Essen. Wegen einer Racheaktion für seinen verprügelten Sohn steht ein angeblicher Essener Clan-Chef vor Gericht. Reden will er nicht.

Ein Mann, den die Essener Polizei als Clan-Chef bezeichnet, sitzt seit Dienstag vor dem Landgericht. Aber es geht vor der XVII. Essener Strafkammer keineswegs um Drogenhandel, Schutzgelderpressung oder Menschenhandel - Delikte, die man typischerweise mit Mafia- oder Clan-Strukturen in Verbindung bringt. Tatsächlich ist eine Racheaktion für den verprügelten Sohn des "Clan-Chefs" angeklagt sowie diverse Beleidigungen, Bedrohungen und Körperverletzungen.

Der 46 Jahre alte Jamal R. sitzt gemeinsam mit seinem vier Jahre jüngeren Bruder Firas auf der Anklagebank. Was die beiden zu den Vorwürfen von Staatsanwalt Thomas Endberg zu sagen haben, ist nicht bekannt. Denn beide wollen schweigen.

Hintergrund ist eine Prügelaktion gegen den Sohn

Jamal R. ist der Vater des 18-Jährigen, der am 4. Juni 2019 auf dem Hof einer Grundschule im Essener Stadtteil Altendorf von mehreren ebenfalls libanesischen Jugendlichen in einen Hinterhalt gelockt und verprügelt worden war. Sie hatten die Aktion gefilmt und ins Internet gestellt. Mittlerweile sind fast alle dafür verurteilt worden. Das Opfer übrigens auch, aber in anderer Sache. Denn einige Zeit nach der Prügelaktion soll er eine 19-Jährige mit Nacktfotos erpresst und so Sex erzwungen haben. Dafür bekam er drei Jahre Jugendstrafe, die noch nicht rechtskräftig sind.

Vater Jamal wollte laut Anklage die Aktion gegen seinen Sohn auf dem Schulhof nicht auf sich beruhen lassen. In einem weißen Mercedes Benz der S-Klasse soll er am 1. Juli 2019 mit seinem Bruder Firas, einem seiner Söhne und seinem eigenen Vater zur Beisingstraße im Nordviertel gefahren sein. In einem weiteren Auto seien zwei weitere Söhne als Verstärkung mitgekommen.

Racheaktion im Nordviertel

Dort sollen sie um 21 Uhr einen Streit mit der Familie O. angefangen haben. Laut Anklage sei es gar nicht um die Schulhofprügelei gegangen, sondern um eine andere Ehrverletzung. Familie O. soll nämlich an der Shisha-Bar der Familie R. im Nordviertel vorbeigefahren sein und diese bespuckt haben. An einem Gespräch darüber soll Jamal R. wenig Interesse gezeigt haben. "Wir wollen nicht reden, wir wollen euch schlagen, grinst nicht so", zitiert Staatsanwalt Endberg den Angeklagten Jamal R.

Danach habe Firas R. seinen Gürtel aus der Hose gezogen und mit der Metallschnalle auf Vater O. eingeschlagen. Jamal R. habe seinerseits einen Teleskopschlagstock gezückt und ebenfalls auf Vater O. eingeschlagen. Daraus habe sich eine Massenschlägerei entwickelt.

Auch Handy-Raub angeklagt

Strafrechtlich interessant ist "Punkt 3" der Anklage. Muhamad O. soll sein iPhone 8 in der Hand gehalten haben, um die Polizei anzurufen. Jamal R. soll es ihm mit den Worten "Wen rufst Du an, Du Hund?" entrissen haben. Dies ist als schwerer Raub angeklagt und eröffnet einen recht hohen Strafrahmen.

Der vierte Punkt der Anklage betrifft dann einen Angriff gegen die Familie S., die damals vor allem für die Prügelaktion gegen den Sohn verantwortlich war. Drei weitere Anklagepunkte betreffen kleinere Delikte, zeigen allerdings, dass Jamal R. durchaus auch gegen Polizeibeamte beleidigend sein kann, außerdem zu Körperverletzungen und Bedrohungen neigt. 27 Eintragungen umfasst das Vorstrafenregister des mehrfachen Familienvaters, dem das Rüttenscheider Gerichtsviertel nicht unbekannt ist. Er wohnt mit seiner Familie direkt gegenüber.

Die angeblichen Opfer schweigen vor Gericht

Haben Polizei und Staatsanwaltschaft schon wenig Glück, ihm echte Clandelikte nachzuweisen, scheint die aktuelle Beweislage vor Gericht für die Behörden auch nicht günstig zu sein. Denn die Mitglieder der vermeintlichen Opferfamilie O. verweigern am Dienstag die Aussage, "weil ich mich sonst selbst belaste".

Die XVII. Kammer prüft, ob ihnen das Recht zusteht, findet aber nichts, was dem entgegensteht. Gemunkelt wird, dass es zwischen den Familien eine außergerichtliche Einigung gab. Richter Andreas Labentz versucht das zu hinterfragen. Woher er denn wisse, dass ihm ein solches Recht zustehe, fragt er Vater O., den er damit aber nicht erschüttert: "Dazu hat mir meine Rechtsanwältin Frau Theile geraten." Fünf weitere Tage hat die Kammer angesetzt, um die Vorwürfe aufzuklären.