Berlin. Die Bundesregierung rechnet damit, dass ein Corona-Impfstoff in den nächsten zehn Monaten verfügbar ist. Doch wie geht es dann weiter?

Der Impfstoff gegen Corona kommt – da sind sich die meisten Experten sicher. Genauso sicher ist: Er wird nicht gleich für alle reichen, weil es zu wenige vorproduzierte Impfdosen gibt. Was also passiert am Tag X, wenn der erste Impfstoff für Deutschland zugelassen ist?

Ganz Deutschland zu impfen – „das ist nicht in zwei Wochen getan“, sagte Jens Spahn am Dienstag bei einer Zwischenbilanz zur Impfstoffentwicklung. Im Gegenteil, der Bundesgesundheitsminister erwartet eine schwierige Phase: „Die ethische Debatte wird kommen.“ Wer soll zuerst geimpft werden – und was sagen die Ärzte denjenigen, die am Anfang nicht zum Zuge kommen?

Wann kommt der Corona-Impfstoff für Deutschland?

Die Bundesregierung und das zuständige Paul-Ehrlich-Institut für Impfstoffe sind optimistisch: Wenn es sehr gut läuft, wird der erste Impfstoff schon Ende des Jahres für Deutschland zugelassen, wahrscheinlicher scheint ein Starttermin zwischen Anfang und Mitte nächsten Jahres.

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) warnt vor zu viel Euphorie: „Wir sind noch nicht am Ziel. In den nächsten Wochen kann viel passieren“, so die Ministerin. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass es erst Mitte nächsten Jahres einen Impfstoff gibt, mit dem breite Teile der Bevölkerung geimpft werden können.“

Microsoft-Gründer Bill Gates dagegen erwartet, dass bereits Anfang des kommenden Jahres mehrere Impfstoffe zur Verfügung stehen. Er rechne damit, dass „mit etwas Glück“ im ersten Quartal „drei oder sogar vier“ Impfstoffe zugelassen werden, sagte Gates in der Internetsendung „Bild live“. Die Herausforderung werde dann aber sein, die Mittel in Massen herzustellen, betonte der US-Multimilliardär, dessen Stiftung die Entwicklung und Verbreitung von Impfstoffen fördert.

So entsteht ein Impfstoff

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    Mit einem bis zu 750 Millionen starken Sonderprogramm fördert die Bundesregierung aktuell die Impfstoffentwicklung bei den beiden deutschen Firmen Biontech und Curevac, zudem soll nun auch die ostdeutsche Firma IDT Biologika gefördert werden. Über Verträge mit diesen Firmen hat sich der Staat bereits 40 Millionen Impfstoffdosen gesichert.

    Zudem gibt es feste Zusagen über 54 Millionen Dosen aus dem EU-Vertrag mit dem britischen Pharmakonzern Astrazeneca. Weitere EU-Verträge stehen vor dem Abschluss. Sicherheiten, die jedoch nur wirken, wenn die jeweiligen Impfstoffkandidaten ins Ziel gehen.

    Keine Option sei es, einen Wirkstoff zuzulassen, der noch nicht sämtliche Testphasen erfolgreich durchlaufen habe, betonte Spahn. Impfen sei Vertrauenssache: „Wir wollen einen sicheren und wirksamen Impfstoff und nicht per se die Ersten sein“, sagte Spahn. Und, mit Blick auf die bislang hohe Akzeptanz von Schutzimpfungen in Deutschland: „Wir dürfen das Vertrauen nicht verspielen.“

    Der Pharmakonzern Astrazeneca hat gerade erst seine Impfstoffstudie gestoppt, nachdem eine Probandin eine Rückenmarksentzündung entwickelt hatte. Mittlerweile wird die Studie fortgesetzt, die britische Aufsichtsbehörde hat grünes Licht gegeben.

    Sind gegen eine Impfpflicht: Forschungsministerin Karliczek und Gesundheitsminister Spahn (beide CDU).
    Sind gegen eine Impfpflicht: Forschungsministerin Karliczek und Gesundheitsminister Spahn (beide CDU). © imago images/Emmanuele Contini | Emmanuele Contini via www.imago-images.de

    Was passiert, wenn der Corona-Impfstoff zugelassen ist?

    Dann soll es nach Spahns Willen sehr schnell gehen: „Idealerweise einige wenige Tage“ nach Zulassung eines Impfstoffs für Deutschland soll die reguläre Impfung beginnen. Doch anders als beim Grippeschutz werden die Bundesbürger dazu möglicherweise nicht in die Arztpraxen gehen: Weil viele mögliche Impfstoffkandidaten bei minus 70 Grad transportiert und gelagert werden müssen, wären normale Hausärzte überfordert.

    Spahn denkt deswegen über regionale Impfzentren nach, die Gespräche mit der Ärzteschaft, dem öffentlichen Gesundheitsdienst und den Ländern laufen bereits. Offen ist zudem die Frage, ob der Staat oder die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die millionenfache Impfung zahlen.

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    Wer wird als Erstes geimpft?

    Die Frage klingt einfach, ist aber ethisch heikel. Eine Antwort darauf soll die Ständige Impfkommission (Stiko) beim Robert-Koch-Institut finden. Eltern kennen die Stiko-Impfempfehlungen bei typischen Kinderkrankheiten, auch beim Grippeschutz gibt es Stiko-Empfehlungen.

    Jetzt müssen die Experten der Impfkommission erstens den absehbaren Impfstoffmangel einkalkulieren und zweitens eine Rechnung mit mehreren Unbekannten lösen, denn: Angesichts der großen Zahl von potenziellen Sars-CoV-2-Impfstoffkandidaten ist es wahrscheinlich, dass am Ende mehrere Impfstoffe in Deutschland zugelassen werden.

    „Dabei kann es sein, dass einzelne Impfstoffe insbesondere für bestimmte Bevölkerungsgruppen geeignet sein werden – zum Beispiel für Ältere“, sagt Sabine Wicker, stellvertretende Vorsitzende der Stiko, unserer Redaktion.

    Und nun? Ohne den genauen Impfstoff zu kennen, müssen die Experten Prioritäten festlegen: „Bei der Frage, wer zuerst geimpft werden soll, müssen wir zunächst immer fragen, bei wem das höchste Infektionsrisiko besteht und wer am meisten von einer Impfung profitieren würde“, erklärt Wicker. Eine solche Nutzen-Risiko-Analyse sei das zen­trale Element der standardisierten Vorgehensweise der Stiko. „Im aktuellen Fall gehören zu den besonders schutzbedürftigen Gruppen unter anderem das medizinische Personal sowie die chronisch Kranken und Älteren.“

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      Das sieht Spahn ähnlich. Er weiß aber auch: Wenn die ersten Impfwilligen in einem der neuen Impfzentren abgewiesen werden, weil sie zu keiner besonders gefährdeten Gruppe gehören – dann wird es heftige Debatten geben.

      Die Stiko hat bereits im Frühjahr eine Arbeitsgruppe für Corona-Impfempfehlungen eingerichtet. „Wir können nicht warten, bis ein konkreter Sars-CoV-2-Impfstoff zugelassen ist, sondern müssen bereits vorher einen Rahmen für Empfehlungen festlegen“, so Wicker. Ebenfalls jetzt steht schon fest: Selbst wenn es eines Tages genügend Impfstoffdosen für über 80 Millionen Deutsche geben sollte – eine Impfpflicht gegen Covid-19 lehnt die Bundesregierung ab.

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      „Wir brauchen eine Impfquote von 55 bis 65 Prozent, um Herdenimmunität zu erreichen“, so Spahn. „Das werden wir freiwillig erreichen.“ Laut einer Umfrage wollen sich 44 Prozent der Bevölkerung auf jeden Fall impfen lassen, 30 Prozent erwägen das zumindest.

      Was genau bewirkt der künftige Impfstoff?

      „Wir reden bei Wirksamkeit davon, dass die Impfstoffe in der Lage sind, die schwere Covid-19-Krankheit zu verhindern“, sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. Das sei das primäre Ziel. „Wir hoffen natürlich auch, dass sie in der Lage sein werden, die Mensch-zu-Mensch-Übertragung zu unterbrechen.“

      Ob ein Impfstoff am Ende auch das Infektionsgeschehen zum Erliegen bringt – das kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand sagen.

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