „Eskalationsplan“ entspricht das der Stufe 5 (von 7). Den Begriff der vielbeschworen Katastrophe mag Prof. Jochen A. Werner, der ärztliche Direktor, nicht verwenden, „weil wir immer noch vor der Lage sind“ („ein Krankenhausbrand ist eine Katastrophe oder ein Flugzeugabsturz...“). Aber er räumt ein: „Wir sind am Anschlag! Die Kapazitätsgrenze aller großer Krankenhäuser ist erreicht.“

Die Lockerungen zu Weihnachten hält der Klinikchef für falsch

Den harten Lockdown nennt Werner„alternativlos“; die Lockerungen zu Weihnachten falsch: „Die machen theoretisch über mehrere Tage Treffen mit 20 Teilnehmern möglich.“ Er blicke „mit Sorge“ auf die Zeit nach dem Fest. Denn er weiß: Wer sich jetzt infiziert, wird bei schwerem Krankheitsverlauf Weihnachten im Krankenhaus verbringen. Und das System ertrage nicht noch mehr Corona-Kranke, gerade, weil die weitaus meisten Patienten eben nicht an Covid19 leiden. „Die Betreuung der Covid-Kranken bindet so viele Ressourcen, dass Quantität und Qualität der Versorgung anderer Patienten bereits jetzt beeinflusst werden.“

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Werner mag „nicht immer nur über Intensivbetten diskutieren“, aber er sagt auch, dass Pflege und Ärzte dort unter nie gekannter Belastung arbeiteten. Nicht nur, weil die Arbeit, das ständige Umlagern der oft übergewichtigen Patienten etwa, in Schutzkleidung so anstrengend sei. Nicht nur, weil wegen des geltenden Besuchsverbots das Personal am Bett und die Kommunikation noch mehr gefordert sei. „Auch die Intensität ist eine ganz andere!“ Covid-Patienten „bleiben sehr lange auf der Intensivstation, erholen sich nur sehr langsam, Fortschritte sind oft kaum zu erkennen. Und manche schaffen es gar nicht.“ 61 Patienten starben allein im November, das sind zwei an jedem Tag. Dass kürzlich ein Oberarzt der Klinik festgenommen wurde, weil er zwei schwer kranke Corona-Patienten getötet haben soll, habe alle „zusätzlich erschüttert“.

„Die Kopfschmerzen sind weg, jetzt bin ich nur noch müde“

Stationsleiter Klaus Simoneit beim Stellen der Medikamente für seine Patienten: Allein diese Aufgabe nimmt Stunden täglich in Anspruch.
Stationsleiter Klaus Simoneit beim Stellen der Medikamente für seine Patienten: Allein diese Aufgabe nimmt Stunden täglich in Anspruch. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Klaus Siemoneit, der Intensivpfleger, steht inzwischen voll verkittelt am Bett von Frau S. – „Geht’s besser?“, fragt er die 78-jährige Corona-Patientin, die seit 16 Tagen auf der KMT3 liegt. Sie war lange intubiert, wurde künstlich beatmet, inzwischen kommt sie zeitweise sogar ohne NIV-Maske aus, die nicht-invasiv das Atmen unterstützt. Für mehr als ein zartes Nicken fehlt ihr aber noch immer die Kraft, auch für den laufenden Fernseher hat sie keinen Blick übrig, das Frühstück steht unangerührt in der Schleuse, Über zwei gewaltige Batterien von Perfusoren und Infusomaten – automatischen Spritzensystemen – erhält die Frau Medikamente und Kost, drei Monitore überwachen ihre Vitalparameter, Technik, Kabel und Schläuche allüberall. Aber sie atmet. Fast allein. „Sie ist auf einem gutem Weg“, sagt der Pfleger, als er ihr Zimmer verlässt. An die Tür hat jemand einen bunten Papierstern gehängt, es ist ja Advent.

Anfangs, erzählt Siemoneit, hätte er wegen der FFP2-Maske immer heftige Kopfschmerzen gehabt nach der Schicht. Aber man gewöhne sich dran. Jetzt sei er abends nur noch müde. „Und lahm. Meine Reaktionsgeschwindigkeit beim Zocken hat echt nachgelassen“, erzählt der 52-Jährige. Eine Sekunde pro Runde habe er verloren bei den Autorennen, die er am PC zur Entspannung gern fahre… Inzwischen lasse er sich nach dem Dienst eigentlich aber sowieso lieber nur noch „vom Fernseher berieseln“.

Der Burnout kommt erst nach der Krise

Dann klingelt das Telefon, eine Kollegin, die Urlaub hat, ist dran. Sie habe Kratzen im Hals, der Hausarzt wolle sie nicht testen, was tun? Siemoneit fragt nach Fieber, Geruchs- und Geschmackssinn, stellt Kontakt zur „Hygiene“ der Uniklinik her, die werde einen Abstrich machen – und bittet um Rückruf, „ob du Montag kommen kannst oder nicht“. Sein Team lobt er in höchsten Tönen, wütend darüber, dass es sonst trotz allen öffentlichen Applauses so wenig Anerkennung erfahre. „Seit März“, sagt er, „kämpfen wir hier an der Front, mit einer kurzen Pause nur im Sommer. Das ist kein Sprint mehr, das ist ein Marathon“. Gab es schon Burnouts? „Zu früh“, sagt Siemoneit. „Das kommt erst nach der Krise. Jetzt reißen sich doch alle zusammen.“

http://Interaktiv_-_Klinik-Monitor_zur_Corona-Krise{esc#228886189}[xhtml]Ausnahmesituation nicht nur für Pfleger, auch für Ärzte: Die zweite Welle, sagt Dr. Nina Kristin Steckel, leitende Oberärztin der KMT3, sei „sehr viel schlimmer als die erste“ – trotz aller Erfahrungen und der Routine, die man im Umgang mit der neuen Krankheit inzwischen habe. „Es sind einfach so viel mehr Patienten als im Frühjahr.“ Die schiere Menge der zu Betreuenden, die ständigen Neuaufnahmen und Verlegungen, die Toten, die schweren Verläufe auch bei jungen Patienten – all das mache enorm zu schaffen. Ein 19-Jähriger habe drei Wochen auf der Intensivstation verbracht, andere Patienten bis zu sechs! In drei Wochen behandelt die Ärztin jetzt zudem genauso viele Patienten wie in den beiden heftigsten Corona-Monaten des Frühjahrs insgesamt.

„Natürlich würde ich kommen, wenn jemand ausfällt...“

Dr. Nina Kristin Steckel, die leitende Oberärztin der KMT3: Die zweite Corona-Welle sei mit der ersten nicht annähernd zu vergleichen, sagt sie
Dr. Nina Kristin Steckel, die leitende Oberärztin der KMT3: Die zweite Corona-Welle sei mit der ersten nicht annähernd zu vergleichen, sagt sie © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Über ihre Überstunden mag die Intensivmedizinerin und Fachärztin für Innere Medizin sowie Hämato-/Onkologie nicht reden. Über Weihnachten habe sie vier Tage frei, verrät sie nur. „Eigentlich.“ Sie sei jederzeit erreichbar, ergänzt sie, würde „natürlich kommen, wenn jemand ausfällt“. Warum? Steckel zögert mit der Antwort, möchte nicht pathetisch werden. Schließlich sagt sie: „Das ist halt mein Verständnis von diesem Beruf!“

>>>>>Zahlen und Fakten

1005 Covid19-Patienten wurden bislang in der Essener Universitätsmedizin stationär versorgt (Stand: 16. Dezember), darunter 25 Unter-18-Jährige

an oder im Zusammenhang mit Corona: 103 Männer, 46 Frauen, im Schnitt 73,5 Jahre alt.

Der jüngste Corona-Patient war drei Monate alt, der älteste 100. Der älteste, der überlebte war 96, der jüngste, der starb: 26.