Ruhrgebiet. Corona-Tests, Impfungen und Atteste sorgen für volle Praxen – und die Grippesaison kommt erst noch. Ärzte sorgen sich, wie das zu bewältigen ist.

Die Praxis von Christiane Thiele ist mal wieder voll. „Jeden Tag stehen bei mir etwa 20 Eltern, die sagen: Ich wäre ja nicht gekommen, aber …“ Aber sie brauchen Atteste für den Arbeitgeber, die Kita, die Schule. Und sie wollen Sicherheit, wollen wissen, ob der Husten, die laufende Nase nicht doch durch Corona verursacht ist. So wie der Viersener Kinderärztin geht es vielen im Ruhrgebiet, gerade den Hausärzten.

„Die Niedergelassenen arbeiten schon seit Monaten im Ausnahmezustand, und die Belastung wird noch deutlich zunehmen“, warnt Heiko Schmitz, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein. „Nicht nur durch voraussichtlich steigende Fallzahlen, sondern auch durch zunehmend erkältete Menschen und vor allem in den Hausarztpraxen durch eine große Nachfrage nach Grippeschutzimpfungen.“ Große Unruhe herrsche aber trotzdem nicht, die Praxen hätten sich auf die Situation eingestellt.

Der Winter naht

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Das bestätigt der Allgemeinmediziner Eugen Breimann aus Duisburg-Beeck. „Wir rechnen damit, dass das Patientenaufkommen massiv zunimmt, sobald es etwas kühler wird.“ Schon jetzt ist seine Praxis gut gefüllt, „wenn auch nicht extrem voller“ als im vergangenen Jahr zu dieser Zeit. Die Patienten seien anders gemischt. „Manche haben etwas, trauen sich aber nicht in die Wartezimmer“, viele andere dagegen kommen mit Schniefnasen zur Corona-Abklärung, die sich sonst wohl in der Apotheke ein Nasenspray für 2,50 Euro gekauft hätten.

Nach einer Erhebung der Kassenärztliche Bundesvereinigung haben die Praxen „25 Stunden pro Woche für pandemiebezogene Aufgaben aufgewendet, neben der Regelversorgung“, so ihr Vorsitzender Andreas Gassen. „Den größten Aufwand machte das Testen und Beraten.“

Die nun anlaufenden Grippeimpfungen gehören zwar zum normalen jahreszeitlichen Mehraufwand. Allerdings rechnet die KV Nordrhein nun mit einem Sprung um 20 Prozent auf etwa 1,3 Millionen Menschen, die sich im Rheinland impfen lassen. Die Impfung wird gerade für Risikopatienten und Personal in Praxen und Heimen von Ärzten, Robert-Koch-Institut und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dringend empfohlen, auch weil eine Doppelinfektion mit Covid-19 besonders gefährlich wäre.

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Auch dies führt zu proppevollen Praxen. Allerdings, glaubt Eugen Breimann, wird sich diese kurzfristige Mehrarbeit über die Saison entlastend auswirken: Die Abgrenzung von Covid und Influenza sei „auch für den Arzt nicht immer leicht. Wenn Risikopatienten zur Gripeimpfung kommen, haben wir einen sicheren Ausschluss von Grippe.“

Die Grippeimpfungen sind nicht das Problem

Christiane Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein.
Christiane Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein. © H.O. | Christiane Thiele

„Die Grippeimpfungen schaffen wir gut, denn die kann ich delegieren an meine Medizinische Fachangestellte“, sagt Christiane Thiele, die auch dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein vorsteht. Zu vielen Überstunden führten vor allem die vielen Corona-Untersuchungen: „Ich beginne normalerweise um acht und mache bis halb sechs, im Winter eher bis sieben. Doch jetzt, bereits vor der Saison, wird es häufig halb sieben und ich arbeite meine zwei Stunden Mittagspause fast komplett durch.“ Auch ihre Assistenten tragen diese Mehrbelastung - und seien einer erhöhten Aggressionsrate durch Eltern ausgesetzt, bei denen ebenfalls die Nerven blank liegen. „Da hat man schon Angst, was passiert, wenn mehr Influenza-Fälle hinzukommen.“

Während Erwachsene ihrem Arbeitgeber erst ab dem dritten Krankheitstag eines vorlegen müssen, ist das bei einer Krankheit des Kindes schon ab dem ersten Tag nötig. Sonst gibt es keine Freistellung und auch kein Kinderkrankengeld. Hier wünschen sich die Kinder- und Jugendärzte eine Änderung, sagt Thiele. „Auch die telefonische Anamnese war sehr sinnvoll, ist aber seit Ende Juni nicht mehr möglich.“

Eine andere Teststrategie soll her

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Vor allem aber fordern die Kinderärzte eine andere Teststrategie: „Wenn an einem Ort nur wenige Fälle auftauchen, können wir gelassener sein. Wenn die Zahlen hochgehen, müssen wir mehr testen“, sagt Thiele. „Ich habe zum Beispiel eine Woche lang alle rund 100 Kinder mit Schniefnasen abgestrichen, die bei mir vor der Tür standen. Es war kein einziges positiv. Dann ist es auch extrem unwahrscheinlich, dass die anderen fünf aus der gleichen Klasse und mit den gleichen Symptomen Corona haben.“

Eine stärker anlassbezogene Teststrategie fordert ebenfalls die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein. „Auch politisch motivierte ,Massentests’ einzelner Berufsgruppen, etwa der Lehrer und Erzieher, sind zu überdenken“, erklärt Sprecher Heiko Schmitz. Bislang gibt es bei den Lehrern eine Positiv-Testquote von 0,3 (!) Prozent. Da stehen Aufwand und ,Ertrag’ in keinem sinnvollen Verhältnis.“

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Eine andere Organisation der Corona-Testungen empfiehlt auch der Hausärzteverband Nordrhein: „Die Belastung ist schon hoch“, sagt Sprecherin Monika Baaken. „Wenn wir jetzt noch den zunehmenden Andrang haben, stellt sich schon die Frage, ob das noch zu bewältigen ist. Es sind einfach Grenzen gesetzt, was Ärzte leisten können. Die Corona-Testungen müssen anders kanalisisert werden, etwa in Fieberzentren, damit wir uns auf den Regelbetrieb konzentrieren können.“

>> Info: Pneumokokken-Impfung empfohlen

Empfohlen wird für Risikogruppen neben der Influenzaimpfung auch eine gegen Pneumokokken. Diese Erreger sind verantwortlich unter anderem für bakterielle Lungenentzündungen, die oft in Verbindung mit einer Virusgrippe auftreten.

Doch es gibt ein Problem. Der Pneumokokken-Impfstoff ist knapp. Er soll erst im November wieder verfügbar sein. Der KV-Bundesvorsitzuender Frank Bergmann kritisiert: „Es ist ein Unding, dass wir ausgerechnet in einer Pandemie-Situation wichtige Präventionsmaßnahmen nicht durchführen können, weil Impfstoffe fehlen.“