Berlin. Um eine Grippe-Welle in der Corona-Pandemie zu verhindern, setzt die Regierung auf Schutzimpfungen. Doch die Vorräte sind begrenzt.

Zuerst kommt der trockene Husten. Dann, ein paar Stunden später, setzt das Fieber ein und steigt schnell auf 39 Grad. Der Körper schmerzt, der Kopf brummt. Typische Symptome für eine Virusinfektion. Es könnte Corona sein. Es könnte aber auch die Grippe sein.

Anfang Oktober beginnt üblicherweise die Saison, die ersten Praxen bieten bereits Termine für die Grippeschutzimpfung an. Die Regierung, die Epidemiologen, die Hausärzte – sie alle schauen mit großer Sorge auf die doppelte Infektionslage. Wie gefährlich wird die Grippesaison in der Corona-Krise? Und: Ist Deutschland gut darauf vorbereitet?

Corona: Warum ist die Grippe in diesem Jahr so gefährlich?

Aus mehreren Gründen. Erstens: Für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen können Influenzaviren lebensbedrohlich sein. Im Winter vor drei Jahren etwa starben 25.000 Patienten an der Grippe – mehr als doppelt so viele wie in der Corona-Krise. Das Robert-Koch-In­stitut (RKI) warnt bereits vor hochriskanten Doppelinfektionen.

Zweitens: Grippe und Corona sind anhand der ersten Symptome für den Laien nur schwer unterscheidbar. Die erwartbare Folge: Verunsicherung in Kitas, Schulen und Betrieben, immenser Beratungsbedarf bei Ärzten und Notaufnahmen. Die Hausärzte stellen sich bereits auf einen Ansturm von Patienten ein, die mit Husten und Fieber in die Praxis kommen.

In solchen Fällen ist in diesem Winter nun jedes Mal ein Rachenabstrich nötig – um Covid-19 auszuschließen. Ärztevertreter fordern bereits die Einführung von Schnelltests, um die Diagnostik zu beschleunigen. Drittens: Eine schwere Grippewelle belastet die Intensivstationen und bindet Kapazitäten, die bei einem erneuten Anstieg der Corona-Infektionen dringend gebraucht würden.

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Grippe-Saison: Bundesregierung will impfen, impfen, impfen

Die Antwort der Bundesregierung auf dieses Szenario lautet: Impfen, impfen, impfen. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat angesichts der doppelten Herausforderung durch Corona-Krise und Grippewelle bereits im Frühjahr eine nationale Reserve von rund sechs Millionen Impfdosen angelegt – und wirbt nun für die Schutzimpfung: Die saisonale Grippe werde in ihrer Gefahr unterschätzt, gut wäre, wenn sich in Corona-Zeiten mehr Menschen impfen ließen als üblich.

„Genug Impfstoff ist vorhanden“, erklärte sein Sprecher auf Nachfrage. Doch sicher lässt sich das erst in einigen Wochen sagen. Die Experten des RKI deuten das Dilemma bereits an: Wer jetzt alle Deutschen zum Impfen aufruft, hat am Ende nicht genügend Impfstoff für die Risikogruppen. „Entsprechend könnte sich eine Ausweitung der Empfehlung derzeit sogar als kontraproduktiv erweisen“, heißt es beim RKI. Lesen Sie auch: Warum das Coronavirus besonders ältere Menschen angreift

Influenza: Reicht der Grippe-Impfstoff aus?

Nach RKI-Angaben werden für die kommende Saison 2020/21 in Deutschland rund 25 Millionen Dosen Influenza-Impfstoff verfügbar sein – inklusive der von der Regierung beschafften nationalen Reserve. Obwohl es diesmal deutlich mehr Impfstoffdosen sind als in den vergangenen Jahren, reicht die Menge rein rechnerisch nicht einmal für alle besonders schutzbedürftigen Gruppen aus.

Allein um jene Menschen zu impfen, denen die Ständige Impfkommission (Stiko) eine Schutzimpfung empfiehlt, wären laut RKI insgesamt rund 40 Millionen Dosen nötig. Denn: Die Stiko rät aktuell, dass vor allem solche Menschen geimpft werden sollten, die ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe bei Grippe oder Covid-19 haben – in erster Linie Senioren und Menschen mit chronischen Grundleiden. Ebenfalls interessant: Honig bei Erkältung und Husten effektiver als Antibiotika

Zudem sollten das ärztliche und pflegerische Personal geimpft werden, zusätzlich Schwangere und Bewohner in Alters- oder Pflegeheimen.

„Erzieher und Lehrer sollten so umfänglich wie möglich gegen Grippe geimpft werden“, sagt Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer.
„Erzieher und Lehrer sollten so umfänglich wie möglich gegen Grippe geimpft werden“, sagt Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. © dpa | Wolfgang Kumm

Ärztepräsident Klaus Reinhardt geht noch weiter: „Die Grippewelle darf nicht den Betrieb von Kitas und Schulen gefährden. Es ist deshalb wichtig, dass möglichst viele Kinder gegen Influenza geimpft werden. Genauso wichtig ist aber auch der Schutz des Personals: Erzieher und Lehrer sollten so umfänglich wie möglich gegen Grippe geimpft werden. Nur so kann das gesamte System Schule geschützt werden“, sagte Reinhardt unserer Redaktion.

Doch in der Corona-Krise wächst der Wunsch nach Grippe-Impfschutz in allen Bevölkerungsgruppen: Laut einer aktuellen Umfrage will sich dieses Jahr jeder zweite Bundesbürger impfen lassen. Steuert das Land also wieder mal in eine Mangellage? Erst zu wenige Masken, dann zu wenige Impfdosen? Spahns Experten winken ab und verweisen auf die Erfahrungen der letzten Jahre. Lesen Sie auch: Corona-Infektion: Wie eine 35-Jährige mit Spätfolgen kämpft

Klaus Cichutek, Präsident des für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), ist überzeugt: „Auf Basis des Impfverhaltens der Bevölkerung in den vergangenen Jahren und der für diese Saison erwarteten größeren Anzahl von Impfstoffdosen im Vergleich zu den Vorjahren“ sei damit zu rechnen, „dass die Grippe-Impfstoffe für die Saison 2020/21 ausreichen werden.“

Impfen: Zwischen Bereitschaft und tatsächlichem Impfgeschehen klafft eine Lücke

Tatsächlich zeigt die Erfahrung, dass zwischen Impfbereitschaft und Impfgeschehen eine große Lücke klafft: Im Winter 2018/2019 ließen sich nur 35 Prozent der über 60-Jährigen und höchstens die Hälfte der Personen mit chronischen Grundleiden impfen. Und das, obwohl die Grippe im Winter zuvor die höchste Opferzahl seit 30 Jahren gefordert hatte.

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    Doch zur Wahrheit gehört auch, dass es in jenem Winter 2018/2019 zu regionalen Verteilungsproblemen kam, an vielen Orten wurden Impfdosen knapp. Nur deshalb, weil an anderen wiederum Impfdosen liegen blieben, fällt die Bilanz nicht desaströs aus: Insgesamt wurden 14,6 Millionen Menschen geimpft – 15,7 Millionen Dosen standen zur Verfügung.

    Ärztepräsident Reinhardt vermutet, dass angesichts der hohen Impfbereitschaft auch diesmal nicht alles glatt laufen wird: „Es kann deshalb zu lokalen Engpässen in einzelnen Praxen kommen. In solchen Fällen sollten sich Ärzte untereinander aushelfen.“ Eines ist bereits jetzt sicher: Man kann mitten in der laufenden Grippesaison nicht massenweise Impfstoff nachbestellen, bestätigt das Paul-Ehrlich-Institut. Auch interessant: Die dramatischen Schicksale der Corona-Reha-Patienten

    Gesundheit: Wann sollte man sich impfen lassen?

    Die Grippesaison dauert von Anfang Oktober bis Mitte Mai. Nach einer Impfung dauert es 10 bis 14 Tage, bis der Impfschutz vollständig aufgebaut ist. Um rechtzeitig geschützt zu sein, wird deshalb empfohlen, sich spätestens im Oktober oder November impfen zu lassen.

    Experten sehen in der Grippe-Impfung sogar einen gewissen Schutz gegen eine schwere Covid-19-Erkrankung: „Jede Impfung ist ein Trainingsprogramm für das Immunsystem. Die Grippeschutzimpfung führt zwar nicht zu einer spezifischen Immunisierung gegen das Coronavirus, kann aber das Immunsystem so stärken, dass eine Infektion harmloser, günstiger verläuft“, sagt Ärztepräsident Reinhardt. Lesen Sie auch: Corona-Spätfolgen: Was das Virus im Körper anrichtet

    Umgekehrt hat auch die Pandemie einen möglicherweise positiven Einfluss auf die Grippewelle: „Es ist gut möglich, dass die Grippewelle in diesem Jahr harmlos verläuft. Durch die Corona-Routine, also durch häufiges Händewaschen, Maskentragen und Abstandhalten, werden Infektionen insgesamt reduziert.“