Ruhrgebiet. Wirte, Kinobetreiber, Eigentümer von Sportstudios könnten gegen den neuen Lockdown klagen. Verfassungsrechtler sagen: mit Aussicht auf Erfolg.
Tür zu, Licht aus, schon wieder sind Gastronomie, Sportstudios, Kinos vom Lockdown betroffen. Die, von denen Wissenschaftler sagen, sie seien gar nicht die Treiber der Pandemie. Die, die viel Geld investierten in Schutzmaßnahmen. Die ersten Betreiber denken darüber nach zu klagen. Verfassungsrechtler sagen: Das könnte sich lohnen.
Diesmal reicht Andreas Büdeker der Sandsack nicht mehr für seine Wut. „Blanke Willkür“ sagt der Besitzer des „Recover Fight Club“ in Essen, „wir werden sanktioniert und bestraft. Die machen unsere Existenz kaputt!“ Schutzmaßnahmen, sagt Büdeker, Masken, Abstand, Hygiene, „sofort dabei“, bei ihm dürfen die Freizeit-Boxer ja nicht einmal mehr mit Sparrings-Partnern trainieren. Trotzdem muss er jetzt wieder schließen, dabei hatten sie nicht einen einzigen Corona-Fall bei 300 Mitgliedern. „Von uns geht kein Risiko aus.“
Andreas Büdeker wird sich wehren. Er will klagen. Gegen Ministerpräsident Armin Laschet persönlich.
Kein „allgemeiner Notfall“
Denn der gießt die neuen Regeln im Namen der Landesregierung in die neue Corona-Schutzverordnung. Übrigens auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), denn einen „allgemeinen Notfall“ gibt es in Deutschland nicht. Niemand kann hier, wie etwa in Frankreich, einen Ausnahmezustand ausrufen und damit das Land zusperren, erklärt Oliver Lepsius, Professor für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie an der Universität Münster. Das IfSG aber weiß nach neun Monaten immer noch nichts von Corona – was Verfassungsrechtler kritisieren: Darauf die Maßnahmen zu stützen, ist juristisch umstritten. Für Lepsius jedenfalls bietet es „keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für das Schließen von Betrieben oder Einrichtungen“.
Corona: Rechtslage immer noch nicht geklärt
Als im Frühjahr schon einmal ein Lockdown das Land lahmlegte, gab es dagegen kaum Klagen, die folgten erst später, gegen das Beherbergungsverbot, die Listenpflicht in Restaurants oder die Sperrstunde. Die Gerichte entschieden unterschiedlich, in einigen Bundesländern wurde das Beherbergungsverbot gekippt, in Berlin entfiel die Sperrstunde, in NRW nicht. Kurzfristige Entscheidungen, die grundsätzliche Rechtslage gilt weiterhin als nicht geklärt.
Sicher ist: Die jetzt verordneten Schließungen müssen verhältnismäßig sein („notwendig“, sagt das Gesetz). Das heißt, dass sie das Ziel erreichen müssen, Infektionszahlen zu reduzieren. Im Falle von Theatern etwa sei das fraglich, sagt Prof. Lepsius: „Wir haben keine Evidenz für Infektionsgeschehen durch Theaterbesuch.“ Gesetzt den Fall, das Schließen von Restaurants würde die Zahl der Neuansteckungen senken, dann müsse belegt werden, dass „kein milderes Mittel gleich gut geeignet ist, dieses Ziel zu erreichen“. Würde sich also das Risiko einer Ansteckung durch Filter, Lüftung, Abstand, Hygienekonzept, Sperrstunde, Ausschankverbot… minimieren lassen – dann wären sie alle „mildere Mittel“ als eine Schließung.
Es entscheidet „das falsche Organ“
Die „milderen Alternativen“, so Lepsius, seien nun aber alle „pauschal weggewischt worden. Das geht nicht“. Die Mittel seien „unverhältnismäßig“. Und: Auch angemessen müssten diese sein, angesichts von Kosten und Einschränkungen durch die Maßnahmen. Darüber, sagt Oliver Lepsius, sei bisher aber kaum gesprochen worden, weil Gesundheitsschutz immer prioritär behandelt worden sei. Hier sind sich die Juristen weitgehend einig: Solche Diskussionen gehören ins Parlament. Mit den Landesregierungen entscheide „das falsche Organ“.
Auch der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Nessler aus Oldenburg teilt diese Zweifel. Es sei „problematisch“, dass nicht der Bundestag entscheide. Die Maßnahmen seien „zu pauschal“ verhängt worden und seien „völlig ungeeignet“, sagte Boehme-Nessler dem WDR. Man dürfe jetzt „nicht mehr mit der Schrotflinte schießen“. Klagen von Betroffenen halten beide Wissenschaftler deshalb für erfolgversprechend.
Auch interessant
Manchem Gastwirt aber ist die Kraft dazu inzwischen ausgegangen. Erst vergangene Woche hatte etwa Christian Bickelbacher zusammen mit 19 anderen Wirten aus NRW gegen die Sperrstunde geklagt – vergeblich. „Wir haben versucht, unser Recht geltend zu machen“, so der Vorstand der „Immobilien- und Standortgemeinschaft Bermuda3eck (ISG)“ aus Bochum. Einen neuen Anlauf will er nicht nehmen. „Wir sind müde und ertragen das jetzt.“
Andreas Büdeker dagegen, er hat einen Box-Club, er ist ein Kämpfer. Und er will sich selbst nicht vorwerfen lassen, „nicht alles versucht zu haben“.