Witten. Kinder werden täglich mit Corona-Informationen überhäuft. Aber nie kindgerecht. Das brachte einen Wittener Pflegewissenschaftler auf eine Idee.

Die Frage kam unerwartet. Und sie haute Michael Galatsch beinahe um – als er jüngst in einer Hagener Schule über Covid 19 und das richtige Verhalten in der zweiten Viruswelle referierte. Ein Pilotprojekt. „Warum“, wollte ein Sechstklässler gleich zu Beginn wissen, „lagen in Südamerika so viele Corona-Tote auf der Straße?“ Er hatte in den Medien davon erfahren. „Auch Kinder werden Tag für Tag bombardiert mit dem Thema Corona“, erklärt der Wittener Pflegewissenschaftler. In Nachrichten oder Zeitungen sähen sie Bilder aus aller Welt, hörten von Infektionsfällen, Todeszahlen und Inzidenzen, vom Notstand in Bayern, Lockdown, Kontaktverboten und Maskenpflicht. „Doch das sind alles Infos, die für Erwachsene gemacht sind. Ein Kind braucht kindgerechte Information, damit es verstehen kann, was los ist.“

Kinder merkten genau, dass etwas nicht stimmt, sie könnten jetzt die aktuelle Situation nicht einordnen, hätten Angst, sagt Galatsch, 47, selbst zweifacher Vater. Zusammen mit der Hamburger Künstlerin Marambolage haben er und andere Forscher der Friede Springer Stiftungsprofessur für Globale Kindergesundheit der Universität Witten/Herdecke deshalb ein Comic für Sieben- bis Zwölfjährige entwickelt. Es soll ihnen das „neue Normal“, die zweite Welle erklären, in ihrer Sprache.

Alltags-Tricks gegen das Virus, vermittelt im neuen Wissensformat Zine

Michael Galatsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Friede Springer Stiftungsprofessur für Globale Kindergesundheit, übersetzte im März schon den amerikanischen Vorläufer des aktuellen Corona-Comics ins Deutsche: „Kinder müssen verstehen, was los ist.“
Michael Galatsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Friede Springer Stiftungsprofessur für Globale Kindergesundheit, übersetzte im März schon den amerikanischen Vorläufer des aktuellen Corona-Comics ins Deutsche: „Kinder müssen verstehen, was los ist.“ © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Genau genommen ist das Comic ein „Zine“, denn es muss erst einmal zusammen gebastelt werden: Im Internet lässt sich die bunte, liebevoll gestaltete Doppelseite kostenlos herunterladen, dann wird ausgeschnitten und gefaltet. In wenigen Minuten entsteht ein handliches Büchlein zum Nachschlagen, dass in die Hosentasche eines jeden Schülers, einer jeden Schülerin passt. Seit zwei Wochen findet man das Zine im Internet, 5000 Downloads gab es bisher. Galatsch findet dieses Format der Wissensvermittlung „ganz toll, weil es Kinder abholt, weil es ihnen Spaß macht“.

Die AHA-Regeln etwa werden im Comic erläutert, aber sie heißen nicht so. „Kinder haben genug Regeln zu befolgen“, findet Galatsch. Abstand halten, Hygiene und Alltagsmaske werden als „Tricks“ vorgestellt, mit dem man dem fiesen Virus ein Schnäppchen schlagen kann. Masken, heißt es im Folgenden, nerven nicht („Corona nervt“), sie sind „mega cool“. Schließlich könne man darunter seine Pickel verstecken und dem Lehrer ungestraft die Zunge rausstrecken. Und Rapper oder Supermänner trügen ja auch welche. Themen wie „Lüften“ oder „Impfen“ bleiben ausgespart. „Das verstehen wir als Gemeinschaftsaufgabe. Im Zine geht es nur um die Dinge, die die Kinder selbst machen können im Kampf gegen das Virus.“

Reden ist Gold, Schweigen ist Blech

Dem Nachwuchs das ausgedruckte, fertige Zine kommentarlos unter den Tannenbaum zu legen, ist dennoch nicht die richtige Art damit umzugehen Eltern sollten es gemeinsam mit ihren Kindern basteln (oder Lehrer mit ihren Schülern). „Schon dabei kommt man leicht ins Gespräch“, verspricht der Experte. „Und Reden ist in diesem Fall Gold, Schweigen Blech.“ Wenn die Familie gemeinsam über Corona spreche, sei schon „viel gewonnen“. Nur so könne man sich einen eigenen Weg durch die Zeit der Pandemie bahnen. Dabei sei es kein Problem, wenn Mama oder Papa nicht alle Fragen der Kinder auch gleich beantworten können. „Man kann sich ja auch zusammen auf den Seiten von RKI und anderen schlau machen.“ Dem Hagener Schüler, den die Toten auf der anderen Erdhalbkugel sorgten, antwortete Galatsch – nach etwas längerem Nachdenken – im Übrigen: dass die Pandemie ein dynamischer Prozess sei, dass man heute viel mehr als zu Beginn der Krise über die Covid-Erkrankung wisse – und dass Deutschland im Kampf dagegen besser aufgestellt sei als andere Länder.

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Dass die Beschäftigung mit dem Zine, mit dem Thema Corona die Angst weiter schüre, fürchtet der Experte in Sachen Kindergesundheit nicht. „Nicht das Zine macht Kindern Angst, sondern das Virus.“ Darüber zu schweigen, heiße, „Kinder hilflos auszuliefern, sie mit ihren Sorgen allein zu lassen. Wichtig sei nur die Botschaft: „Es ist nicht deine Aufgabe, dir Sorgen zu machen!“ Ein Kapital im Zine ist deshalb auch überschrieben mit „Achte auf dich!“, die „Nummer gegen Kummer“ darunter zu finden.

Globale Kindergesundheit fängt vor Haustüre an

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Galatsch hat bereits im März den amerikanischen Vorläufer des neuen Comics ins Deutsche übersetzt und angepasst. So wurde aus der „salsa“ der US-Version, die mal „hot“ und mal „mild“ sein kann – und für die unterschiedlich schweren Krankheitsverläufe steht: Ketchup; zudem fügte er nützliche Notfallnummern, weiterführende Links und Info-Adressen aus unserem Land hinzu. Er stieß im Netz auf den US-Prototypen, der mittlerweile in 15 Ländern im Einsatz ist, testete ihn mit seinen eigenen Kindern („die waren auf Anhieb begeistert“) und schlug es dem Team der Friede Springer Stiftungsprofessur um Prof. Ralf Weigel als Projekt vor: „Ich rannte offene Türen ein“, erinnert er sich. Auch Marambolage war schnell für Idee gewonnen, Galatsch kannte die Hamburger Künstlerin aus einem früheren gemeinsamen Krankenhaus-Projekt für Kinder. In seinem Büro am Wittener Uni-Campus hängen neben einem Druck von Caspar David Friedrich viele ihrer bunten Zeichnungen.

Game over: Wenn wir uns an die Regeln halten, können wir Corona besiegen. So lautet die Botschaft des Comics, seine Rückseite zeigt ein sehr schlecht gelauntes Virus.
Game over: Wenn wir uns an die Regeln halten, können wir Corona besiegen. So lautet die Botschaft des Comics, seine Rückseite zeigt ein sehr schlecht gelauntes Virus. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Die Wittener Forscher beschäftigen sich mit Fragen der globalen Kindergesundheit, betreuen Projekte in aller Welt, vor allem in der dritten, studieren etwa gerade weltweit die Auswirkungen von Corona auf die Jüngsten. Doch Kindergesundheit beginnt für sie vor der eigenen Haustür an. Sein Chef, Ralf Weigel, sagt Galatsch, sei nicht nur in Afrika vor Ort, sondern auch im Dortmunder Gesundheitsamt.

Übersetzungen in weitere Sprachen und Schulbesuche geplant

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Das Zine zur zweiten Welle soll nun in weitere Sprachen übersetzt werden, erzählt der Forscher. Unter anderem ins Arabische – für die vielen Kinder in Deutschland mit Migrationshintergrund. Studierende und andere wollen – gerade mit Blick auf Weihnachten – zudem an Schulen aufklären, in kindgerechten Kurzvorträgen und Diskussionsrunden. An deren Ende übrigens werden stets die Papierschnitzel, die beim Ausschneiden des Zines übrig bleiben, zu einem kleinen Ball zusammen geknüllt und in den Schlund den Corona-Virus geworfen. Der geht dabei in der Regel zu Boden. Ist besiegt. Mit den Worten des Zine: Game Over!

>>>Ansprechpartner und Download

Das „Corona-Zine“ der Uni Witten/Herdecke und der Hamburger Künstlerin Marambolage findet man im Internet unter anderem unter https://share.strigal.net/public/CORONA-ZINE-2WELLE.pdf – es darf kostenlos herunter geladen werden. Eine „Bastelanleitungen“ gibt’s als YouTube-Video unter https://www.youtube.com/watch?v=1Of1Unz3FgI

Ansprechpartner für interessierte Schulen ist Michael Galatsch: Tel.: 02302 / 926-797 oder Michael.Galatsch@uni-wh.de

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