Berlin. Steigende Fallzahlen gefährden zunehmend alte Menschen. Gesundheitsminister Jens Spahn setzt deshalb auf millionenfache Schnelltests.

Die Fallzahlen steigen, die Sorge wächst: München zieht als erste deutsche Großstadt jetzt die Notbremse. Ab Donnerstag gilt in der bayerischen Landeshauptstadt eine Maskenpflicht auf vielen öffentlichen Plätzen, im gesamten Stadtgebiet dürfen sich nur noch fünf Personen oder zwei Haushalte treffen. Auch in anderen Regionen mit vielen neuen Fällen gelten wieder strengere Corona-Regeln.

Besonders bedroht durch die steigenden Infektionszahlen sind die Älteren, vor allem Bewohner von Alten- und Pflegeheimen. Denn das Virus bleibt nicht im Kreis der jungen Partygänger: „Auch die 20-Jährigen, die 30-Jährigen haben ja Großeltern, die sie besuchen“, warnte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Montag. Manch einer arbeite auch in der Pflege, im Gesundheitswesen.

Heißt: Das Risiko ist groß, dass sich das Virus wieder dort verbreitet, wo eine Infektion schnell lebensgefährlich werden kann.

Wie gefährdet sind alte Menschen im Moment?

22 Todesfälle in einem Pflegeheim in Würzburg, mehr als 40 Corona-Tote in einer Einrichtung in Wolfsburg: Zu Beginn der Pandemie waren vor allem alte und kranke Menschen besonders gefährdet. Und nun?

Das Robert-Koch-Institut warnt dringend davor, die Ansteckungsgefahr für Senioren zu unterschätzen: Zwar hätten sich in den vergangenen Wochen auch viele junge Menschen infiziert, von denen relativ wenige schwer erkranken und versterben. Jedoch: „Sollte sich der aktuell beobachtete Trend fortsetzen und sich weiter vermehrt ältere Menschen infizieren, muss auch mit einem Wiederanstieg der Hospitalisierungen und Todesfälle gerechnet werden“, heißt es beim RKI.

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Es sei deswegen weiter nötig, dass sich die gesamte Bevölkerung für den Infektionsschutz engagiere. „Menschenansammlungen – besonders in Innenräumen – sollten möglichst gemieden und Feiern auf den engsten Familien- und Freundeskreis beschränkt bleiben.“ So wie jetzt in München.

Und möglicherweise demnächst auch wieder anderswo: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will angesichts der steigenden Zahlen in Deutschland und den Nachbarländern kurzfristig ein neues Spitzentreffen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erreichen.

Welche Schutzkonzepte gibt es für die Seniorenheime?

Bislang gibt es keine bundesweit einheitlichen Regeln. Mit Blick auf den Herbst und die steigenden Fallzahlen fordert der Pflegebeauftragte der Bundesregierung insgesamt bessere Schutzmaßnahmen für die Alten- und Pflegeheime: „Mit guten Hygienestandards, einer guten Teststrategie kann man Ausbrüche früher erkennen, unterbrechen und damit das Leben pflegebedürftiger Menschen schützen“, sagte An­dreas Westerfellhaus unserer Redaktion.

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Nur wer das optimal umsetze, könne die Rechte der Pflegebedürftigen zum Beispiel auf den Besuch des Partners so lange wie möglich gewähren. Westerfellhaus bemängelte, dass es bei den bisherigen Schutzkonzepten noch große Unterschiede in den Ländern und von Einrichtung zu Einrichtung gebe. „Es darf nicht sein, dass Einrichtungen, nur weil kein gut ausgearbeitetes Konzept vorliegt, Besuche oder Spaziergänge vorschnell verbieten“, kritisierte der Pflegebeauftragte.

Mit Blick auf die von Gesundheitsminister Spahn angekündigte Weiterentwicklung der nationalen Teststrategie bis Mitte Oktober sprach sich Westerfellhaus für eine klare Priorisierung aus: „Testkapazitäten müssen ganz klar prioritär für das Gesundheitswesen genutzt werden“, so der Pflegebeauftragte. Für ihn gelte: „Pflegebedürftige und Kranke vor Fußballfans“. Massentestungen vor Fußballstadien oder Konzerthallen müssten warten, denn der Schutz von Patienten und Pflegebedürftigen in Krankenhäusern und Heimen gehe vor.

Spahns Plan für die Senioreneinrichtungen umfasst derzeit drei Aspekte: Präventive Reihentests für Bewohner und Beschäftigte, Schnelltests für Besucher – und, sobald ein Impfstoff zugelassen ist, die frühzeitige Impfung von älteren Menschen und Risikopatienten.

Vor allem die Schnelltests für Besucher sollen verhindern, dass Bewohner wieder unter Isolierung leiden: Er wünsche sich, dass für den Besuch im Pflegeheim Schnelltests viel häufiger, also millionenfach pro Monat, eingesetzt würden, um Infektionsrisiken zu minimieren, erklärte Spahn am Montag im Interview mit dem Deutschlandfunk.

Antigen-Schnelltests seien nicht ganz so sicher wie die laborbasierten PCR-Tests, seien aber bereits besser geworden. Es komme jetzt vor allem darauf an, Infektionen in den Bereichen zu verhindern, „wo die besonders Gefährdeten sind“. Ausbrüche wie in den Pflegeheimen in Wolfsburg oder Würzburg dürften sich nicht wiederholen. „Wenn das Virus da mal drin ist, schlägt es brutal zu.“

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Welche Lösungen gibt es für Arztpraxen?

Corona trifft Erkältungssaison: Um die Hausärzte zu entlasten und gerade für ältere Menschen neue Ansteckungsherde in den Wartezimmern der Praxen zu verhindern, will Spahn flächendeckend sogenannte Fieberambulanzen einrichten: Fieberambulanzen sind Anlaufstellen, die in der Regel von den Kassenärztlichen Vereinigungen in Form von Schwerpunktpraxen oder als Anlaufpunkte außerhalb der Praxen eingerichtet werden.

Hier können sich alle, die typische Symptome für Erkältung, Grippe oder Corona haben, von besonders geschützten Ärzten gezielt untersuchen und testen lassen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) erklärte, neben speziellen Fiebersprechstunden und Ambulanzen könnten auch wieder Sondermaßnahmen wie Karenztage oder die telefonische Krankschreibung eingeführt werden.

Wie ist die Lage auf den Intensivstationen?

Weitgehend entspannt: Zuletzt befanden sich bundesweit 267 Covid-19-Patienten auf einer Intensivstation. 145 davon wurden invasiv beatmet – also gut jeder zweite, wie aus dem Divi-Intensivregister hervorgeht. Insgesamt befinden sich 21.153 Menschen in intensivmedizinischer Behandlung. 9467 Intensivbetten sind frei. Damit sind in Deutschland laut Spahn sogar mehr Intensivplätze frei, als es in Italien und Frankreich zusammen gibt. „Aktuell kann unser Gesundheitssystem gut mit der Situation umgehen“, so Spahn.

Wegen des vergleichsweise niedrigen Bedarfs haben die Kliniken in fast allen Bundesländern ihre Kapazitäten für Corona-Fälle reduziert. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) hält die Absenkung für richtig: „Landesweite Vorhaltequoten sind nicht erforderlich. Die Krankenhäuser haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, binnen weniger Tage auf steigende Bedarfs durch hohe Fallzahlen reagieren zu können“, sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum unserer Redaktion.

Entscheidend sei, dass die nötigen Kapazitäten in den Regionen sichergestellt würden. Die Aufhebung der Quoten bedeute nicht, dass Intensivbetten abgebaut würden.

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